Freitag, 19. April 2024


Claus Hansmann

Seine Kriegsbilder haben so gar nichts von der heroischen Landser-Ästhetik eines Lothar-Günther Buchheim. Sie erinnern eher an Käthe Kollwitz. Und seine Aufzeichnungen aus dem Krieg gegen die Sowjetunion sind von einer seltenen Eindringlichkeit, die jederzeit deutlich macht, wer Täter und wer Opfer war. Claus Hansmann, Grafiker und Maler aus München, hat vor 60 Jahren seine eigene Rolle gefunden in dem Krieg, dem er sich auch als Nazi-Gegner nicht entziehen konnte. Als Chronist hat er mit Zeichenblock, Notizzettel und Fotoapparat festgehalten, was er gesehen und erlebt hat.

Peter Lange | 15.06.2001
    Drei Uhr 15. In uns verfangen sich die herben Düfte des Holunders, wir träumen vom Möglichen und flechten Wünsche, Befürchtungen und Ungewissheit zum Inhalt dieser Nacht. Vorne das zärtliche Murmeln des Flusses, und drüben die schlafende russische Stadt. Dort an der Brücke der Grenzer, der erste Mensch, den dieser Tag hier fordern wird. Wir wissen schon, wie lange sein Leben noch bemessen ist.

    Der 22. Juni 1941 in den Aufzeichnungen des Grafikers und Malers Claus Hansmann.

    Wir waren im südlicheren Teil von Polen, na, mehr so Wolhynien hin, und lagen also am Bug und waren in der ersten Linie ...

    Claus Hansmann, heute 83 Jahre alt, schwerhörig und nach einem Schlaganfall gehbehindert, aber geistig hellwach. An den ersten Tag des Überfalls auf die Sowjetunion erinnert er sich noch genau. Er war damals Funker in einem Infanteriebataillon.

    Es wurde der Posten erschossen, und wir sausten runter, und die Infanterie wurde über den Fluss gesetzt von Pionieren, die mit Schlauchbooten da waren, und sehr bald waren wir auch dran, und dann hams schon geschossen. Die kamen ja zum Teil in Nachthemden aus den Kasernen rausgerannt, die Leute. (...) Sie haben ihren Vaterländischen Krieg schon an der Grenze begonnen.

    Claus Hansmann, geboren 1918 in München, die Mutter Klavierpädagogin und später Bildjournalistin, der Vater Schriftsteller und Übersetzer romanischer Literatur. Ein linksliberales Elternhaus, demokratisch und anti-nazistisch. Der Sohn absolviert die graphische Gewerbeschule und schließt 1939 das Studium an der Akademie für angewandte Kunst ab. Mit Kriegsbeginn wird er Soldat, erst in Frankreich, dann an der Ostfront gegen die Sowjetunion. Er ist ein Einzelgänger, hat als Funker ohnehin gewisse Freiräume und kann unbehelligt und weitgehend unbemerkt aufschreiben, was er beobachtet und erlebt. Die Funkzettel mit seinen Notizen und eine Vielzahl von Zeichnungen schickt er mit der Feldpost nach Hause.

    Ich hab immer etwas gemacht. Entweder gezeichnet oder geschrieben oder gekocht. Oder gelesen. Es gab ja in Russland überall, in jedem Arbeiterklub oder in jeder besseren Bibliothek gab es ja deutschsprachige Literatur, noch und noch....

    Schreiben, Zeichnen und Fotografieren - damit hat Claus Hansmann seinen eigenen Auftrag definiert: Er will als Chronist die Schrecken dieses Krieges festhalten. Und er hat damit auch ein Ventil gefunden, um mit den Erlebnissen des Krieges psychisch fertig zu werden.

    Diese Eindrücke, dadurch dass man sie festgehalten hat, und sich sozusagen öffnet für neue Eindrücke, dass das gar nicht so tief hineinsickert in die Seele. Sondern man ist Zeitzeuge, oder... das hab ich ja sehr stark empfunden, auch davon Zeugnis abzugeben gegenüber all diesem Verlogenheiten und dieser Quark, der also um einen herum war.

