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Comic "Intisars Auto"
Einblicke in die Welt jemenitischer Frauen

Er bietet einen erhellenden Einblick in einen uns fremden Kosmos: der episodische Comic "Intisars Auto" von Pedro Riera und Nacho Casanova. Ohne auf die Tränendrüse zu drücken, erzählt das Werk vom Einfluss der Männer, von Unterdrückung, Fremdbestimmung und nicht selten Verzweiflung.

17.11.2014
    Eine jemenitische Frau in der Burka geht auf einer Straße in der Altstadt von Sanaa am 15 August 2007.
    Die Welt der Frauen im Jemen besteht aus strikten Regeln und ist hermetisch von der der Männer abgeschottet. (epa / Yahya Arhab / dpa)
    "Ich weiß, ich sollte etwas entspannter fahren - schon klar. Aber ich kann es nicht lassen. Wenn sich ein Typ mit mir anlegt, gebe ich alles. Auch wenn es mich umbringt."
    Hinterm Steuer macht die junge Intisar keine Kompromisse. Zu den Klängen von Rihannas "Te Amo" liefert sie sich in ihrem Corolla spontane Autorennen mit fremden Männern. Dabei versteckt sie sich hinter der Anonymität ihres Nikab, des traditionellen Schleiers, der alles bis auf die Augen bedeckt. Intisar lebt im Jemen, wo Autor Pedro Riera zwischen 2009 und 2010 selbst ein knappes Jahr mit seiner Frau verbracht hat:
    "Meine Frau hat dort in einer Schule gearbeitet, und ihre Kollegen waren fast alle jemenitische Frauen. Sie wurde oft zu Parties eingeladen. Und sie war es auch, die mir vom 'echten' Jemen erzählt hat, von dieser Welt der Frauen."
    Strikte Regeln
    In dieser "echten" Welt der Frauen spielt der episodische Comic, den Riera gemeinsam mit dem Zeichner Nacho Casanova geschrieben hat. "Intisars Auto" sieht anders aus die typische Graphic Novel; der Zeichenstil ist einfach und unprätentiös, und erinnert an vertraute Cartoons wie Popeye. Fremd ist dagegen die Wirklichkeit, die er zeigt. Die Welt der Frauen im Jemen besteht aus strikten Regeln und ist hermetisch von der der Männer abgeschottet, wie Riera bei Interviews mit einer jemenitischen Bekannten selbst gemerkt hat:
    "Wir haben uns zu dritt getroffen, meine Frau war immer dabei. Geheime Treffen in einem kleinen Restaurant am Nachmittag. Niemand durfte uns zusammen sehen."
    Obwohl der Umgangston freundlich war, war das Interview anfangs nicht so ergiebig, wie erhofft. Riera erzählt, er hatte das Gefühl, dass auch seine Gesprächspartnerin mit dem Verlauf des Treffens nicht zufrieden war:
    "Und dann hab ich es einfach drauf ankommen lassen und alles angesprochen was ich bis dahin sorgfältig vermieden hatte: Homosexualität, Drogen, Promiskuität, westliche Lebensart. Von dem Moment an hat sich die Frau geöffnet und mir von ihrer Welt erzählt, der Welt der Frauen."
    Überall dominiert der Einfluss der Männer
    Diese Frau war die Inspiration für die Figur Intisar. Die erzählt in der ersten Person, wie sie mit ihrem Bruder durch die Stadt fährt, mit Freundinnen feiert und sich gegen die Avancen eines aufdringlichen Verehrers zur Wehr setzt. Überall dominiert der Einfluss der Männer; Frauen werden wie Minderjährige behandelt und sind ihr Leben lang den Launen von Ehemann oder Vater unterworfen. Intisars Arbeit im Krankenhaus ist in dieser Hinsicht zwar eine Art Oase, aber selbstbestimmt ist sie hier auch nicht.
    "Wir haben fünf Stunden lang an einem Toten rumoperiert. Wenn ein Scheich oder eine andere wichtige Persönlichkeit eingeliefert wird, müssen wir vorgeben, alles zu tun, um sein Leben zu retten. Wenn die Söhne oder Stammesangehörigen glauben, wir hätten nicht genug getan, machen sie uns für seinen Tod verantwortlich und nehmen Rache. Das hat schon mehr als einen Arzt das Leben gekostet."
    Die zum Teil kuriosen Geschichten sind alle wahr - nur sind sie nicht alle derselben Frau passiert; Riera hat in seiner Zeit im Jemen mit einer Reihe von Frauen mehr als vierzig Interviews geführt und deren detaillierte Erzählungen zu den Erlebnissen einer Figur zusammengesetzt. Auch Fragen, die seine Gesprächspartnerinnen ihm gestellt haben, baut er in den Comic ein. So tritt Intisar in einen Dialog mit dem Leser:
    "... die Mohammed-Karikaturen. Weshalb sollte jemand 1,6 Milliarden Muslime in ihrem innersten Wesen beleidigen wollen? Für uns sind diese Karikaturen so - wie soll ich sagen - als spucke man unserer Mutter in den Mund. Versteht mich nicht falsch, ich will nicht, dass diese Karikaturisten bestraft werden."
    Erhellender Einblick in eine unbekannte Welt
    Intisar will verstehen. Mit ihren Fragen - und unseren - im Hinterkopf führen Riera und Casanova den Leser durch ihre Welt, ohne ihn zu sehr an die Hand zu nehmen; sie zeigen, statt zu erklären. Das Erklären überlassen sie den Anmerkungen am Ende des Buches, die im Detail auf kulturelle Besonderheiten eingehen. Die Situation der Frauen im Jemen, wie sie in "Intisars Auto" geschildert wird, ist hierzulande unvorstellbar. Riera und Casanova erzählen von Unterdrückung, Fremdbestimmung und nicht selten Verzweiflung. Trotzdem erzählen sie mit einem optimistischen Grundton und viel Leichtigkeit und drücken nie auf die Tränendrüse. Deshalb ist "Intisars Auto" nicht nur ein intimer und erhellender Einblick in eine unbekannte Welt, sondern macht trotz bedrückender Momente überraschend viel Spaß.
    Buchtipp
    Pedro Riera, Nacho Casanova: Intisars Auto.
    Aus dem Leben einer jungen Frau im Jemen
    Egmont Graphic Novel 2014
    ISBN 978-3-7704-5510-2, Preis: 19,99 Euro