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Comeback der Kernenergie

Energiepolitik. - In Deutschland zählt die Kernenergie nicht mehr zu den zukunftsträchtigen Energieträgern. Andere Regierungen in Europa setzen dagegen neben Wind- und Sonnenenergie ausdrücklich auch auf nukleare Technologien. Ohne Kernenergie - so wird am Rand des Klimagipfels in Montreal diskutiert - können zahlreiche Länder die Verpflichtungen aus dem Kyoto-Protokoll zur Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen nicht erfüllen.

Von Volker Mrasek | 07.12.2005
    1979 gab es den Reaktorunfall bei Harrisburg in den USA, sieben Jahre später folgte Tschernobyl. Seit dieser Zeit tritt die Nutzung der Kernenergie praktisch auf der Stelle, nur wenige Reaktoren gingen neu ans Netz, die Kapazität erhöhte sich kaum: Atommeiler liefern seit nunmehr 20 Jahren rund ein Sechstel des weltweit verbrauchten Stroms. Doch inzwischen ist von einer Renaissance der politisch heftig umstrittenen Technologie die Rede. Davon sprach jetzt auch Alan McDonald in Montreal. Der Ingenieur arbeitet bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien. Am Rande des Weltklimagipfels skizzierte der US-Amerikaner den aktuellen Stand der Kernkraftnutzung:

    "Weltweit sind heute 442 Kernkraftwerke in Betrieb und 24 weitere im Bau. Die meisten laufen in den USA. Da sind es 104. Es folgen Frankreich mit 59 Reaktoren, Japan mit 54 und Russland mit 31. Den größten Zuwachs gibt es momentan im Fernen Osten: Von den 24 derzeit gebauten Kernkraftwerken stehen 15 allein in Asien."

    Der Energiehunger von Schwellenländern wie China und Indien wächst rapide. Ihre Regierungen setzen unter anderem auf Kernenergie, um ihn zu stillen...

    "Indien baut derzeit so viele Atomkraftwerke wie kein anderes Land: insgesamt acht Anlagen. Der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion in Indien soll sich mittelfristig verzehnfachen, 2050 soll er hundert Mal so hoch sein wie heute. China errichtet zurzeit zwei Reaktoren und möchte die Zahl der Anlagen in den nächsten 15 Jahren wenigstens vervierfachen. Aber weil das Land einen so hohen Energiebedarf hat, werden Kernkraftwerke selbst dann nur vier Prozent des Stroms beisteuern. "

    Es gibt auch noch einen anderen triftigen Grund, warum mit dem Comeback der Kernenergie zu rechnen ist. Und der hat mit dem Klimaschutz zu tun. Atommeiler verbrauchen keine fossilen Rohstoffe, so wie Kohle- oder Erdgaskraftwerke. Sie produzieren ihren Strom, ohne dabei das Treibhausgas Kohlendioxid freizusetzen. Der Franzose Thierry Dujardin von der Kernenergie-Agentur der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbei und Entwicklung, OECD:

    "Kernenergie ist fast CO2-frei. Bei der Produktion von Strom entstehen überhaupt keine Emissionen. Aber wenn man den Bau der Kraftwerke in einer Gesamtbetrachtung mit einbezieht, dann produziert auch die Kernenergie eine gewisse, wenn auch sehr kleine Menge CO2. "
    Wie Dujardin in Montreal sagte, wäre der weltweite CO2-Ausstoß heute 15 Prozent höher, gäbe es keinen Atomstrom. Und immer mehr Regierungen revidierten inzwischen ihre ablehnende Haltung der Kernenergie gegenüber. Das gelte gerade für die Industriestaaten in der OECD. Die meisten von ihnen haben das Kyoto-Protokoll unterzeichnet und müssen ihre Treibhausgas-Emissionen vermindern.

    "Mit einigen wenigen Ausnahmen wie Deutschland zum Beispiel wird es kein OECD-Staat schaffen, sein Kyoto-Ziel zu erreichen. Das ist schon jetzt absehbar. Deswegen fragen viele Regierungen an, ob wir es uns leisten können, die Kernenergie bei den Klimaschutzmaßnahmen weiter auszuschließen. Unsere Antwort ist ein klares Nein."
    Japan, Indien und andere Länder machen sich schon jetzt in Montreal dafür stark, die Kernenergie künftig im Kyoto-Protokoll anzuerkennen. Bisher ist das nicht der Fall. Industriestaaten können ihre Reduktionsverpflichtungen nicht durch den Bau oder den Export von Atomkraftwerken erfüllen. Jedenfalls nicht bis 2012. Dann endet die erste Kyoto-Abrechnungsperiode. Was danach kommt, ist noch offen. Womöglich eine neue Chance für die Kernenergie - ganz sicher aber schon im Vorfeld eine neue Debatte um Sicherheitsrisiken und Endlager-Problematik.