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Comeback Lafontaines ist "eine Phantomdiskussion"

Quo vadis, Linke, fragt sich Halina Wawzyniak und mag an Spekulationen über eine Rückkehr Oskar Lafontaines nicht teilnehmen. Stattdessen soll sich die Partei aus ihrer Sicht gesellschaftlich repositionieren.

08.04.2011
    Christoph Heinemann: Stellen wir uns kurz vor, die FDP hätte in der Not Hans-Dietrich Genscher gebeten, den Parteivorsitz zu übernehmen. Dazu ist es bei den Liberalen, wie wir alle wissen, nicht gekommen. In der Linkspartei wird allerdings laut über die Remobilisierung eines Altvorderen nachgedacht. Oskar Lafontaine ist einer, der verteidigen und austeilen kann, er taugt also als Schild und Schwert der Partei.

    O-Ton Oskar Lafontaine: Als wir vor vier Monaten uns entschieden haben, zusammenzugehen, da wussten wir nicht, was herauskommen würde. Heute können wir sagen, das Wagnis hat sich gelohnt, wir sind durch, es gibt eine starke Linke im Deutschen Bundestag.

    Heinemann: So sprach Lafontaine nach der letzten Bundestagswahl. – Die Sache der Linken vermag er allemal besser zu erklären als der amtierende Parteivorstand, denn die Genossen Gesine Lötzsch und Klaus Ernst bieten inzwischen vor allem den Karikaturisten reichlich Futter, zusammengefasst in dem Bild "Mit dem Porsche auf dem Weg zum Kommunismus". – Am Telefon ist jetzt Halina Wawzyniak, die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei. Guten Morgen.

    Halina Wawzyniak: Guten Morgen.

    Heinemann: Frau Wawzyniak, befindet sich die Linkspartei in Not?

    Wawzyniak: Die PDS, die Linkspartei befindet sich ...

    Heinemann: Das war ein beredter Versprecher!

    Wawzyniak: Die Linkspartei befindet sich in einer Situation, wo sie eine Strategiedebatte benötigt.

    Heinemann: Was heißt das?

    Wawzyniak: Eine Strategiedebatte bedeutet, dass wir uns mit einer veränderten gesellschaftlichen Situation spätestens seit 2009 beschäftigen müssen. Der von den Gewerkschaften angekündigte "Heiße Herbst" fiel aus, SPD und Grüne befinden sich mittlerweile in der Opposition, und das stellt an uns neue Herausforderungen.

    Heinemann: Welche Strategie befürworten Sie denn?

    Wawzyniak: Ich habe eher Fragen und die müssen wir gemeinsam in der Partei diskutieren.

    Heinemann: Welche Fragen?

    Wawzyniak: Ich habe die Frage beispielsweise, wie gelingt es, einen sozial-ökologischen Umbau, der gesellschaftlich auf der Tagesordnung steht, zu ermöglichen, wie gelingt es, beispielsweise wenn der Atomausstieg kommt – das wissen wir ja nicht -, regenerative Energien zu befördern, wie gelingt es, wenn der Atomausstieg nicht kommt, die Idee, auf regenerative Ideen zu setzen, weiter zu verfolgen, wie gelingt es, die neuen demokratischen Prozesse, also Moratorien, die man zu kritisieren hat, aber Debatten beispielsweise in Stuttgart 21, mit sozusagen Krisengesprächen, wie gelingt es, an dieser Stelle Demokratie wieder so zu machen, dass Bürgerinnen und Bürger sich auch tatsächlich aufgehoben fühlen und mitmachen wollen, wie gelingt es, beispielsweise zu verhindern, dass Wirtschaft Politik kauft. Das sind alles Fragen, die wir stellen müssen, und natürlich auch weiterzuentwickeln, wie gelingt es uns, soziale Gerechtigkeit in diesem Land wieder herzustellen.

    Heinemann: Die Antwort auf die zuerst von Ihnen genannten Fragen geben die Grünen seit 30 Jahren.

    Wawzyniak: Die Grünen versuchen seit 30 Jahren, einen ökologischen Umbau zu machen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Grünen auf halbem Weg stehen geblieben sind, und es geht ja immer auch darum, die ökologischen Fragen mit den sozialen Fragen zu verbinden. Da muss man beispielsweise mal fragen, ob es möglich und sinnvoll ist, beispielsweise Energieversorgung wieder zu rekommunalisieren, sodass Bürgerinnen und Bürger, aber vor allen Dingen auch Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker darüber entscheiden können, wie Energiepolitik zukünftig aussieht.

