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Colum McCann: "Apeirogon"
Hochliterarische Friedensbotschaft

Zwei Väter verlieren ihre Töchter im Nahostkonflikt. Sie müssten Gegner sein, doch sie werden zu Freunden und reisen in viele Länder der Erde. Der Ire Colum McCann erzählt in seinem neuen Roman eine wahre Geschichte. Dazu bedient er sich einer geometrischen Figur mit unendliche vielen Seiten.

Von Tanya Lieske | 09.08.2020
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Colum McCanns Meisterwerk "Apeirogon" (Rowohlt Verlag )
Apeirogon, der neue Roman von Colum McCann, spielt in Israel und in den besetzten Gebieten des Westjordanlands. Es ist ein von der Literatur gut kartografiertes Gelände. Namhafte israelische Gegenwartsautoren haben von den bitteren Erfahrungen erzählt, die mit einem Leben im Nahen Osten einhergehen können, unter ihnen Zeruya Shalev und die beiden Friedenspreisträger David Grossman und Amos Oz.
Colum McCann stieß während einer privaten Reise als Ortsfremder auf die Geschichte der beiden Freunde Bassim Aramin und Rami Elahan, und die ihrer getöteten Töchtern Abir und Smadar. Smadar Elahan wurde im Alter von 13 Jahren 1997 durch ein Sprenstoffattentat in der belebten Ben Yehuda Straße in Jerusalem getötet. Abir Aramin starb 2007 durch die Kugel eines israelischen Soldaten. Für seine Adaption dieser tragischen Ereignisse wählt Colum McCann eine Blende aus Realität und Imagination. Das Ergebnis nennt er einen "Hybridroman" und erklärt in einem knappen Vorwort, wie aus den befreundeten Vätern die Protagonisten seines neuen Romans "Apeirogon" wurden.
"Die Erzählungen der beiden Männer im Mittelteil des Romans sind Zusammenschnitte aus mehreren Gesprächen, die wir in Jerusalem, New York, Jericho und Bait Dschala geführt haben. Bei den anderen Teilen haben Bassam und Rami mir erlaubt, frei mit ihren Worten und Lebensgeschichten umzugehen oder sie zu verändern. Trotz dieser Freiheiten hoffe ich, ihre gemeinsamen Erfahrungen wahrheitsgetreu wiederzugeben. Wir leben unser Leben, schrieb Rilke, in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehen."
Zählbar Unendlich
Nicht nur in diesem Roman von Colum McCann rumort ein moderner Wiedergänger des Rilkeschen Weltgeistes. Ob McCann in "Die große Welt" über den Seiltänzer Philippe Petit schreibt, der 1974 zwischen den Twin Towers von New York balancierte oder in "Transatlantik" über die Friedensmission des amerikanischen Senators George Mitchell in Nordirland, dieser Autor sucht nach dem Sinn hinter den Manifestationen des Alltags. Neu ist diesmal die politische Brisanz des Stoffs: Der Nahostkonflikt beherrscht seit mehr als sieben Jahrzehnten die politische Weltbühne.
Eine Lösung der verfahrenen Situation scheint unter der Präsidentschaft Donald Trumps weiter entfernt denn je. Im amerikanischen Original erschien McCanns Roman bereits im Februar 2020, kurz vor dem Aufflammen der Bewegung Black Lives Matter. Damit trifft er auf ein gesellschaftliches Umfeld, in dem um die Legitimitation kultureller und künstlerischer Aneignungen lautstark gerungen wird. Colum McCann scheint diese Fragen mit Sorgfalt bedacht zu haben. Seine Antwort bildet sich in der Struktur seines Romans ab: Diese garantiert eine Multiperspektivität und die Beobachterposition des Erzählers.
