Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Club Kalaschnikov

Wie der Titel bereits vermuten lässt, wird in diesem Roman geschossen, und zwar gleich auf der Seite 12 der deutschen Luxusausgabe. Anders als in der Heimat, wo die Millionenauflagen von Polina Daschkova im billigsten Taschenformat erscheinen und als literarisches Fastfood in der Moskauer U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit verschlungen werden, erhebt die deutsche Übersetzung einen wesentlich höheren Anspruch. Und zwar: das aufregende Leben im sogenannten "neuen Russland" so packend zu beschreiben, wie niemand zuvor. Etwas gekürzt, wesentlich besser redigiert als die russische Originalfassung erhielt der Roman auch einen neuen Titel: Aus eher banalem "Platz an der Sonne" wurde Club Kalaschnikov. Doch die berüchtigte Schnellschußwaffe kommt hier nicht zum Zug: Kalaschnikov ist in diesem Fall der Nachname eines Kasinobesitzers.

Elena Beier | 20.06.2002
    Als einziger Sohn eines berühmten Schauspielers aus der Sowjetzeit hatte Gleb Kalaschnikov alles: Geld, Beziehungen in den einflußreichsten und ebenso zwielichtigen Kreisen Moskaus, eine attraktive und erfolgreiche Primabalerina zur Frau. Doch vor dem Eingang seines Moskauer Hauses wird er von Unbekannten erschossen. Die Miliz präsentiert schnell eine Verdächtige: junge schüchterne Olga, die Geliebte des Ermordeten. Bei ihr findet man auch die Tatwaffe. Doch Kalaschnikovs Witwe, Katja - die Hauptfigur des Romans - startet ihre eigene "Ermittlung". Von Anfang an zweifelt sie an der Schuld der jungen Frau. Denn nicht nur die Geschäftspartner des Verstorbenen oder Mitglieder der kaukasischer Mafia profitieren vom plötzlichen Tod ihres Ehemannes. Ein anonymer Anruf bringt Katja auf die richtige Spur. Doch es ist nicht ungefähricih, nach der Wahrheit auf eigene Faust zu suchen. So richtig ungemütlich wird es, als der zweite Mord geschieht. Schnell gibt es für den geübten Krimi-Leser eine Menge Tatverdächtigen.

    Nebenbei und ohne der raffiniert aufgebauten Spannung Abbruch zu tun werden im Roman auch tüchtig sämtliche Russland-Klischees bedient: Mafia, Prostitution, alltägliche Brutalität, unvorstellbares Armut-Reichtum-Gefälle. Dabei öffnen sich hinter der Fassade, die dem deutschen Publikum aus den STERN-TV-Reportagen bekannt ist, die tiefsten Abgründe der berühmt berüchtigten "russischen Seele". Doch wer große Gefühle wie in den klassischen russischen Romanen des 19. Jahrhunderts - ob Dostojewskij oder Turgenew - erwartet, wird enttäuscht. Das neue Russland ist nichts für Romantiker und die Zartbesaiteten: Statt großer Ideale, Aufopferung und Liebe geht es um Macht und Geld. Und die häufigsten Beweggründe der Romanfiguren - dessen Lebensläufe (Freud sei Dank!) uns von der Autorin bereitwillig seit deren frühsten Kindheit präsentiert werden - sind Neid und Gier nach Erfolg, Wohlstand und Vergnügen. Ein wahres El Dorado für Hobby-Psychoanalytiker...

    Einzig Kalaschnikovs Witwe Katja steht darüber: Wer sich auf die Beziehungen des prominenten Elternhauses und des reichen Ehemannes verlassen kann, leistet sich eben auch solchen Luxus wie Selbstachtung oder moralische Grundsätze. Allerdings wird das von der Umwelt als Überheblichkeit aufgefaßt und provoziert im neuen Russland wesentlich mehr, als zu den Zeiten der Sowjetunion, als die Eliten sich abschotten konnten. Heute - gelobt sei die Pressefreiheit - ist das "süße Leben" der Reichen und Berühmten auch in Russland ein Thema für zahlreiche Klatschkolumnen und deren Leser träumen den gleichen Traum: Aufsteigen möchte man und zwar auch wenn man buchstäblich über Leichen steigen muß. Genau hier liegt auch der Schlüssel zur Auflösung der Intrige, die für Spannung bis zur letzen Sekunde sorgt.

    Bis dahin wird dem Leser allerdings einiges geboten. Eine illustre Gesellschaft bevölkert die Seiten des Romans: Hochrangige Politiker und Mafiabosse, Striptease-Tänzerinnen und Philosophiestudentinnen, Künstler und Journalisten, Moskauer Penner und Kriminalbeamte der Miliz lassen den Alltag in der russischen 11 Millionenmetropole aufleben. Man folgt den Romanfiguren in die Gemächer der Neureichen und in ärmliche Wohnungen weniger erfolgreicher Moskowiter, von einem Bankett bis hin in die geschlossene Anstalt für Geisteskranke. Dieses Buch bietet seinem aufmerksamen Leser wahrhaftig viel. Allerdings sollte man keine literarische Glanzleistung erwarten. Es ist eine klassische Strandlektüre: bunt, spannend aber oberflächlich. Das verleitet sogar einige Literaturkritiker in Moskau dazu, diese Art von Frauenkrimi als den "literarischen Strich" zu bezeichnen. Denn die 42-jährige Moskauerin Polina Daschkowa, die noch bis vor kurzem ihr Geld als Übersetzerin und Journalistin unter ihrem bürgerlichen Namen verdiente, produziert ihre Romane tatsächlich wie am Fließband. Doch für zwei Lesertypen bleibt "Club Kalaschnikow" auf jeden Fall lesenswert. Hier werden die klassischen Krimi-Liebhaber genauso auf Ihre Kosten kommen, wie diejenigen, die an Russland im 21. Jahrhundert interessiert sind. Denn dieser Roman ist der Realität viel näher, als wahre Kunst es eigentlich sein dürfte...