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Clement-Vorschlag
Sind zwei Kanzler-Amtszeiten genug?

Bundestagspräsident Norbert Lammert fordert jüngst, die Legislaturperiode auf fünf Jahre zu verlängern. Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement will nun die Kanzler-Zeit auf zwei Legislaturperioden begrenzen. Obwohl die angesetzten Zeiträume letztlich willkürlich sind, zeigt die Debatte doch, wie sich unsere Demokratie verändert, meint Burkhard Müller-Ullrich.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 15.08.2015
    Der frühere Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist tot.
    Wolfgang Clement ist im Alter von 80 Jahren gestorben. (imago/Lumma Foto)
    Politik beruht heute immer weniger auf Zustimmung und immer mehr auf Ablehnung. Positive Ziele und Konzepte gibt es kaum, sondern es dominiert die Abwehrhaltung, das permanente Krisenmanagement. Auch Wahlentscheidungen beruhen mehr auf Verhinderungsverlangen denn auf Gestaltungswünschen. Wir erleben eine durchgehende Relativierung des Betriebs, deren Konsequenzen bloß dadurch gedämpft werden, dass Nichtwähler auf Wahlergebnisse keinen Einfluss haben. Es ist egal, aus welchem Grund und wen speziell sie nicht gewählt haben – ihre Stimme ist so verloren, als wären sie gar nicht wahlberechtigt.
    Doch das Ausmaß dieses allgemeinen Angeödetseins nimmt in einer Weise zu, die sich mit dem gängigen Gerede über Politikverdrossenheit bei weitem nicht mehr beschreiben, geschweige denn erklären lässt. Hier liegt das gravierendste Demokratieproblem der näheren Zukunft. Und hierin besteht der eigentliche Grund für den fabelhaften Erfolg von Angela Merkel. Ihre Wahlsiege kommen jedenfalls nicht dadurch zustande, dass die Menschen von ihr überzeugt sind. Dass es keine überzeugenden Gegenspieler gibt, ist auch nicht ausschlaggebend, sondern es liegt an dem sich gigantisch ausbreitenden Gefühl der Sinnlosigkeit von Politik.
    Demokratie ist Macht, geteilt durch Zeit mal Volk. So ungefähr lautet die Grundformel unseres politischen Systems. Die Zeit ist der Divisor, jede demokratische Regierung muss sich damit abfinden, dass ihre Amtsdauer von vornherein feststeht, auch wenn die Verlockung groß ist, sie etwas auszudehnen. Sogar erwachsene Minister benehmen sich dann wie kleine Kinder, die vom Spielplatz heimgerufen werden: "Ach bitte, bitte, kann ich noch ein bisschen bleiben?" Doch leider nein, das geht nur auf dem Weg der Wiederwahl, am Datum selbst lässt sich nicht rütteln.
    Nun trat Bundestagspräsident Norbert Lammert erst kürzlich mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die Legislaturperioden zu verlängern. Bislang wird hierzulande bekanntlich alle vier Jahre gewählt, Lammert befürwortet eine Ausdehnung des Intervalls auf fünf Jahre, weil die Parlamentarier am Anfang ihres Mandats ein halbes Jahr brauchen, bis der Laden läuft, und weil das letzte Jahr schon wieder im Zeichen des nächsten Wahlkampfs steht. Das heißt, von vier Jahren wird effektiv nur zweieinhalb gearbeitet.
    Deutschland bräuchte viel mehr fähige Politiker
    Anders gesagt: Die Produktivität des Bundestags liegt nach Auskunft seines Chefs bloß bei 60 Prozent! Deswegen sei es, so sagt er, "eine schlichte Frage der Zweckmäßigkeit, keine Grundsatzfrage", die Amtszeit zu strecken. Eine Grundsatzfrage ist es aber wohl, weshalb unsere Politiker so arbeiten. Dass sich die Wahlkampfzeiten immer mehr aufblähen, ist ja kein Naturgesetz, sondern eine Art Kollateralschaden der Tatsache, dass der Showcharakter der Politik generell zunimmt. Wenn alles nur nach dem Publikumseffekt bemessen wird, wird irgendwann ewiger Wahlkampf herrschen – auch wenn nur alle fünf Jahre gewählt wird.
    Aber warum gerade fünf Jahre und nicht sieben, wie es bei der Amtszeit des französischen Präsidenten bis 2002 der Fall war? Jede Zahl in diesem Zusammenhang ist willkürlich, und selbst bei zehn ist noch nicht das Ende der Demokratie erreicht, wenn dann der Wechsel garantiert wird. Angela Merkel richtet sich ja, wie man hört, bereits als gelehrige Schülerin Helmut Kohls auf ihre vierte Kanzlerschaft ein, und das veranlasste jetzt den früheren Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, eine generelle Begrenzung der Wiederwählbarkeit zu fordern.
    Also – Verlängerung hier und Verkürzung dort: es geht bei solchen Fragen des Machtkalenders auch um unser aller Zeitgefühl. Einerseits empfinden wir, gerade in unruhigen Zeiten, eine zunehmende Schnelllebigkeit. Dass unter diesen Umständen das parlamentarische Geschäft verlangsamt werden soll, ist paradox. Brauchen wir nicht angesichts der Weltlage vielmehr schnellere Politiker? Andererseits bringt es die wachsende Lebenserwartung mit sich, dass jeder Bürger mehr Wahltermine absolviert. Das spräche vielleicht für längere Fristen.
    Doch wenn die Wählbarkeit des Regierungschefs oder der Regierungschefin auf zwei Amtszeiten beschränkt wird, braucht Deutschland viel mehr Kandidaten, die das Zeug dazu haben. Daran fehlt es allerdings, wie die aktuelle Panik bei der SPD deutlich zeigt. Es widerspricht auch auf anderen Feldern jeder Lebenserfahrung, dass sich die Genie- und Talentquote eines Volks nach Bedarf erhöhen lässt. Letztlich ist dies der wesentliche Grund, weshalb sich auch genie- und talentärmere Figuren recht lange an der Macht halten können.