"Apeirogon: eine Figur mit einer zählbar unendlichen Menge Seiten. Zählbar unendlich ist die einfachste Form der Unendlichkeit. Angefangen bei Null, zählt man unter Verwendung der natürlichen Zahlen immer weiter, und obwohl das Zählen unendlich andauert, kann man in einer begrenzten Zeitspanne an jeden Punkt des Universums gelangen. "
Colum McCanns Verfahren erinnert an die Schule der französischen Oulipolisten. Der Autor setzt eine Struktur, welcher der Inhalt, die Sprache und die Erzählhaltung des Romans nachfolgen. Freiheit entsteht durch Ordnung. Die Form ist hier die geometrische Figur eines Apeirogons, das griechische Wort setzt sich aus "Unendlich" und "Winkel" zusammen. Schematische Darstellungen eines Apeirogons zeigen meist eine Kugel, die wie von einer Netzhaut von vielen Punkten überzogen ist, welche in wechselnder Dichte miteinander kommunizieren.
Es gibt auch Auflösungen im Raum: Dann hat man es mit einer Kette von Rauten zu tun, die sich in leichtem Versatz wiederholen. Colum McCann übersetzt diese Prinzipien von Symmetrie und Wiederholung in zwei Reihen von jeweils 499 Prosastücken, die nummeriert sind, und die einmal aufwärts, einmal abwärts gezählt werden. Diese Prosatexte können Miniaturen sein, nur aus einem einzigen Satz bestehen, oder sie können sich über mehrere Seiten hinweg ziehen. Dort, wo die Nummern 500 einander begegnen, im Zentrum des Romans also, haben die beiden Väter selbst das Wort:
"Mein Name ist Rami Elhanan. Ich bin der Vater von Smadar. Ich bin siebenundsechzig und Graphikdesigner, Israeli, Jude, Jerusalemer in siebter Generation. Und vielleicht so etwas wie ein Holocaust-Absolvent. Meine Mutter wurde in der Altstadt von Jerusalem geboren, als Tochter einer ultraorthodoxen Familie. Mein Vater kam 1946 her. Er sprach nur selten darüber, was er in den Lagern gesehen hatte, außer mit meiner Tochter Smadar, als sie zehn oder elf war.
Die erste Möglichkeit liegt auf der Hand: Rache. Wenn jemand deine Tochter tötet, willst du Vergeltung. Du willst einen Araber töten, irgendeinen, und dann willst du seine Familie töten und alle in seiner Umgebung, so lauten die Regeln, das erwartet man von dir. Jeder Araber, der dir über den Weg läuft, soll sterben. Natürlich musst du ihn nicht selber töten, das überlässt du anderen, deinen Politikern, den sogenannten Anführern. Du verlangst, dass sie eine Rakete in sein Haus schießen, ihn vergiften, ihm sein Land wegnehmen, sein Wasser stehlen, seinen Sohn verhaften, ihn an den Checkpoints verprügeln. Wenn du einen von meinen Leuten tötest, töte ich zehn von deinen. Der nächste Selbstmordanschlag führt zum nächsten Luftangriff. Und immer so weiter."
"Mein Name ist Bassam Aramin. Ich bin der Vater von Abir. Ich bin Palästinenser, Muslim, Araber. Ich bin achtundvierzig. Ich habe an vielen Orten gelebt – in einer Höhle bei Hebron, sieben Jahre im Gefängnis, danach in einer Wohnung in Anata, und jetzt wohne ich in einem Haus mit Garten in Jericho nicht weit vom Toten Meer.
Biebel und Borges, Kafka und Koran
Was bleibt, wenn Steine ihre Botschaft verlieren? Wir mussten lernen, die Kraft unserer Menschlichkeit einzusetzen. Unerbittlich auf Gewalt zu verzichten. Uns den Dingen zuzuwenden, die wir einander sagen müssen. Das hat nichts mit Einknicken oder Schwäche zu tun, im Gegenteil, das ist menschlich."
Dies ist ein Roman mit einer Botschaft. Es geht um Frieden, und darum, wie dieser entstehen kann, nämlich im Verzicht auf Rache. Bassam Aramin, 1969 in Hebron geboren und Rami Elahanan, 1950 in Israel geboren, sind die Gewährsmänner dieses Unterfangens. McCanns Erzähler folgt ihren literarischen Ebenbildern zu einem Treffen der Friedensgruppe, in der beide aktiv sind. Das Treffen findet an einem Abend im Herbst 2016 in einem Kloster in den Bergen von Judäa statt. Die Anreise des einen mit dem Motorrad aus Jerusalem und die Abreise des anderen mit einem schwarzen Kia zurück nach Jericho entspricht der äußeren Erzählbewegung des Romans.