    Der Funker Hansmann protokolliert den Vormarsch durch die Ukraine. Wie die deutschen Truppen zunächst noch als Befreier begrüßt werden; die Gefechte mit versteckten sowjetischen Stellungen; Verwundung und Tod eigener Kameraden; aber auch die Erschießung von Gefangenen und Zivilisten:

    Man zerrt Menschen, vier armselige zerlumpte Gestalten, über ein Feld von öder Herbstlichkeit. Der Wind reißt das Wort Kugelfang von den Lippen einiger Feldgendarmerie-Schergen, die roh wie Viehtreiber Menschen mit vorgehaltenem Gewehr zueinem riesigen Strohhaufen treiben. Angststöhnen, schreckgeweitete Augen, verzerrte Gesichter. (...) Vier Gewehrläufe heben sich - längeres Zielen - ein zitterndes Kommando - Schüsse peitschen...

    Schon nach wenigen Monaten ist sich Claus Hansmann sicher, dass der Vorstoß der Wehrmacht ins Leere geht und allein wegen der Nachschub-Probleme zum Stillstand kommen muss.

    Ich habe so Mitte Oktober meiner Mutter geschrieben: Jetzt ist der Krieg verloren.

    Aber noch geht der Vormarsch weiter. Hansmann beschreibt in einem ganz eigenen Ton den Alltag des Krieges in seinen brutalen und absurden Facetten. Er zeichnet die Gesichter von Toten, Verwundeten und Erschöpften, von Deutschen und Russen.

    Selbst tilgt die Natur, was ihr angetan, deckt Wunden und Schmerzen, Hoffnung und Not. Alles schweigt, versinkt. Nur hier und dort wird noch ein Arm, ein im Todeskampf angezogener Schenkel aus der glitzernden Decke ragen, letzte Mahnung an das Schlachten einer Nacht, an einen Abschnitt der gigantischen Front des Sterbens.

    Für Claus Hansmann beginnt der Rückzug im Sommer 1942. In Woronesch am Don kommt er mit einem schwer vereiterten Ohr ins Lazarett. Dort treffen in den folgenden Tagen die verwundeten Soldaten der zusammengebrochenen Sommeroffensive ein. Auch seine eigene Einheit ist praktisch aufgerieben worden.

    Du begreifst es plötzlich selbst nicht, wieso gerade du heil bist. Warum gerade Du? Noch nachträglich überfällt die Beklemmung. Ihr seht euch an, ihr Übriggebliebenen, die ihr miteinander gelacht, gekocht, gegessen, geschlafen, euch gestritten und vertragen habt. In dir tut vorwitzig etwas weh, dass du nicht bei ihnen warst, obgleich die Vernunft sagt: Wohl nie wieder wird dir das Glück so sichtbar gewogen sein.

    Hinter der zurückweichenden Front kommt Hansmann weit Richtung Westen, bis nach Linz in Österreich. Während eines Heimaturlaubs in München zeigt ihm ein befreundeter Arzt, wie er sich mit Hilfe von Terpentin-Spritzen selbst Muskel-Entzündungen beibringen kann. Diese Selbstverstümmelung bringt ihm weitere Lazarett-Aufenthalte. Einmal noch muss Claus Hansmann für kurze Zeit an die Front, nach Tscherkassy. Aber die letzten Kriegsmonate erlebt er bei einer Dienststelle der Luftwaffe in München. Anfang Mai 45, die Amerikaner haben bereits Freising erreicht, ist für Claus Hansmann der Krieg zuende.

    Ich hab dann meinen Rucksack stehen lassen mit den ganzen Wehrmachtsklamotten. (...) und gedacht: Ich will das nicht mal als Putzlumpen benutzen, diesen ganzen Uniformkäse (...) bin nach Haus gegangen, mit dem Radel heimgefahren.

    Nach dem Krieg baut sich Claus Hansmann eine Existenz als freier Grafiker auf und engagiert sich in der Gewerkschaft Kunst. Zusammen mit seiner Frau gibt er mehr als 25 Bücher auf dem Gebiet der Kulturgeschichte und der Volkskunst heraus. Das Archiv, das er sich dabei aufgebaut hat, enthält schätzungsweise 40-Tausend Bilder. Vor zehn Jahren sind seine Aufzeichungen aus dem Russland-Krieg veröffentlicht worden, allerdings ohne öffentliche Resonanz. Seine eigene Rolle sieht Claus Hansmann heute irgendwo zwischen Schwejk und Simplizissimus.

    Ich bin mir auch klar, dass ich mit einem grenzenlosen Glück all solchen Sachen entkommen bin, wo ich heute sagen müsste: Grässlich, was ich damals getan... Nein, ich habe daran teilgenommen, aber nicht teilgehabt. Und ich würde wahrscheinlich heute noch dasselbe wieder tun.