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Code jenseits der DNA

Genetik. – Nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms stellen die Forscher fest, dass das Erbmolekül DNA beileibe nicht der alleinige Akteur ist. Erst im Zusammenwirken mit den Molekülen drum herum wird aus der Erbinformation auch eine brauchbare Anweisung für den Zellorganismus. Beispiele für die Moleküle drumherum sind bestimmte Proteine, deren Rolle Berliner Wissenschaftler jetzt in der aktuellen "Genomics" vorstellen.

Von Michael Lange | 20.11.2007
    Das Erbmolekül ist ein langer Faden, in dem sich Milliarden Erbbausteine wie Buchstaben hintereinander reihen. Immer wieder die gleichen vier Buchstaben: Adenin, Thymin, Guanin, Cytosin. Ihre Reihenfolge kodiert die Erbinformation. Beim Menschen erreicht dieser Erbfaden eine Länge von zwei Metern in jeder Zelle, erklärt Silke Sperling vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin.

    "Damit diese zwei Meter langen Buchstaben nun in einen winzigen Zellkern passen, nimmt die Zelle sich bestimmte Proteine, die Histone genannt werden, zu Hilfe und wickelt im wahrsten Sinne des Wortes diese ganze lange DNA auf diese Histon-Proteine auf. Und dadurch wird die DNA bis zu 200.000fach komprimiert."

    Dicht gepackt und sicher lagert die aufgewickelte DNA so in jedem Zellkern. Aber sie ist inaktiv. Damit die Baupläne auf der DNA in die Praxis umgesetzt werden können, muss die DNA abgelesen werden. Und dazu muss sie sich ablösen von ihrem Gerüst, den Histonen. Aber die Histone halten die DNA gewissermaßen fest. Sperling:

    "Und was wir untersucht haben, sind bestimmte Modifikationen am Gerüst, gewissermaßen Farbtupfer, welche verantwortlich sind für diese Anziehungskräfte. Und es gibt bestimmte Farbtupfer, die eben entgegen dieser Anziehungskraft wirken, die sie sozusagen vermindern, und es gibt welche, die sie verstärken."

    Was Silke Sperling "Farbtupfer" nennt, sind chemische Veränderungen an den Histonen. Typische biochemische Anhängsel: Acetylierungen, Phosphorylierungen oder Methylierungen. Sie entscheiden, ob und wie stark das Erbmolekül DNA zum Ablesen frei gegeben wird, oder ob der DNA-Faden am Gerüst haften bleibt. Die Farbtupfer bestimmen also, wie stark einzelne Informationen auf dem Erbmolekül abgelesen werden. So kontrollieren sie die Aktivität der Gene, also die Prozesse des Lebens in jeder Zelle. Sperling:

    "Es gibt nicht irgendwie einen Farbtupfer pro Gerüst oder pro Gerüstbaustein, sondern es gibt Kombinationen von Farbtupfern. Und man hat über zehn verschiedene Farben, wenn man so will: verschiedene Modifikationen bereits erkannt, wie Acetylierungen, Phosphorylierungen oder Methylierungen. Und was wir herausgefunden haben, ist, dass die Kombination der Farben der entscheidende Faktor ist für den Prozess der Ablösung."

    Die Kombinationen auf dem Gerüst sind also eine Art Code, neben dem eigentlichen Code des Lebens auf dem Erbmolekül DNA. Dieser Farbtupfer-Code auf dem Histon-Gerüst steuert die Umsetzung der Erbinformation. Er reguliert die Genaktivität. Im Zellkern bestimmt gewissermaßen das Gerüst, wo die Bauarbeiter aktiv werden, und wie schnell sie arbeiten. Sperling:

    "Das, was in den letzten Jahren immer deutlicher geworden ist; Dass es eben nicht nur die DNA selbst ist, sondern, dass verschiedene Level der Regulation hinzukommen, was wiederum die enorme Komplexität zeigt, mit der sicher gestellt wird vom Organismus, dass wirklich jede Zelle spezifisch reguliert werden kann."

    Die Fokussierung der Biologen ausschließlich auf das Erbmolekül DNA ist somit endgültig vorbei. Neben die Genetik setzt die Biologie neuerdings fast schon gleichberechtigt die Epigenetik. Sie erforscht die Begleiter und Regulatoren der Gene. Nach dem Genom-Projekt folgt das Epigenom-Projekt.