Natürlich klingt hier der Ulysses von James Joyce an. McCann legt im Laufe seines knapp sechshundert Seiten starken Romans mehr als eine Fährte zu labyrinthischen Texten. Das Aleph von Borges, Kafka, Rumi, Rilke, die Bibel, der Koran, die Kabbala, sie alle stärken den Verweischarakter der Prosaminiaturen und bekräftigen den literarischen Anspruch des vorliegenden Romans. Dabei entstehen ganze Ketten und Motivreihen, die auf bestechende Art miteinander kommunizieren:
"Fünfhundert Millionen Vögel ziehen jedes Jahr über den Hügeln von Bait Dschala durch die Lüfte. Sie folgen den Wegen ihrer Vorfahren. Sie landen auf Bäumen, Telegraphenmasten, Stromleitungen, Wassertürmen, sogar auf der Mauer, wo sie gelegentlich zu Zielscheiben junger Steineschleuderer werden. Es ist die zweitgrößte Flugroute der Welt: Mindestens vierhundert Vogelarten ziehen in unterschiedlichen Höhen vorbei. Große Vs in geräuschvoller Entschlossenheit. Einzelreisende gleiten dicht über dem Gras. Jedes Jahr sieht die Landschaft unten anders aus: israelische Siedlungen, palästinensische Wohnblocks, Dachgärten, Kasernen, Absperrungen, Umgehungsstraßen."
Den von Menschen errichteten Grenzen stellt Colum McCann im ersten Teil seines Romans, aufsteigende Nummerierung, die Bewegungen der Zugvögel gegenüber, deren Flugrouten durch den Nahen Osten führen. Im zweiten Teil, absteigende Nummerierung, verfolgt er den Lauf des Flusses Jordan, bis dieser ins Tote Meer mündet. Vögel wie Wasser, sie stehen für Freiheit und Leben, erscheinen hier beschädigt, gefährdet, verschmutzt.
McCanns Roman ist illustriert mit 20 kleinen, scheinbar beiläufigen Abbildungen, die wie in den Texten von WG Sebald einen aparten Bezug zur außerliterarischen Wirklichkeit herstellen. Einige davon zeigen die harsche Topografie der besetzten Gebiete: Straßensperren, Verbotsschilder, und Betonpfeiler stehen für eine Landschaft, die in Hass erstarrt ist. Andere Fotos vermitteln einen möglichen Ausweg, so eine von Smadar gezeichnete Friedenstaube und ein hebräischer Aufkleber auf Ramis Motorrad: "Es wird erst vorbei sein, wenn wir reden".
Auf dem Weg ins Kloster und nach Hause denken beide Männer über ihr Leben nach, was weitere subkutane Verbindungen ermöglicht. Rami hat im Alter von 23 Jahren am Yom Kippur Krieg 1973 teilgenommen und ist, das sagt sein literarisches alter ego, nur durch einen Zufall mit dem Leben davon gekommen. Aramin, der jüngere von beiden, hat im Alter von 17 Jahren kurz vor der ersten Intifada eine Handgranate nach einem Jeep geworfen und verbrachte danach sieben Jahre in einem israelischen Gefängnis. Das, was er dort an körperlichen Misshandlungen erfährt, ist auch in literarischer Form schwer zu ertragen:
"An seinem 19. Geburtstag lag er wieder einmal auf der Krankenstation, mit zwei Zähnen weniger, mehreren gebrochenen Knochen und einem leer gelaufenen Infusionsschlauch im Arm. Über dem Bett hingen Kameras: er drückte sich an die Wand, damit niemand sah, wie er sich in den Schlaf weinte."
