Freitag, 19. April 2024

Archiv

Comics und Graphic Novels
Surreale Satiren und Reiseberichte

Comic-Fans dürfen sich 2016 auf viele Neuerscheinungen freuen. Der US-Autor Joe Sacco, Erfinder der Comic-Reportage, wird surreal, der Hamburger Sascha Hommer berichtet aus China und von dem Briten Neil Gaiman gibt es eine Rückkehr des "Sandmans".

Von Kai Löffler | 28.12.2015
    Joe Sacco: "Ich hab gerade etwas fertig bekommen, eine Satire. Wie ein alter Underground-Comic, komplett fiktiv, düster, hoffentlich lustig, sehr politisch und für mich mal was ganz anderes."
    Im Januar erscheint "BUMF", geschrieben von US-Autor Joe Sacco, dem Erfinder der Comic-Reportage. Normalerweise konzentriert sich Sacco in seinen Comics auf einen historisch oder politisch relevanten Schauplatz wie Palästina oder die Schlacht an der Somme, hier spannt er einen ungewohnt großen Bogen:
    "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüst und leer und es war finster auf der Welt. Und Gott sprach: "Es Werde Licht!". Et cetera... "
    Richard Nixon wacht während des ersten Weltkriegs neben Michelle Obama auf, und schickt seine nackten Folterknechte durch ein Loch in einer Kellerwand in eine weit entfernte Galaxie. Man ahnt es schon, "BUMF" hat rein gar nichts mit Journalismus zu tun, sondern ist eine überdrehte Satire, surreal, witzig, manchmal bitter und erfrischend geschmacklos.
    Sacco: "Sagen wir's mal so: Vielen Leuten wird es nicht gefallen".
    "In China" von Sascha Hommer
    Die chinesischen Fahrzeugführer hupen unentwegt. Je nach Situation kann das Hupen verschiedene Bedeutungen haben. "Platz da." "Alles in Ordnung." "Arschloch!" Oder auch einfach nur "Ich existiere."
    Mit "In China" hat der Hamburger Comicautor Sascha Hommer einen halb-autiobiographischen Reisebericht über seine Zeit in der Fremde, in der Millionenstadt Chengdu, geschrieben. Dort trifft er sich mit einem befreundeten Ehepaar und verdient sein Geld als Werbesprecher, der offiziell zertifizierte Übersetzungen verliest:
    "Shangsheng Sports geht von der gesamten Situation heraus und ist mit seiner eigenen Kraft das größte branchenweite Entitätsunternehmen geworden."
    Mit seinen bewusst verfremdeten, Piktogramm-artigen Zeichnungen erschafft Hommer eine faszinierende Welt, in der der Leser genauso verloren ist, wie die Figuren.
    "Eindringlinge" von Adrian Tomine
    "Eindringlinge" heißt die neue Comic-Kurzgeschichtensammlung von US-Illustrator und Comicautor Adrian Tomine. Zu den Fans seinen genau beobachteten und präzise gezeichneten Graphic Novels zählen unter anderem Nick Hornby und Comic-Legende Chris Ware. Diesmal hat sich Tomine für einen Richtungswechsel entschieden.
    Adrian Tomine: "Mit diesem Zeichen- und Schreibstil bin ich irgendwann an eine Grenze gestoßen. Deshalb hab ich mich mit dem Notizbuch hingesetzt und eine Liste gemacht: Was ich erreichen und vermeiden wollte, neue visuelle Ansätze, neue Text-Ansätze und vor allem Charaktere, die anders sind als bisher."
    In sechs virtuos konstruierten, thematisch verbundenen Geschichten beleuchtet Tomine tragikomische Szenen des Alltags und schafft so eine Anthologie des Scheiterns. Voller Ambivalenz, Humor und vor allem Empathie.
    "Ich weiß noch nicht welchen Namen ich auf dieser Brücke trage, aber meine Familie nennt mich DREAM und das reicht... "
    "Sandman Ouvertüre" von Neil Gaiman
    27 Jahre ist es her, dass der Brite Neil Gaiman die erste Ausgabe seines erfolgreichsten Comics "Sandman" veröffentlicht hat. Daraus wurde nach und nach eine monumentale Geschichte um Legenden, Träume, Inspiration und Erzähltraditionen - und für viele Leser eine Einstiegsdroge in die Welt der Graphic Novel und ihr unbegrenztes erzählerisches Potenzial. Für seine Rückkehr zum Comic und zu seiner berühmtesten Schöpfung hat sich Gaiman eine hohe Messlatte gesetzt.
    Neil Gaiman: "Beim Schreiben hatte ich immer die Legionen von Fans vor Augen, die mir über die Schulter gucken und sagen: Wirklich? Darauf haben wir 25 Jahre gewartet?"
    Gaimans "Sandman Ouvertüre", bei uns in zwei Bände geteilt, passt sich mühelos in das erzählerische Mosaik ein, beinahe, als hätte Neil Gaiman ihr dort schon immer einen Platz reserviert. Und das gilt nicht nur für seine Texte, sondern auch für die opulenten, detailverliebten Bilder von Zeichner J.H.Williams.
    Neil Gaiman: "Es war die komplizierteste, anspruchsvollste Arbeit seiner Karriere. Und auch für mich war es oft nicht leicht, weil ich mich auf keinen Fall wiederholen wollte."
    Sacco, Hommer, Tomine, Gaiman: Außerdem erscheint "Junker", ein Comic des Niederländers Simon Spruyt über eine Jugend in Preußen. Und sein Landsmann Erik Krieks legt das mordballaden-inspirierte "In The Pines" vor. Mitte des Jahres erscheint ein neuer Band des Berliners Flix, in dem der Lügenbaron von Münchhausen auf der Couch von Sigmund Freud landet.
    2016 wird wohl auch ein trauriges Jahr - ein Jahr, in dem so mancher Comicfan gezwungen ist, sein Sparschwein zu schlachten.