    Heinemann: Das wollen die Grünen doch.

    Wawzyniak: Nein! Die Grünen bleiben dabei stehen, dass sie sagen, wir wollen Atomausstieg, dann macht man einen Deal, der tatsächlich etwas ist, was nicht wirklich ein Atomausstieg ist, aber die Grünen machen an dieser Stelle, gehen nicht weit genug.

    Heinemann: Frau Wawzyniak, kommen wir mal zum eigentlichen Thema zurück. Sollte Oskar Lafontaine wieder die Führung der Partei, der Linkspartei, oder, wie Sie eben gesagt haben, der PDS, nein, der Linkspartei übernehmen?

    Wawzyniak: Ich glaube, dass sich diese Frage überhaupt nicht stellt, weil zunächst muss man die Strategie klären und es hilft ja nichts, eine Strategie nicht zu klären und dann über Personal zu spekulieren. Insofern ist das, glaube ich, eine Phantomdiskussion.

    Heinemann: Wieso denkt denn Gregor Gysi laut über Oskar Lafontaine nach?

    Wawzyniak: Da müssen Sie Gregor Gysi fragen.

    Heinemann: Sie sehen ihn, glaube ich, häufiger als ich.

    Wawzyniak: Das kann durchaus sein, aber ich glaube einfach, dass wir zunächst die Strategie klären müssen, um dann über Personal zu spekulieren. Gregor Gysi hat nachgedacht, aber das führt ja nicht dazu, dass man jetzt Entscheidungen zu fällen hat.

    Heinemann: Was stört Sie denn mehr, Frau Lötzschs gedankliche Abenteuer, oder Herrn Ernsts Lebensführung?

    Wawzyniak: Mich stört weder eine Lebensführung noch irgendwelche Abenteuer. Mich stört eigentlich nur, dass wir eine Strategiedebatte nicht führen.

    Heinemann: Also stimmt das Bild "Mit dem Porsche auf dem Weg zum Kommunismus"?

    Wawzyniak: Mit was man wo in eine sozial gerechte Zukunft gelangt, das ist mir relativ wurscht. Die Frage ist, dass wir klären müssen, wie wir unseren gesellschaftlichen Gebrauchswert tatsächlich generieren, wie wir uns in dieser Gesellschaft aufstellen, und das ist die entscheidende Frage.

    Heinemann: Und diesen gesellschaftlichen Gebrauchswert verkörpern die genannten Herrschaften oder Genossinnen und Genossen in vorbildlicher Weise für Sie?

    Wawzyniak: Auch diese Frage stellt sich für mich nicht, weil es ist eine Frage der Gesamtpartei, wie wir uns in Kommunen, in Ländern und im Bund aufstellen und wie wir an dieser Stelle versuchen, unsere Kernthemen, zu denen neben soziale Gerechtigkeit, neben Frieden auch die Frage von Demokratie und die Frage von Rekommunalisierung gehört, wie wir die auch durch öffentliches Auftreten, beispielsweise durch Debatten im Bundestag, deutlich machen und wie wir vor allen Dingen Menschen mitnehmen.

    Heinemann: Nur die von Ihnen genannten Themen, die kennen wir alle. In Deutschland gibt es neuerdings lauter marktwirtschaftlich orientierte, sozial denkende und grüne Parteien. Wo ist denn bitte schön Ihr Alleinstellungsmerkmal?

    Wawzyniak: Unser Alleinstellungsmerkmal ist beispielsweise – ich nehme jetzt mal das Beispiel Berlin -, wo wir uns ja deutlich dafür aussprechen, die Berliner Wasserbetriebe zu rekommunalisieren. Im Grünen-Wahlprogramm kommt dieses Thema überhaupt nicht vor.

    Heinemann: Berlin ist ein gutes Beispiel, dort ist die Linkspartei an Einsparungen und am Personalabbau beteiligt, in der Kommunalpolitik beziehungsweise in der Landespolitik. Ist das für Sie das Mitfühlende der Linkspartei?

