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Cohn-Bendit
Europa - jetzt erst recht

Trump, Putin, Wilders, Le Pen und Brexit - in vielen Ländern der EU herrschen Sorge und Verunsicherung. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit hat im Gespräch mit dem DLF eine klare Antwort darauf: Keine Rückkehr zum Nationalstaat, sondern mehr Europa. Vielleicht mit einem Europäischen Bundesrat?

21.02.2017
    Ds Bild zeigt den deutsch-französischen Grünen-Politiker und früheren Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit auf einer Konferenz in Paris am 15. April 2016. Er sitzt hiter einem Mikrofon und gestikuliert mit beiden Händen.
    Der deutsch-französische Grünen-Politiker und frühere Europaparlamentarier Daniel Cohn-Bendit, hier auf einer Konferenz in Paris am 15. April 2016. (AFP / Bertrand Guay)
    Grundlegende Probleme auf dem Kontinent liegen aus Sicht Cohn-Bendits bereits in der Zeit der Osterweiterung begründet: "Sie war richtig, aber die Ungleichheiten wurden nicht durch einen gemeinsamen Haushalt austariert", sagte der frühere Europaabgeordnete dem Deutschlandfunk. Der Etat der EU mache lediglich ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während der föderale Haushalt der USA 27 Prozent des BIP betrage.
    Willy Brandt 2.0
    In diesem Zusammenhang erinnerte Cohn-Bendit an geflügelte Worte des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt und fordert: "Wagen wir mehr Demokratie, wagen wir mehr Europa!" Ein Zurück zum Nationalstaat, wie es in einigen EU-Ländern derzeit diskutiert wird, sei der falsche Weg. In diesem Zusammenhang schlägt der deutsch-französische Publizist Änderungen auch am Wahlrecht vor.
    Vorbild Deutschland
    Bei der Europawahl solle ein Teil der Abgeordneten weiterhin national, ein weiterer jedoch über "transnationale bzw. transeuropäische Listen" bestimmt werden. Zudem sollten die Wähler sich mit verschiedenen Spitzenkandidaten für das Amt des Präsidenten der Europäischen Kommission auseinandersetzen können. Im Ergebnis gäbe es neben dem Europaparlament eine zweite Kammer, einen Europäischen Bundesrat. Konkret überlegt Cohn-Bendit: "Die gesamteuropäische Zuständigkeit sowie die geteilte Souveränität müsste so definiert werden, wie es etwa im Grundgesetz der Bundesrepublik der Fall ist."
    Das Bild zeigt Ursula Welter im Zeitzeugen-Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit. Beide sitzen gemeinsam an einem Glastisch. 
    Ursula Welter im Zeitzeugen-Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit (DLF / Oliver Dannert)
    Gemeinsame Sicherheitsordnung
    Bei der Sicherheitspolitik wird Cohn-Bendit sehr deutlich: "Das Paar Trump-Putin ist die Geburtsstunde der europäischen Verteidigungsunion". Derzeit gebe es etwa zwei Millionen Soldaten in der EU, die aber wegen vieler Doppelstrukturen und Mehrfachausrüstung mit ähnlichen Waffen nicht sehr effektiv seien. Für eine gemeinsame Sicherheitsordnung mit einer schlagkräftigen EU-Armee sind aus Sicht des Grünen-Politikers lediglich rund 400.000 Soldaten nötig. Zugleich betonte er die Notwendigkeit der demokratischen Kontrolle einer solchen Truppe durch das Europaparlament. Letztendlich müsse der französische Sitz im UNO-Sicherheitsrat ein gemeinsamer für die EU werden. Und selbst einen Übergang von Frankreichs Atomwaffen in eine europäische "defensive Nuklearverteidigung" hält Cohn-Bendit für möglich.
    Grüne Speerspitze?
    Seinen deutschen Parteifreunden empfiehlt er, das Thema Terrorbekämpfung "offensiv" anzugehen, damit sie nicht wie die Kollegen in Frankreich an Zuspruch beim Wähler verlieren. "Sie müssen die Frage aufgreifen und erklären, warum die Sicherheit Deutschlands national nicht mehr gelöst werden kann." Konkret empfiehlt Cohn-Bendit auch hier mehr Europa, etwa einen EU-Staatsanwalt und ein europäisches FBI. Die deutschen Grünen müssten sich nun "an die Spitze einer modernen Sicherheitskonzeption" stellen und sich nicht weiter kleinteilig mit Debatten etwa über mehr oder weniger Videoüberwachung aufhalten.
    Daniel Cohn-Bendit äußerte sich in der DLF-Sendung "Zeitzeugen im Gespräch". Das vollständige Interview mit ihm können Sie am 23.02.2017 ab 19.15 Uhr hören. Anschließend stellen wir Audio und Text auch auf deutschlandfunk.de zur Verfügung.