Rami und Bassam überwinden die Widrigkeiten ihrer Biografie. Jeder hat dabei sein eigenes persönliches Erweckungserlebnis. Für den Israeli Rami ist es die Erkenntnis, dass auch palästinensische Eltern Hinterbliebene sind, wie es in Israel heißt, dass auch sie Kinder durch Terror und Gewalt verloren haben. Für den Palästinenser Bassam ist es ein Film über die Shoa, den er im Gefängnis sieht. Auch der reale Bassam Aramin hat später in seinem Leben ein Jahr in Großbritannien verbracht, um an der Universität von Bradfort den Holocaust zu studieren. Die beiden Männer, ihre Erweckung und ihre Umkehr zum Pazifismus, das sind Passagen, in denen sich Colum McCanns Roman dem Heldentopos zuneigt; hier tut die Stütze durch die reale Vorlage besonders gut. Dabei kommt es McCann zupass, dass sein Roman an einem Ort spielt, an dem sich Geschichte und heilige Texte wie Sedimente überlagern. Der Lebensfilm von Rami und Bassam ist umgeben von fabelähnlichen Miniaturen, in denen Reisende, Forscher, Krieger, und Wahnsinnige ihre eigene Leuchtspur legen. Auf oft verblüffende Weise gelingt Colum McCann dabei der Rückbezug zu seinem zentralen Thema, so dass er einlöst, was der Titel verspricht. Wie in einem Apeirogon entsteht eine Gestalt mit multiplen Seiten und vielen kommunizierenden Themen. Der britische Orientalist Sir Francis Burton etwa, gehörte zu den wenigen Nichtmuslimen, denen es im 19. Jahrhundert gelang, als Ungläubiger nach Mekka zu pilgern:
Mystische Ziffern und Zahlen
"Burton übersetzte das Buch der tausend Nächte und der einen Nacht, auch bekannt als die Erzählungen der Schehersâd aus den tausendundein Nächten, auch bekannt als Tausendundeine Nacht."
"Eine von Smadars Lieblingserzählungen war Der Bucklige, eine lustige Verwechslungsgeschichte, in der mehrere Leute gestehen, den Buckligen umgebracht zu haben, bis sich am Ende dank des Barbiers herausstellt, dass er noch lebt."
"Ein paar Wochen nach dem Anschlag ging Rami in Smadars Zimmer. Alles war exakt so wie an dem Tag, als sie gegangen war: ihr Heft aufgeschlagen auf dem Schreibtisch, die Ohrringe auf dem Fensterbrett verstreut, in einer Ecke des Spiegels das Foto von Sinéad O’Connor. Er nahm Tausendundeine Nacht aus dem Regal und begann die Geschichte des Buckligen zu lesen. Seht ihr, rief der Barbier, er ist gar nicht tot."
So entsteht ein System von Verstrebungen und Verweisen, mit dessen Hilfe McCanns seinen poetologischen Anspruch einlöst, die Oberfläche zu verlassen, im Herzen des Textes nach Bedeutung zu suchen. Eine Bewegung, die man auch als Transzendenz bezeichnen könnte. Es geht wie in einer Religion um eine höhere Wahrheit. So erklärt sich auch die fast mystisch wirkende Verwendung von Ziffern und Zahlen, die an die numerologischen Dimension der Kabbala erinnert.
Ein Beispiel: Während seiner Haft trägt der literarische Bassam Aramin die Häftlingsnummer 220-284. Was ihm die Freundschaft eines mathematikversessenen Studenten namens Hertzl einbringt, der im Gefängnis als Wärter arbeitet:
"Zwei Zahlen heißen befreundet, wenn die Summe der echten Teiler der einen Zahl – ohne die Zahl selbst – die andere ergibt und umgekehrt. Von Mathematikern werden sie hoch geschätzt."
"Als könnten ihre verschiedenen Bestandteile einander erkennen."
"Am Tag seiner Entlassung schnitt Bassam seine Häftlingsnummer aus der Gefängnisuniform. Später schickte er den Stofffetzen an Hertzl. Hertzl versah die Nummer – 220-284 mit einem Rahmen und hängte sie in seinem Büro im Mathematischen Institut der Hebräischen Universität auf."
"Im Krankenhaus, in dem Abir 2007 im Sterben lag, fiel Hertzl eine Zeile aus jener Gefängniszeit ein: Mein einziger Trost sind die Tränen, die ich vergieße; doch kann auch bei wüsten Trümmern wohl etwas helfen noch? Er hatte auf dem Flur die Kippa abgenommen und stand mit gesenktem Kopf an Abirs Bett, sah, wie sie nach Luft rang. Die Beatmungsmaske war von innen beschlagen. Ihr Kopf war mit Verbänden umwickelt."