    Wawzyniak: Berlin befand sich in einem Haushaltsnotstand. Es war die rot-grüne Bundesregierung, es war Renate Künast, die Bundeshilfen abgelehnt haben. Und man muss sagen, Berlin ist ein Land, in dem länger gemeinsames Lernen möglich ist, Berlin ist ein Land, wo Rekommunalisierung auf der Tagesordnung steht, Berlin ist ein Land, wo es eine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte gibt. Insofern ist sehr deutlich, was Die Linke in Berlin will. In Berlin soll beispielsweise öffentliches Wohneigentum ausgebaut werden. Ich glaube, das ist tatsächlich ein Gebrauchswert, den die Menschen auch sehen.

    Heinemann: Und Die Linke ist für Einsparungen und Personalabbau?

    Wawzyniak: Das ist falsch.

    Heinemann: In Berlin wohl!

    Wawzyniak: Nein! Die Berliner Linke sagt ausdrücklich – und da ist sie die einzige, die sich festlegt -, dass mindestens 100.000 Menschen im öffentlichen Dienst notwendig sind, damit dieser nicht zusammenbricht. Berlin hat aber auch beispielsweise ein Projekt entwickelt, wie Aufgaben, die gesellschaftlich notwendig sind, die aber nicht über den öffentlichen Dienst zwingend zu finanzieren sind, gemacht werden können, hat eine Alternative zu Hartz IV entwickelt mit dem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, und da sind es die Sozialdemokraten, die an bestimmter Stelle einfach ein Stoppschild setzen wollen.

    Heinemann: Nicht in staatlichen Strukturen denken, das könnte ja eine Marktlücke werden, zum Beispiel für den Sozialstaat, dem ja in Zukunft mangels Kinder die Puste ausgeht. Kurt Biedenkopf spricht von den sogenannten kleinen Lebenskreisen. Das heißt, er sagt, Familie, Bekannte, Nachbarschaft, Freunde, die organisieren sich. Bisher denken alle Parteien, auch die Linkspartei, wenn es um diesen Teil des Sozialstaats geht, immer nur in staatlichen Strukturen. Wäre das nicht mal eine Marktlücke, in die vorzustoßen sich lohnte?

    Wawzyniak: Also zunächst muss man sehr deutlich sagen, dass es natürlich eine gesellschaftliche Verantwortung, eine Verantwortung des Staates gibt, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Das mit der schrumpfenden Bevölkerung kann ich zumindest für den Bezirk, aus dem ich komme, nicht sagen, da bin ich mit meinen fast 38 Jahren über dem Durchschnitt dessen, was wir an Bevölkerungsdurchschnitt haben. Insofern glaube ich, dass es neben der Tatsache, dass natürlich eine staatliche Verantwortung besteht, aber die Idee eines öffentlich geförderten Beschäftigungssektors, also tatsächlich Leistungen, die keinen Profit abwerfen können, die aber gesellschaftlich notwendig sind, zu organisieren, und da gibt es Vorstellungen, die auch ein Alleinstellungsmerkmal der Linken sind.

    Heinemann: Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Linken ist, dass in dieser Partei auch Stasi-belastete Mitbürger eine politische Heimat haben. Sind diese Leute für Sie ein Igitt-Faktor?

    Wawzyniak: Die Linke, an dieser Stelle tatsächlich die PDS, hat seit 1990 einen so umfassenden Prozess der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit gemacht, also ich glaube, das würde eine ganze Lagerhalle füllen, was wir dort gemacht haben, und wir haben einen Beschluss gefällt, der auch jetzt gilt und den ich ausgesprochen für wichtig halte. Wenn jemand kandidiert für irgendetwas, muss er seine politische Biografie offenlegen, und in Kenntnis dieser politischen Biografie müssen die Wählerinnen und Wähler oder ein Parteitag entscheiden, ob sie finden, dass diese Menschen politische Verantwortung übernehmen. Und für mich ist entscheidend: Es kommt nicht darauf an, was jemand früher gemacht hat, sondern wie er sich heute dazu stellt. Meine Einschätzung ist, dass es ganz viele Menschen gibt, die früher beispielsweise im Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet haben, aber auch Verantwortung in der SED getragen haben, die sehr deutlich daraus die Lehren gezogen haben, und das ist immerhin was anderes als die Blockparteien in der ehemaligen DDR, die dann beispielsweise in der CDU aufgegangen sind.

    Heinemann: Halina Wawzyniak, die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Wawzyniak: Danke!