Mittwoch, 24. April 2024

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Co-Autorin Anna Seidel
"Den Körper inszenieren - aber selbstbestimmt"

Die phallische Gitarre zum sexy High Heel dekonstruieren - mit dieser Aktion ist die Band Chicks On Speed Vorbild für die Netzwelt. Im Internet trommeln junge Frauen für einen anarchischen und zeitgemäßen Feminismus. Der Sammelband "Play Gender" porträtiert die vielfältige Bewegung. "Es geht darum, Normen in Frage zu stellen", sagte Co-Autorin Anna Seidel im DLF.

Anna Seidel im Corso-Gespräch mit Susanne Luerweg | 09.08.2016
    Anna Seidel, Co-Autorin des Sammelbandes "Play Gender"
    Anna Seidel, Co-Autorin des Sammelbandes "Play Gender" (Deutschlandradio / Liliane Mofti)
    Beyoncé ist angeblich eine, Emma Watson ebenfalls und Taylor Swift sowieso. Die Liste selbsternannter, prominenter Feministinnen ließe sich endlos fortsetzen. Feminismus scheint zum verkaufsträchtigen Label verkommen. Dabei sieht es besonders in der Popwelt doch eher düster aus, wenn es um den weiblichen Anteil an Bands, Produzentinnen, Entscheiderinnen geht. Aber nicht nur in der analogen Welt sind Frauen noch lange nicht dort angekommen, wo man es sich wünschen würde. Auch in den digitalen Bereichen hinken Frauen häufig hinterher. Zwar gibt es mit "Mädchenmannschaft" in Deutschland durchaus einen Blog, der sich mit feministischen Themen beschäftigt, aber weltweit ist die Zahl gering. Dennoch könnte der Netzfeminismus Abhilfe schaffen und feministische Themen stärker auf die Agenda heben? Eine Frage, die wir mit Anna Seidel diskutieren wollen, Netzfeministin und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Münster, die einen Beitrag zum Thema "Netzfeminismus" in dem gerade erschienenen Buch "Play Gender" verfasst hat.
    Susanne Luerweg: Frau Seidel, zunächst einmal die Frage: Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Feminismus und Netzfeminismus, und wenn ja, welcher ist das?
    Anna Seidel: Naja, so wie es nicht den einen Feminismus gibt - es gibt Postfeminismus, Queer-Feminismus, Radikalfeminismus -, so gibt es eben auch nicht den einen Netzfeminismus. Also so divers wie die Bewegung im Real Life ist, ist sie eben auch online. Es gibt Feministinnen, die bloggen zu Sex, zum Islam, die bloggen zu Kapitalismuskritik, aber genauso eben zu Pop. Der Netzfeminismus ist da genauso bunt, wie wir das offline kennen.
    Luerweg: Sie sagen es gerade, es gibt da ganz viele Spielarten - wer sind in der Regel die Protagonistinnen, die sich im Netz tummeln?
    Seidel: Naja, Sie haben ja einen wichtigen Blog gerade schon genannt mit der Mädchenmannschaft. Das sind auch Frauen, die ich kennengelernt habe als solche, die auch gerne Debatten anstoßen, aufgreifen, die bloggen zu Themen wie aktuell zum Beispiel Gina-Lisa Lohfink und diesem Prozess, der gerade läuft, aber auch zu der Gesetzesänderung unter dem Hashtag #NeinHeisstNein, darüber haben wir schon gehört. Und was bei der Mädchenmannschaft toll ist, ist, dass sie eben auch nicht nur online unterwegs sind, sondern inzwischen auch Zeitungsinterviews geben, auf Podien zu finden sind, Workshops geben zum Thema.
    Luerweg: Das heißt, die sind eben auch analog unterwegs. Das ist gar nicht so schlecht, oder, wenn digital und analog sich an der Stelle verbinden, um eine größere Öffentlichkeit zu schaffen?
    Seidel: Das ist richtig, also was die Mädchenmannschaft sowieso toll macht, ist das Vernetzen - auch mit anderen Bloggerinnen zum Beispiel. Das machen die einmal online, indem sie immer wieder Link-Listen verschicken zum Thema Feminismus. Was ich auch toll finde, ist, dass man da sonntags auch seine eigenen Blogtexte verlinken kann im Selbermach-Sonntag.
    "Ich glaube nicht an den Unterschied: online/offline"
    Luerweg: Sind die Feministinnen sich ähnlich oder unterscheiden die sich letztendlich - die analogen Feministinnen und die, die eher im Netz unterwegs sind.
    Seidel: Also ich glaube ehrlich gesagt, dass das eine komische Frage ist. Manchmal wir das aufgemacht an so einer Generationensache.
    Luerweg: Ja, habe ich im Hinterkopf auch ein bisschen mitgedacht.
    Seidel: Ich glaube nicht, dass die Unterschiede online/offline sind, sondern einfach unterschiedliche Sozialisationen, unterschiedliche Erfahrungen und andere Medien, andere Möglichkeiten, sich auszudrücken.
