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Collier: Eine Niederlage hätte Obama bloßgestellt

Nachdem das Repräsentantenhaus der Gesundheitsreform zugestimmt hat, sei US-Präsident Barack Obama bei seinem wichtigsten innenpolitischen Ziel einen Schritt weiter, meint Professor Irwin Collier vom John-F.-Kennedy-Institut in Berlin.

Irwin Collier im Gespräch mit Gerwald Herter | 22.03.2010
    Gerwald Herter: Feige ist er ganz gewiss nicht, der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Barack Obama hat in den letzten Tagen alles auf eine Karte gesetzt und das war erfolgreich. Die Reform des Krankenversicherungssystems in den USA ist das Wichtigste innenpolitische Vorhaben seiner Amtszeit. Mag der Widerstand vieler Republikaner auch noch so erbittert sein, zumindest da ist man sich in Washington offenbar einig. Dass man sich über Gesundheitsreformen streiten kann, wissen auch wir in Deutschland. Was aber hinter der Auseinandersetzung in den Vereinigten Staaten steckt, kann uns jetzt Professor Irwin Collier sagen. Mit ihm bin ich nun in Berlin verbunden, wo er am John-F.-Kennedy-Institut arbeitet. Guten Morgen, Herr Collier.

    Irwin Collier: Guten Morgen, Herr Herter.

    Herter: Die Menschen in den Vereinigten Staaten wollen Präsidenten gewinnen sehen. Das sagt man so in Deutschland. Das stärke die Popularität der Präsidenten. Gilt das auch für Obama und die Reform des Gesundheitswesens, oder wird er jetzt schwächer, wenn die Auswirkungen bekannt werden?

    Collier: Obama musste zeigen, dass er doch in der Lage ist zu halten, was er schon versprochen hat. Das war ein Kernstück von Obama und auch vor Obama mit Hillary Clinton. Das war stark betont in der Präsidentschaftswahl als Thema. Ohne Ergebnisse wäre Obama total bloßgestellt. Deshalb wussten die Demokraten, es war notwendig, hier wirklich Farbe zu zeigen und einen Erfolg zu bringen.

    Herter: Also Obama hat gezeigt, dass er Wahlversprechen einlösen kann. Kommt aber die Nagelprobe bei den Wahlen im Herbst?

    Collier: Mindestens ist das schon der erste Schritt. Die ganzen Auswirkungen, was das für eine Bedeutung hat, auch leider, muss ich sagen, alle Vorzüge, wird man noch nicht so richtig genossen haben vor der Wahl. Diese Art Debatte, Kulturkampf zwischen Demokraten und Republikanern, was wir gesehen haben, das wird weitergehen für die nächsten Monate, das ist nicht vorbei.

    Herter: Die Wahlen kommen also etwas zu früh, um auch die positiven Auswirkungen dieser Reform zu begreifen. Erklärt sich daraus auch der Widerstand bei einigen demokratischen Abgeordneten?

    Collier: Man darf nie vergessen: Amerika war vor der Wahl so eine gespaltene Gesellschaft, eine Fifty-fifty-Gesellschaft. Es bleibt nach wie vor so. Manche Demokraten, auch wenn die im Herzen so eine Gesundheitsversicherungsreform unterstützen, sind in einer prekären Lage, und das werden die Republikaner so gut wie möglich ausnutzen, weil jetzt können sie genau zeigen, wer war dran, und die Ergebnisse waren knapp genug, dass man doch in den Wahlkampf gehen kann und sagt, derjenige war dafür verantwortlich. Die Demokraten haben echt zu befürchten, dass sie doch die Mehrheit im Abgeordnetenhaus verlieren werden.

    Herter: Die Republikaner haben sogar damit gedroht, die Befürworter der Reform mit Fernsehspots zu brandmarken. Woraus erklärt sich dieser beinharte Widerstand gegen eine Krankenversicherung für alle?

    Collier: Das können wir hier in Europa gar nicht verstehen. Man hat sich daran gewöhnt, man hat gesehen, wie das funktioniert. Die Frage, wie ist es möglich, dass ein Land, das einen Mann auf den Mond schicken kann, die Erfahrung in Europa und anderswo nicht wahrnehmen kann, das kann ich leider meinen Landsleuten auch nicht erklären. Also da ist ein Freiheitsbegriff, aber ich denke, was wir hier insbesondere sehen, da ist ein Umverteilungsmoment.

    Ungefähr zwei Drittel von den 32 Millionen neu versicherten US-Bürgern werden Unterstützungen, Transfers brauchen, um die Versicherungsprämien zu zahlen. Also es ist nicht nur eine Gesundheitsversicherung, die allen zugute kommt, dass man weiß, man wird nicht die Versicherung verlieren, wenn man plötzlich schwer krank wird, aber zwei Drittel davon sind Leute, die jetzt Extra-Transfers bekommen. Ich denke, das spielt hier eine Rolle.

    Herter: Also es kostet wahnsinnig viel Geld im nächsten Jahrzehnt, an die 700 Milliarden Euro, eine Summe, die man sich schwer vorstellen kann. Aber Ideologie spielt da eine Rolle, Sie haben das so ein bisschen angedeutet. Auf der anderen Seite aber auch: Die Republikaner haben sicher gerochen, dass das ein sehr, sehr wichtiges Projekt von Obama ist, und wollten hier strategisch den Hebel ansetzen.

    Collier: Absolut! Es war strategisch gedacht. Deshalb haben die diese Strategie, alles zu verneinen, was der Obama überhaupt will. Alle Versuche von Obama, zusammen mit den Republikanern irgendwas zu gestalten, da sind alle Bemühungen von Obama und den Demokraten schon gescheitert. Wir werden auch sehen, ob die Republikaner mit diesem totalen Verneinungskrieg gegen die Demokraten, ob das langfristig gelingen wird.

    Herter: Obama hat eine außenpolitische Sache verschoben, nämlich eine Reise nach Asien, um diese Abstimmung durchzubringen. Das ist geradezu symbolhaft. Können wir in nächster Zeit erwarten, dass Obama sich wieder stärker auf die Außenpolitik konzentriert?

    Collier: Da sind noch innenpolitische Themen, die auch wichtig sind, aber ich denke, das Wichtigste außenpolitische Thema bleibt nach wie vor Afghanistan und Irak. Die zwei Kriege zusammen werden auch eine große Rolle spielen, ob Amerika rechtzeitig weg von Irak die nötige Stärke und noch wichtiger Erfolg gegen die Terroristen in Pakistan, in Afghanistan erzielt. Da wollen die Amerikaner etwas sehen. Ich denke, das wird eine sehr hohe Priorität mindestens vor der Wahl bekommen.

    Herter: Auffällig sind aber auch die Verstimmungen im Verhältnis zu Israel. Hat Obama hier überzogen? Der israelische Premier Netanjahu wird nach Washington reisen. Muss Obama versuchen, hier zu einer Verständigung zu kommen?

    Collier: Die Beziehung mit Israel wird nicht nur für die USA eine schwierige Liebesbeziehung bleiben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Obama das relativ gut managen kann. Aber die Lage im Nahen Osten, da müssen wir uns keine Illusionen machen, wird nicht nur von US-Präsidenten, wie gut die auch sein mögen, bestimmt, wie der Erfolg da aussieht. Er kann nur zu einer besseren Stimmung beitragen.

    Herter: Professor Irwin Collier vom John-F.-Kennedy-Institut in Berlin über Obama und die Reform des amerikanischen Krankenversicherungssystems. Herr Collier, vielen Dank.

    Collier: Bitte schön.