Mittwoch, 24. April 2024

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Barocke Liebeslieder
Perfekt genug?

Sopranistin Nuria Rial und Tenor Juan Sancho singen barocke Liebeslieder und verschmelzen dabei auch musikalisch zur Einheit. Die Capella Cracoviensis liefert wandlungsfähigen Originalklang dazu.

Am Mikrofon: Hannah Schmidt | 11.10.2020
    Eine braunhaarige junge Frau blickt in einem Portraitbild mit rotem Hintergrund in die Kamera.
    Nuria Rial hat für ihr letztes Album "Muera Cupido" den Opus Klassik erhalten. Ihr nächstes Projekt könnte ein ebenso großer Erfolg werden. (Mercé Rial/maier artists)
    Die spanische Sopranistin Nuria Rial widmet sich in ihrem neuen Album der Liebe – doch nicht nur der zwischen zwei Menschen.
    Musik: "Let the bright seraphim"
    Ein festlicher Lobgesang, so berauschend, wie ihn neben Georg Friedrich Händel kaum ein anderer Zeitgenosse komponieren konnte. "Lass alle Seraphim im glänzenden Rund die lauten, himmelwärts erhobenen Engelstrompeten blasen!" singt hier die katalanische Sopranistin Nuria Rial. Der Schlussgesang aus dem Oratorium Samson ist ein Jubel über den siegreichen Protagonisten und ein Lob des Gottes, der dem Volk Israel beigestanden hat.
    Musik: "Let the bright seraphim"
    "Human Love, Love Divine" – "Menschliche Liebe, Göttliche Liebe" ist der Titel, den die Barock-Expertin Nuria Rial ihrem neuen Album gegeben hat. Sie will darin nicht über körperliches Verlangen und zwischenmenschliche Betrügereien singen, zumindest nicht ausschließlich. Die Liebe hat viele Facetten, in den Händel-Arien und -Duetten, die Rial für die Produktion ausgewählt hat. Wie in der Antike finden sich hier drei Formen der Liebe: eros, die erotische, philia, die geistige, und agape, die dritte und höchste Form – die uneigennützige, spirituelle Liebe, wie sie die Israelitin im Oratorium verkörpert.
    Doch Nuria Rial singt nicht allein von der Liebe, erst recht nicht von der zwischenmenschlichen. Ihr Partner, den sie sich hierfür ausgesucht hat, ist der spanische Alte-Musik-Experte und Tenor Juan Sancho. An Rials Seite gibt er den Eroberer Hyllos aus Hercules, den vernünftig-verliebten Lurcanio aus Ariodante oder einen zärtlichen König Ahasverus an der Seite von Esther.
    Musik: "Who calls my parting soul"
    Sopran und Tenor – eine Kombination, die zu Händels Zeiten wenig üblich war. Vor allem sangen damals nämlich Sopranistinnen und Kastraten die Liebesduette in den Opern dieser Zeit. Die Art, wie Händel sich dieser damals ungewöhnlichen stimmlichen Kombination widmet, wirkt musikalisch ungemein aufmerksam. Er führt die Stimmen mit großer Achtsamkeit, scheint ihre jeweiligen Eigenheiten bisweilen zum Mittelpunkt der Komposition zu machen – wie in dem sich schier unendlich fortschraubenden Duett "Caro autor di mia doglia".
    Musik: "Caro autor di mia doglia"
    Im Duett "As steals the morn" aus dem dreiteiligen Oratorium L’Allegro, il Pensiero ed il Moderato – "Der Heitere, der Grüblerische und der Gemäßigte" fügen sich der Sopran als nachdenklicher und der Tenor als beschwingter Teil wie klingende Gegensatzpaare ineinander. Dabei gilt die Liebeserklärung hier nicht einander, sondern ist geistiger Art: "So wie der Morgen die Nacht vertreibt, auf dass alle Schatten schwinden, so verscheucht die Wahrheit jeden Trug", singen Rial und Sancho den gemeinsamen Text – jeweils mit ganz eigenen charakteristischen Färbungen. Und der assoziativen Kraft kleinster stimmlicher Nuancen. Das ist nicht nur kompositorische, sondern auch interpretatorische Duett-Kunst auf höchstem Niveau.
    Rials hochästhetischer Sopran und Sanchos runder Tenor schlingen sich wie feine Garnfäden umeinander, stets bereit im musikalischen Liebeslob noch etwas näher zueinander zu finden. Atmung, Phrasierung und Verzierung beider Sänger sind sich bis ins kleinste Detail einig. Sogar das exakt aufeinander abgestimmte Vibrato scheint manchmal eher auf einem Luftstrom zu schwingen denn auf zweien.
    Musik: "As steals the morn"
    So nah und ähnlich sich beide Stimmen zwischendurch sein mögen, so groß ist auch die Gefahr, dass sich ihre Interpretation in Schönheit und Harmonie verliert. Was kann perfekte, makellose musikalische Einigkeit schon über die unendlichen Verirrungen der Liebe erzählen. Sicherlich nicht genug. Ungebrochene Einheit umfasst schließlich nur eine von vielen Facetten des Phänomens. Zum Glück können Rial und Sancho aber auch das Gegenteil: Wie stimmliche Kontraste und schwankende Stimmungen Abgründe erzeugen und Zweifel überwinden können, zeigen sie im Duett "Dite spera, e son contento" aus Ariodante.
    Musik: "Dite spera, e son contento"
    Mit dem polnischen Ensemble Capella Cracoviensis unter der Leitung von Jan Tomasz Adamus hat Nuria Rial einen weiteren kongenialen Partner gefunden. Die Musikerinnen und Musiker spielen auf historischen Instrumenten. Sie ergänzen das sangliche Programm mit Tänzen und Ouvertüren. Auffallend dynamisch und enorm wandlungsfähig klingen diese Bälle, Gavotten und Menuette zwischen den Vokalpartien. Sie bereiten nachschwingend, vorfreudig auf die nächsten Zwiegespräche vor:
    Musik: "Menuett" aus Alcina
    Im Zusammenspiel mit Nuria Rial und Juan Sancho spielen Adamus und seine Musikerinnen und Musiker mit großer Sensibilität. Sie verschmelzen förmlich mit den dynamischen und rhythmischen Bewegungen der Singstimmen, mit ihrer klanglichen Elastizität und den spontanen Charakterwechseln. Ensemble und Sängerinnen und Sänger atmen gemeinsam; sie schreiten, tanzen, wandeln im selben Puls. Dieses Album über menschliche und göttliche Liebe scheint vor allem eins zu sein: Eine Liebeserklärung an Händels musikalische Lyrik.
    Musik: "Tra amplessi innocenti"
    "Human Love, Love Divine"
    Duette & Arien von Händel

    Nuria Rial, Sopran
    Juan Sancho, Tenor
    Capella Cracoviensis
    Jan Tomasz Adamus, Leitung

    Label: Deutsche Harmonia Mundi