    Luerweg: Kürzlich hat das Kunstmagazin 'Monopol' eine Liste mit Künstlerinnen veröffentlicht, die im Netz aktiv sind und feministisch aktiv sind, und da finden sich zum Beispiel Künstlerinnen, die Gruppen gebildet haben - ich glaube, das war in Kanada -, die dann eine gemeinsam Unterwäschelinie herausgeben. Das sind teilweise sehr laszive Bilder, die da inszeniert werden. Sagen Sie: Oh nee, das ist für mich nicht feministisch, oder: so kann man es auch machen?
    Seidel: Wenn Sie gerade von Künstlerinnen sprechen, die Feministinnen sind, da muss ich an Hito Steyerl zum Beispiel denken, aber auch an die Chicks On Speed, die sich glaube ich in München zusammengefunden haben, die durchaus auch ihre Körper inszenieren, aber der große Unterschied ist ja, dass sie das selbstbestimmt machen und dass sie selbst entscheiden, was sie da machen, und dass sie mit dem, was sie da machen und wie sie sich kleiden und das thematisieren, ja immer wieder auch Normen infrage stellen, ja einfach einen anderen Zugang dazu haben, als wenn der hundertste Mann die hundertste nackte Frau malt zum Beispiel. Also bei Chicks On Speed denke ich da zum Beispiel an diesen tollen High Heel, den die entwickelt haben, wo Gitarrenseiten drauf sind. Also man kann Gitarre spielen mit diesem Schuh und das ist schon eine spannende Sache, wenn man die phallische Gitarre so ein bisschen dekonstruiert und dann einen sexy High Heel daraus macht und als Künstlerin damit performen geht. Das ist glaube ich schon was anderes als so ein Rubens-Bild oder ähnliches.
    "Wenn man die Lupe mal nimmt, kann man wirklich gute Künstlerinnen finden"
    Luerweg: Jetzt sprechen Sie gerade schon im weitesten Sinne ja die Popmusik an. Chicks On Speed machen ja durchaus Musik, gerne auch auf Theaterbühnen. Und in der Popwelt da sucht man aber doch schon ein bisschen mühsam nach Frauen in der ersten Reihe. Haben Sie eine Erklärung, warum das immer noch so ist?
    Seidel: Wenn Sie jetzt Françoise Cactus von Stereo Total fragen würden, würde die sagen: "Die Frau in der Musik stört immer." Das ist natürlich was, was sie mit einem Augenzwinkern macht und was auch wir mit einem Augenzwinkern verstehen sollten, aber es ist nach wie vor so, dass, wenn Sie sich Popmusikmagazine anschauen oder so: Der Großteil der Cover wird von Männern bespielt, es sind weniger Frauen zu sehen. So sieht das auch aus - wahrscheinlich - in den Charts, auf den Bühnen dieser Welt, aber auch hinter den Bühnen dieser Welt. Das ist auch eine Sache, die richtig ist. Trotzdem glaube ich, wenn man die Lupe mal nimmt, kann man wirklich tolle Künstlerinnen finden wie eben Chicks On Speed oder Peaches oder Gossip zum Beispiel, die sich ja aus dieser feministischen Riot-Girl-Szene in den Popbetrieb "hochgearbeitet haben". Und sie haben ja gerade auch schon so Leute angesprochen wie Taylor Swift oder Beyoncé, die eher den umgekehrten Weg gegangen sind: Die sind erst Popstars gewesen, und haben sich dann zum Feminismus bekannt. Und das sind natürlich Sachen, über die man auch diskutieren muss: Nehmen die sich das Label jetzt nur zu Vermarktung oder ist das was, was wirklich aus deren Herzen kommt? But who am I to tell?
    "Vielleicht eher Popproblem und nicht unbedingt ein Feminismusproblem"
    Luerweg: Ja, das ist so ein bisschen das Problem, das wird ja durchaus diskutiert im Moment. Wie ist das, dieser Feminismus als Marke? Ist tatsächlich überall Feminismus drin, wo es draufgeklebt wird? Aber das ist wahrscheinlich wirklich ein schmaler Grat, das zu entscheiden.
    Seidel: Und das ist auch so ein bisschen die Krux und das Spannungsverhältnis mit dem wir uns da immer beschäftigen. Popfeminismus will ja beides: Das will einerseits die feministische Kritik am Pop, also ich schaue mir an, was für Frauenfiguren werden in den Kinofilmen präsentiert, zum Beispiel mit dem Bechdel-Test, und das andere sind dann eben die feministischen Setzungen innerhalb von Pop. Wenn zum Beispiel Kerstin Grether Romane schreibt wie "Zuckerbabys" oder "An einem Tag für rote Schuhe", und wenn eben Beyoncé dann die nigerianische Feministin Chimamanda Ngozi Adichie sampelt in ihrem Song "Flawless", dann sind das schon Sachen, wo wir Feminismen ausmachen können im Pop, und ich finde das erstmal toll. Das Ganze funktioniert natürlich irgendwie nach kapitalistischen Verwertungslogiken, das ist das Spannungsverhältnis, mit dem sich aber Pop allgemein auseinandersetzen muss und das ist dann vielleicht dann eher ein Popproblem und nicht unbedingt ein Feminismusproblem.
