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Claus Peymann wird 80
Leidenschaftliche Liebe zum Theater

Wenige Wochen ist Claus Peymann noch Intendant des Berliner Ensembles. An diesem Mittwoch feiert der immer Streitbare seinen 80. Geburtstag. Er hat wie kein anderer die deutschsprachige Theaterlandschaft geprägt - und nie ein Blatt vor den Mund genommen.

Von Maria Ossowski | 07.06.2017
    Regisseur Claus Peymann spricht bei einer Gedenkfeier
    Regisseur Claus Peymann (dpa/picture-alliance/Paul Zinken)
    "Mord und Totschlag" stand auf der Fahne, die Claus Peymann auf dem Wiener Burgtheater hissen ließ. "Mord und Totschlag" heißt auch das Erinnerungsbilderbuch mit seinen Inszenierungen und all den Skandalen wie Handkes "Publikumsbeschimpfung" oder Thomas Bernhards "Heldenplatz". "Mord und Totschlag" war und ist sein Lebensmotto. "Immer tollkühn sich ins Verderben stürzen, jeden umlegen, der einem in den Weg kommt", sagt Peymann und lacht. "Theater ist auch Waffe. Dass dann einige Verletzte schreien, ist in Ordnung so, die wollten wir ja auch verletzen. Das ist die Funktion von Kunst! Ich rege mich doch nicht auf bei der 'Publikumsbeschimpfung', weil ich Karriere machen will – das ist doch völlig idiotisch! Ich rege mich auf, weil das ein tolles Stück ist", sagt er – und mit Blick auf Thomas Bernhards "Heldenplatz": "Natürlich haben die Österreicher damals nicht gern gehört, dass sie alle Nazis und Judenhasser sind – sie sind es aber trotzdem!"
    "Peymann rülpst und schaut sich triumphierend um", stand 1947 als Tadel im Klassenbuch. In Hamburg legte der Studienratssohn das Abitur ab, schrieb sich an der Uni für Literatur ein und leitete eine Studentenbühne. "Ich wäre wahrscheinlich am allerliebsten Schriftsteller geworden. Die Einsamkeit des Schreibens hätte ich wahrscheinlich nicht aushalten können, darum bin ich als Familienmensch in die Familie der Schauspieler, der Ensembles gegangen."
    "Ich spreche Wahrheiten aus"
    Sein poetischer und gleichzeitig entlarvender Blick auf verlorene Seelen und gesellschaftliche Missstände provozierte das Publikum und zog die großen Schriftsteller unserer Zeit an. Thomas Bernhard, Elfriede Jelinek, Peter Turrini oder Thomas Brasch wurden Peymanns Lebensmenschen, seine Regiearbeiten in Bochum, Stuttgart und Wien Meilensteine des modernen Theaters. "Ich bin wahrscheinlich ein sehr ehrgeiziger und zugleich geltungssüchtiger Mensch", sagt Peymann. "Dadurch ist es mir gelungen, die ganzen Jahrzehnte über immer in der Champions League mitzuspielen und nicht nachzulassen."
    Die Wiener Bourgeoisie hasste den Intendanten der altehrwürdigen Burg. Die unangepassten Intellektuellen liebten ihn. "Ich bin sicher, ich spreche Wahrheiten aus – vehement und mit gewisser sprachlicher Gewalt – und das ist ja nicht angesagt, weil ja überall auch sprachlich Kompromisse gesucht werden", sagt Peymann. "Alle sind ja verwienert, auch die Berliner. Da ist natürlich einer, der hart, deutlich und mutig etwas sagt, gleich ein Krachmacher, der die Ruhe stört. Ja gut, okay - dann störe ich eben die Ruhe."
    "Eine Art anachronistisches Monstrum"
    Als Intendant am Berliner Ensemble sorgte er 18 Jahre fast jeden Abend für ein ausverkauftes Haus. Er hat Robert Wilson, Leander Hausmann und andere große Regisseure verpflichtet, sein eigener Stil erschien aber erschien vielen Kritikern zunehmend als museal oder zumindest klassisch-bürgerlich. Als der Senat ihm 2016 schließlich sein Ende als Intendant beschied und den Frankfurter Schauspielintendanten Oliver Reese zum Nachfolger bestimmte, polterte der große alte Theatermann noch einmal in bester Peymann-Manier: "Wenn ich mir diese Theaterkumpane in Berlin und sonst wo ansehe: Das sind doch alles Opportunisten. Die sehen ja schon genauso aus, wie diejenigen, die sie holen: Die Politiker, die gleichförmigen, fehlerlosen, geschichtslosen Manager – die will man ja auch eigentlich nicht. Und ich bin in dieser Hinsicht sicherlich eine Art anachronistisches Monstrum."
    Das "anachronistische Monstrum" hat die bundesdeutsche und die österreichische Theatergeschichte unnachahmlich geprägt. Das Verfallsdatum seines patriarchalen, oft despotischen Charakters und seines egomanen Poltergeistes mag abgelaufen sein, aber Claus Peymann war ein Bühnen-Modernisierer von jenem Format, das nur sehr schwer zu erreichen ist.