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Clemens von Wedemeyer
Zwischen Kino und Kunst

Clemens von Wedemeyer beschäftigt sich in seinen Filmen mit den Wahrnehmungen des Betrachters. Seine Arbeiten bewegen sich zwischen zwischen Realität und Fiktion. Die Hamburger Kunsthalle widmet dem Berliner Künstler nun die erste Einzelausstellung in einem deutschen Museum.

Von Carsten Probst | 01.10.2016
    Der Künstler Clemens von Wedemeyer steht am 28.09.2016 in der Hamburger Kunsthalle in Hamburg wärend eines Presserundgangs durch die Ausstellung "Clemens von Wedemeyer - Orte unter Einfluss" in der Projektion seiner Arbeit "Square".
    Ausstellung Clemens von Wedemeyer in der Hamburger Kunsthalle. (picture alliance/ dpa/ Christian Charisius)
    Beifall und Jubel branden auf, als der gewählte Präsident von der Bühne in den Backstagebereich kommt, wo er von seinen Vertrauten und einigen Presseleuten erwartet wird. Von einer großen Entscheidung ist die Rede und einer neuen Zeit, die anbreche. Kurzum, man fühlt sich direkt hineinversetzt in die überaus unlustigen Inszenierungen von Politiksprech und Wahlveranstaltungen.
    Doch in den Minuten zuvor zeigt der Film den Präsidenten, wie er in diesem Raum allein seine Rede einstudiert, aus der hervorgeht, dass er seine Wahl ablehnen wird. Die Kamera zeigt das Geschehen aus immer derselben Perspektive, mit nur einer ständigen Einstellung, während derer die Protagonisten und Statisten kommen und gehen wie auf einer verborgenen Bühne hinter der Bühne.
    Besonders deutsche Themen bekommen Bedeutung
    Clemens von Wedemeyers kurzer Film "Die Probe" von 2008 ist ein exemplarisches Kammerstück, in dem sich viele Elemente seines Werkes spiegeln. Es sind, wenn man genauer hinsieht, wohl sehr deutsche Themen, die Wedemeyer umtreiben, auch wenn er mittlerweile durchaus international bekannt ist. Vermutlich vor allem durch sein Installationsprojekt "Muster" auf der Documenta 13 im Jahr 2012.
    Darin inszeniert er die wechselhafte Geschichte des ehemaligen Klosters Breitenau bei Kassel als Gefängnis, Konzentrationslager und schließlich als Heim für "schwer erziehbare" Mädchen auf drei Projektionsflächen in verschiedenen Filmebenen, in denen es immer um dieselbe Frage geht: Wie lässt sich eine zu Teilen grauenvolle Vergangenheit aus verschiedenen, durch tiefe Zäsuren voneinander getrennten Zeitschichten an die heute Lebenden vermitteln, mithin an Menschen, die nicht selbst Zeuge der Grausamkeiten geworden sind und sich dafür zu Recht auf nicht in Haftung nehmen lassen wollen.
    Schauspieler sollen für einen Film die Geschichte des Heims nachstellen, und eine Hauptdarstellerin befragt hierzu eine der einstigen Bewohnerinnen des Heims. Im Gespräch mit dem Regisseur kommen ihr Zweifel hinsichtlich der unüberbrückbaren Lücke zwischen dem eigenen und dem Leben der anderen.
    "Ich dachte, der Zweck des Films wäre es, die Leute draußen über die Zustände her im Heim aufzuklären. Oder nicht"
    "Ja, aber der Film hängt der politischen Debatte immer hinterher."
    "Dann muss man eben radikaler sein".
    "Ja, radikaler. Aber wenn der Film im Fernsehen läuft, dann ist das Heim vielleicht schon geschlossen, und die Mädchen sind entlassen."
    "Memory Check" führt zum Blick in die Vergangenheit
    Die Hamburger Kunsthalle verdichtet in ihrer Überblicksschau das Werk Wedemeyers zu einer Schau über öffentliches und privates Gedächtnis, die Unfähigkeit oder Unmöglichkeit, das eine mit dem anderen zu verbinden. Mit einem Soundtrack und Animationen, die an die Matrix-Trilogie der 90er Jahre erinnern, hat von Wedemeyer dieses Jahr ein dystopisches Szenario entwickelt, bei der eine Frau im Jahr 2051 ein Bankkonto schließen möchte, auf dem nicht nur Guthaben, sondern auch Erinnerungen gespeichert sind. Als sie vom Computersystem der Bank nicht erkannt wird, muss sie sich einem "Memory Check" unterziehen, der sie in die Bilderwelten ihrer Vergangenheiten einsinken lässt.
    "You are in a bank safe sector"---
    "Which one...?"
    Dokumentation und Fiktion vermischen einander
    Wedemeyers Inszenierungen wirken stets absichtsvoll gestellt, mit teils aufwendig konzipierten Kameraeinstellungen, und wirken darin wie Anknüpfungen an das Kino Rainer Werner Fassbinders: Dokumentation und Fiktion vermischen einander, scheinen sich absichtsvoll mitunter nicht zu ergänzen: Eher stehen sie unter gegenseitiger Beobachtung. Der Kinoraum verlagert sich nach außen, das Publikum soll sich seiner Rolle bewusst sein, dass es selbst Teil einer Aufführung ist, mit seiner Alltäglichkeit, seiner Kleidung, seinen unbewussten oder bewussten Gesten und seiner Sprache. Mitunter kommt dieser Anspruch in Wedemeyers Filmen leicht pädagogisch daher. Aber eine unentspannte Filmästhetik entspricht am Ende wohl auch exakt der Kultur eines Landes, das angesichts seiner Vergangenheit so sehr darauf bedacht ist, sich selbst zu verstehen.