    "Ein Hashtag kann viele Leute, viele Erfahrungen miteinander bündeln"
    Luerweg: #Aufschrei, #NeinHeisstNein - wie wichtig sind diese Hashtags, was können sie bewirken?
    Seidel: Von Twitter oder Instagram kennen wir das ja, dass da so große Debatten eigentlich schwer möglich sind. Wir sind da bei Twitter auf 140 Zeichen begrenzt. Da funktioniert das nicht, lange zu diskutieren. Es braucht also sowas Markantes wie ein Hashtag, zum Beispiel #Aufschei, der ja Anfang 2013 durchaus für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Und was eben schön ist, ist, dass so ein Hashtag viele Leute, viele Erfahrungen miteinander bündeln kann und ja durchaus auch über die, in Anführungsstrichen, Szene der Netzfeministinnen hinaus für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Wie nachhaltig das war, ist dann eine andere Frage
    Luerweg: Das ist eine andere Frage und wir können über sowas nicht reden ohne über das sogenannte Hate Speech zu reden. Ich gehe davon aus, dass es für den Hashtag #NeinHeisstNein auch schon jede Menge Gegenwind gibt. Wie kann man sich da eigentlich schützen? Da gibt es die Empfehlung: Am besten man liest das gar nicht. Aber gerade kürzlich hat die wirklich bekannte Bloggerin Jessica Valenti gesagt: "Ich stelle nichts mehr ins Internet, es gab Morddrohungen gegen meine fünfjährige Tochter, jetzt reicht es." Das ist schwierig, oder?
    "Vernetzen, Verbünden, Mitstreiterinnen finden, nicht alleine sein ist da glaube ich eine gute Sache"
    Seidel: Das ist auf jeden Fall schwierig und egal mit welcher Online-Aktivistin Sie da sprechen, jede wird Ihnen erzählen, dass sie schon Vergewaltigungs- oder Morddrohungen erhalten hat in Kommentaren oder E-Mails - das ist mir auch schon passiert. Und abgesehen von dieser Regel: "Don't read the comments", die Sie ja gerade auch schon angesprochen haben, gibt es da natürlich auch andere Strategien. Man kann es ein bisschen konstruktiver versuchen und eine Netiquette auf dem Blog einführen, also dafür sorgen, dass es Regeln gibt, nach denen sich unterhalten wird. Das schützt natürlich trotzdem nicht davor, dass die Kommentare kommen und auch wenn sie moderiert werden - irgendwer liest sie ja, und das bin dann im Zweifel ich als Bloggerin. Trotzdem bietet es sich natürlich an, solche Kommentare zu moderieren und das geht ja in Sachen Hate Speech sogar soweit, dass große Zeitungen ihre Kommentarbereiche nicht immer für jeden Artikel öffnen, weil es eigentlich gar nicht möglich ist, den ganzen Hass zu bündeln. Eine Sache, die mir noch gut gefällt - und dann sind wir wieder bei der Mädchenmannschaft - ist eine Strategie, die da gefahren wird: Besonders blöde Kommentare werden von denen mit GIFs im "Feminist Fun Friday" illustriert, und da sieht man mal, wie Banane eigentlich die ganzen Kommentare sind. Und das ist schwer, das nicht an sich ranzulassen und gerade der Fall Jessica Valenti zeigt das je gerade, aber ja: vernetzen, verbünden, Mitstreiterinnen finden, nicht alleine sein ist da glaube ich eine gute Sache.
    Luerweg: Vielen Dank, Anna Seidel, Netzfeministin über die aktuelle Situation des Feminismus im Netz, außerhalb des Netzes und das Buch "Play Gender", in dem Sie zu dem Thema geschrieben hat, das Buch ist übrigens im Ventil Verlag erschienen und jetzt hätten wir noch ganz viel reden können - auch über den Song, den sich Frau Seidel ausgesucht hat, aber die Zeit ist knapp, deswegen moderiere ich den jetzt einfach an, "Le Tigre" und interessanterweise "Get Off The Internet", da können Sie noch kurz sagen warum?
    Seidel: Na eben weil es auch mal wichtig ist, sich mal offline zu treffen und nicht nur online sich auszutauschen.
    Luerweg: In diesem Sinne, Danke für das Gespräch.
    Seidel: Ich danke Ihnen auch, danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Fiona Sara Schmidt, Torsten Nagel, Jonal Engelmann (Hg.): "Play Gender. Linke Praxis - Feminismus - Kulturarbeit." Ventil Verlag, 248 Seiten.