Freitag, 29. März 2024

Archiv

Comic von Max Baintinger
Dem Büro-Trott ein Denkmal

Der Arbeitsalltag einer Verwaltungsfachangestellten mag auf den ersten Blick öde wirken. Doch Max Baitingers neuer Comic "Birgit" zeigt: Gerade im Büro zeigen sich die Spielchen und Abgründe des menschlichen Zusammenlebens.

Von Andrea Heinze | 19.04.2017
    Eine Finanzbeamtin steht vor vielen Akten zu Einkommensteuererklärungen im Finanzamt in Eberswalde (Brandenburg).
    Akten, Angst und Abgründe: Der Alltag im Büro birgt Stoff für spannende Geschichten, weiß Max Baintinger (dpa-Zentralbild)
    Die Neue – sie nimmt gleich die ganze erste Seite ein – und wirkt doch ein bisschen naiv mit ihrer riesengroßen runden Brille und der blauen Latzhose.
    Max Baitinger: "Ich glaube es ist so eine Art von Jugendlichkeit, die sie nach Außen trägt, und ich dachte, das trägt vielleicht zu ihrem Charakter bei, dass sie so ein bisschen spritziger rüber kommen möchte, obwohl sie die Chefin ist. Es gibt ja auch diesen Moment, den ich so ein bisschen versucht habe zu erreichen, das das am Anfang nicht ganz klar ist, ob das jetzt die neue Kollegin ist, die eigentlich geschult werden muss und am Ende ist das die Chefin und da gibt es die ersten paar Seiten, auf denen das noch nicht ganz klar ist."
    Feines Spiel um Macht und Werte
    Max Baitinger spinnt aus dieser Konstellation ein feines Spiel um Macht und Werte, in der Birgit, die altgediente Verwaltungsfachangestellte, schon nach wenigen Worten der fidelen Chefin dicht macht. Die plappert vom Jour Fix, hält mit früheren Erfolgen nicht hinterm Berg und heuchelt vermutlich eher Verständnis für Kollegen, die mehr Zeit brauchen. Birgit denkt indes darüber nach, dass sie der Neuen zeigen könnte, worauf es in diesem Mikrokosmos aus Büromaschinen und Personal ankommt. Könnte sie, vielleicht.
    Max Baitinger: "Ich war mal HiWi im Institut für technische Chemie. Das war ein sehr kleines Büro mit insgesamt glaube ich 6 Leuten und es war unmöglich, nicht das vollständige Privatleben der anderen Angestellten mitzubekommen. Ich saß da still drinnen und hab aufgenommen, wie die Leute sich ausgetauscht haben, die kannten sich zum Teil ewig lang – und für mich war das dramatisch – ich weiß nicht, ob die Leute das selber so wahrgenommen haben, aber wenn du still da sitzt und bist nicht Teil der Konversationen, dann hab ich ja eine reine Zuhörerperspektive, über die ich schon eine Weile nachgedacht habe in der Straßenbahn auf dem Heimweg."
    Typisch Verwaltungscomics
    Comics über Verwaltungsfachangestellte haben Tradition. Im Carlsen Verlag erscheint gerade zum 50. Verlagsjubiläum die Neuausgabe vom franko-belgischen "Gaston", einem Büroangestellten, der immer wieder den überschaubar geordneten Büroalltag mit seinen verrückten Ideen sprengt, die natürlich allesamt schief gehen. Genau das ist typisch für Verwaltungscomics: Der Trott wird erst dadurch interessant, dass er gestört wird. Max Baitinger macht es genau umgekehrt: er setzt dem Büro-Trott ein Denkmal.
    Max Baitinger: "Ich glaube es hat sich wahnsinnig viel verändert mit Smartphones und ich wollte das glaube ich vor der Smartphone-Zeit ansiedeln, weil ich immer das Gefühl habe, das Verhalten untereinander funktioniert anders, seit es Smartphones gibt. Und ich glaube, ich möchte auch diesen Übergang: Es gibt noch Karteikästen, es ist alles noch so ein bisschen digital, aber auch nicht richtig digital, es ist im Endeffekt noch eine dumme Maschine, die zwar am Strom angeschlossen ist, aber eigentlich ist es auch umständlich. Und ich glaube, ich mag dieses Umständliche auch so, das kommt ja in dem Buch mit vor, das es alles so ein bisschen umständlich trotzdem ist."
    Analoge Verwaltung wird zu einem Sehnsuchtsort
    "Birgit" ist eine Art innerer Monolog in Comicform. Das heißt: hier werden nicht die Gedankengänge der Figur nachvollziehbar, sondern ihre visuelle Wahrnehmung. Und da lösen sich Büro und Kollegen eben schon mal in geometrische Figuren auf, wenn Birgit die Gedanken abschweifen. Oder endlose Rohrleitungen bauen sich vor den Augen auf, wenn Birgit kontemplativ vorm Bildschirmschoner versinkt. Dann wieder zeichnet Max Baitinger Telefonanlage, Disketten und Aktenordner so präzise, als würde er eine technische Zeichnung anfertigen.
    "Grundsätzlich versuche ich schon, erzählerische Kontraste herzustellen – und um im Bild Kontraste herzustellen ist es ein Mittel, was ich zu Verfügung habe, dass ich amorphere Zeichnungen gegen ganz klare technische Zeichnungen entgegen stellen kann."
    Das ist so schön, dass man "Birgit" immer wieder lesen kann. So wird - trotz aller Konflikte - die analoge Verwaltung zu einem Sehnsuchtsort, der ganz ohne Multitasking und soziale Netzwerke auskommt.
    Max Baintinger: Birgit. Reprodukt Verlag, 2017. 48 Seiten. 12 Euro.