Auf dem Weg zum Gesamtkunstwerk
Vom Leben und das Sterben der beiden Mädchen wird ebenfalls in einer durchbrochenen Chronologie erzählt. Wiederkehrende Sätze lassen Gebetsformen in diesem Roman anklingen, den Psalm, das Lamento, das Kaddisch. Auch verwandte Kunstgattungen werden zitiert, die Kunste der Fuge, die Musik von John Cage, die Architektur sakraler Bauten wie der Grabeskirche in Jerusalem:
"Die Stimmung, die von der Baukunst ausgehe, schrieb Goethe, komme dem Effekt der Musik nahe – einen Gegenstand zu betrachten heiße, ihn zu hören. Musik, schrieb er, sei flüssige Architektur, und Architektur erstarrte Musik."
Man mag den implizierten Anspruch, ein Gesamtkunstwerk geschaffen zu haben, etwas verwegen finden. Festhalten lässt sich aber sicher, dass der hohe Formwille dieses Romans überzeugt, und dass die luftige, musikalische und repetitive Struktur zu seinem Gelingen beiträgt. Versäumnisse und Auslassungen seien dennoch erwähnt. Die Rolle der arabischen Anrainerstaaten im Nahostkonflikt wird weitestgehend ausgeblendet. Auch bleiben die beiden Mütter der Mädchen merkwürdig konturlos. Das verwundert besonders im Fall von Smadars Mutter Nurit Peled Elhanan, die selbst Publizistin und Friedensaktivistin ist, und die bereits 1997 die israelische Siedlungspolitik für den Tod Smadars verantwortlich machte. Vielleicht musste Nurits Stimme der gewünschten Symmetrie dieser Vätererzählung weichen. Diese mündet am Gipfelpunkt dieses Romans in der zentral positionierten Ziffer 1001. Die Erzählungen aus 1001 Nacht werden hier als letzte Instanz aufgerufen:
"Vor nicht allzu langer Zeit in einem nicht allzu fernen Land fuhr Rami Elhanan, Israeli, Jude, Graphikdesigner, verheiratet mit Nurit, Vater von Elik, Guy und Jigal und Vater der verstorbenen Smadar, mit dem Motorrad von einem Jerusalemer Vorort zum Kloster Cremisan in der mehrheitlich von Christen bewohnten Stadt Bait Dschala, im judäischen Bergland, bei Bethlehem, um sich dort mit Bassam Aramin zu treffen, Palästinenser, Muslim, Ex-Häftling, Aktivist geboren in der Nähe von Hebron, verheiratet mit Salwa, Vater von Arab, Muhammad, Ahmed und Hiba und Vater der verstorbenen Abir, die als Zehnjährige von einem namenlosen israelischen Grenzpolizisten erschossen wurde. Es ist ein faszinierender Ort für die Leute, die an einem ganz normalen, nebligen, recht kühlenTag Ende Oktober von weit her in das rote Backsteinkloster oberhalb der Weinbergterrassen im Schatten der Mauer gekommen sind, um Bassams und Ramis Geschichten zu lauschen und darin eine andere Geschichte, ein Lied der Lieder zu finden, in dem sie sich selbst entdecken, du und ich in der steingefliesten Kapelle, in der wir stundenlang gespannt, hoffnungslos, zuversichtlich, verstört, zynisch, betroffen, schweigend zuhören, während die Erinnerungen über uns hereinstürzen, unsere Synapsen tanzen und wir uns in der vordringenden Dunkelheit all die Geschichten ins Gedächtnis rufen, die noch erzählt werden müssen."
Während Scheherezade mit ihren Erzählungen dem Tod entkam, steht Smadars und Abirs Schicksal von Anfang an fest. Wenn man also dennoch gebannt weiterliest, dann spricht das für diesen beeindruckenden Roman "Apeirogon".
Colum McCann: "Apeirogon"
aus dem Englischen von Volker Oldenburg
Rowohlt Verlag, Hamburg. 588 Seiten, 25 Euro.