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Clausnitz
Ein Jahr nach der Attacke auf Flüchtlinge

Vor einem Jahr schlugen in Clausnitz ankommenden Flüchtlingen lautstarke Ablehnung entgegen. Die Bilder von den verängstigten Menschen gingen um die Welt. Inzwischen haben sich viele von ihnen eingelebt - auch wenn sie nicht unbedingt in dem Dorf bleiben wollen. Die meisten Clausnitzer wollen nicht mehr über die vergangenen Ereignisse sprechen.

Von Bastian Brandau | 17.02.2017
    Blick auf das Ortseingangsschild von Clausnitz in Sachsen.
    Viele Clausnitzer haben den Flüchtlingen mit Kleiderspenden oder beim Deutsch lernen geholfen. (dpa / Jan Woitas)
    "Wir fahren jetzt?- Ja ja, ich alleine. - Okay."
    Freitagmorgen in Clausnitz. Mit seinem roten Kleinwagen ist Marc Lalonde aus Dresden hergekommen. Der Iraner Sadegh Ranjbar hat schon auf ihn gewartet. Lalonde ist so etwas wie die gute Seele für die Menschen, die vor einem Jahr als Asylsuchende nach Clausnitz kamen. Der Franko-Kanadier hat ein Wochenendhaus im Nachbardorf von Clausnitz.
    Es geht ins etwa zwölf Kilometer entfernte Mulda. Ein Leben ohne Auto ist beschwerlich im Erzgebirge, wo die Entfernungen groß sind und die Nahverkehrsverbindungen spärlich. Und in Clausnitz gibt es zwar einen Supermarkt, aber keinen geldbeutelschonenden Discounter.
    20 Minuten Fahrt durch das verschneite Erzgebirge. Sadegh Ranjbar und Rohulla Mohtar, der aus Afghanistan kommt, erledigen den Wocheneinkauf für ihre Familien, und es geht zurück ins 800-Einwohnerdorf Clausnitz.
    Vor einem Jahr: Bilder verängstigter Flüchtlinge
    Als die ersten Flüchtlinge, unter ihnen auch Ranjba rund Mohtar, am 18. Februar in Clausnitz ankamen, blockierten Traktoren und Autos die Einfahrt zu ihrer Unterkunft. Ein wütender Mob grölte Parolen. Die Bilder der verängstigen Flüchtlinge in einem Reisebus gingen um die Welt.
    Aufwärmen bei Tee und Keksen in der Wohnung von Rohualla Mohtar und Sadia Azizi. Ihre sechs Monate alte Tochter Yasra ist gerade aufgewacht. An diesem kalten Wintermorgen erinnert nichts mehr an die feindselige Stimmung vor einem Jahr, sagt Sadia.
    "Hier sind nette Menschen, es ist ein gutes Dorf. Wir sind glücklich hier, haben Freunde, die wie eine Familie sind. Unser erster Tag hier war schrecklich, und wir hatten Angst, hier zu sein. Aber dann haben wir nette Menschen kennengelernt wie Marc und den Bürgermeister und seine Familie. Sie sind wirklich sehr nette Menschen."
    Viele Clausnitzer haben den Flüchtlingen geholfen. Sie sammelten Spenden, haben eine Kleiderkammer organisiert. Manche geben Nachhilfe und helfen beim Deutschlernen, erklärt Marc Lalonde. Wie empfindet er die Stimmung ein Jahr nach der Ankunft?
    "Ich denke es gibt immer noch ein paar Leute, die das nicht unbedingt gern sehen, aber haben das mehr oder weniger akzeptiert. Aber wie gesagt es gibt auch viele Leute, die helfen. Ich denke, jeder macht seine Sache und sein Leben, man grüßt sich, meistens auch freundlich, aber mehr ist dann auch nicht. Außer den Leuten, die helfen, oder beim Fußball spielen. Sonst gibt es keinen engeren Kontakt, aber auch keine Schwierigkeiten."
    Viele wollen nicht mehr darüber sprechen
    Vor einigen Wochen zeigte eine ARD-Dokumentation das Leben in den vergangenen Monaten im Dorf. Ein Abschluss sei dieser Film gewesen für ihn, sagt Bürgermeister Michael Funke am Telefon. Nun wolle er erst einmal nicht mehr mit den Medien sprechen. Auch andere Dorfbewohner lehnen das an diesem Tag in Clausnitz ab. Da hilft auch nicht die Hartnäckigkeit und das freundliche Lächeln von Marc Lalonde:
    "Ich denke, für sie ist das Kapitel beendet. Ja, es war schlimm, damals vor einem Jahr. Aber jetzt geht das Leben weiter, und immer darüber zu reden. Es gab auch viele Journalisten in Clausnitz, am Anfang jede Woche mehrere, dann jeden Monate mehrere. Zur Zeit sind es weniger, aber jetzt da es ein Jahr her ist mit der Busgeschichte, da gab es ein paar anfragen. Die Leute wollen nicht mehr drüber sprechen, das ist Vergangenheit, sie sind darüber hinweg."
    Man erhält einen Eindruck von der Stimmungslage, wenn man an der Tankstelle nachfragt. Beim Zahlen schlägt die zuvor noch freundliche Stimmung um, als ich mich als Journalist vorstelle. Man sei allergisch gegen solche Leute, sagt er. Weiter brauche man da gar nicht zu reden. Man solle doch einen anderen Beruf lernen, dann gehe es einem bestimmt besser. Näher komme ich so den alteingesessenen Clausnitzern an diesem Tag nicht.
    Viele der Flüchtlinge habe sich eingelebt
    Die Neu-Clausnitzer haben sich eingelebt, der eine mehr, der andere weniger. Alle haben ihre Asyl-Anträge gestellt, manche einen Job gefunden, so wie Sadias Freund Rohualla, der in einer Tischlerei arbeitet. Mehrere Flüchtlinge spielen Fußball im örtlichen Verein, die meisten fahren zu Deutschkursen in die Kreisstadt Freiberg. Neben Yasra sind noch drei weitere Kinder zur Welt gekommen. Jetzt hängen Schicksale von Herkunft und Asylrecht ab. Der Antrag von Rohualla Mohtar und Sadia Azizi aus Afghanistan wurde abgelehnt. Sie haben Widerspruch eingelegt. Sadegh Ranjbar und seine Frau Mahsa aus Iran haben dagegen einen positiven Bescheid erhalten. Geht es nach ihnen, ist nun ihre Zeit in Clausnitz bald vorbei:
    "Lieber Clausnitz, Clausnitz ist schön, aber es gibt keine Schule, keinen Beruf. Und Freiberg ist groß, von der Schule zur Wohnung ist es kein Weg."