Freitag, 29. März 2024

Archiv

Coming-out von Hitzlsperger
Spieler wären öffentlichem Spott ausgesetzt

Man müsse es respektieren, wenn sich ein homosexueller Fußballer nicht outen möchte, sagt Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, im DLF. Mit Fußball verbinde man immer noch etwas Gladiatorentum und dieses verstaubte Denken stecke in uns allen drin.

Heribert Bruchhagen im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 09.01.2014
    Tobias Armbrüster: Und wir wollen über dieses Coming-out von Thomas Hitzlsperger außerdem noch mit einem aktiven Bundesligamanager sprechen. Am Telefon ist Heribert Bruchhagen, Vorstandschef von Eintracht Frankfurt. Wir erreichen ihn im Trainingslager seines Clubs in Abu Dhabi. Schönen guten Morgen, Herr Bruchhagen!
    Heribert Bruchhagen: Ich grüße Sie auch und grüße die Hörer des Deutschlandfunks, aber ich sage hier guten Tag, denn wir sind schon drei Stunden weiter als Sie in Deutschland.
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns damit loslegen, Herr Bruchhagen. Woran liegt es, dass Homosexualität in vielen deutschen Stadien, in vielen deutschen Clubs, unter vielen Fans immer noch ein Thema ist, dem man mit Spott begegnet?
    Bruchhagen: Ich habe ja gerade die Worte von Herrn Lemke gehört, und ich finde mich in diesen Worten fast zu hundert Prozent wieder. Ich glaube, dass es eine gute Sache war von Thomas Hitzlsperger. Ich weiß, dass auch Doktor Theo Zwanziger schon sehr frühzeitig, natürlich in erster Linie durch die Probleme der Mädchen unserer Mädchen-Nationalmannschaft, die sich ja doch in größten Teilen gleichgeschlechtlich bekennen, dass er hier helfen wollte, und dass er da auch einen sehr wichtigen Schritt gemacht hat. Auch wir in den Bundesligavereinen würden natürlich alles dafür tun, dass Menschen sich befreien können von ihrem Gedankengut; dass sie etwas verbergen müssen, das ist ja nicht schön für einen Menschen. Aber ich meine auch, ganz große Fortschritte in der Gesellschaft festgestellt zu haben. Ich bin nun auch ein Kind der 50er-Jahre und habe auf dem Dorf gelebt in den 50er-Jahren, und ich weiß, welche Vorurteile herrschten, und ich denke, unsere Gesellschaft, und da muss man auch Herrn Wowereit sehr dankbar sein, der für mich zumindest doch als bekannte Persönlichkeit doch einen sehr wichtigen Schritt gemacht hat. Ich glaube, dass dieser Prozess im Gang ist, und ich bin sehr optimistisch, dass wir – ich kann es zwar auf der Zeitschiene nicht benennen –, aber dass wir dieses Thema sicherlich richtig angehen und es die richtige Entwicklung nimmt.
    Armbrüster: Herr Bruchhagen, das sind jetzt sehr schöne Worte, auch die, die wir da gestern von unterschiedlichen Protagonisten auch aus der Politik gehört haben. Aber es bleibt doch merkwürdig, dass Thomas Hitzlsperger dieses Coming-out wirklich erst gewagt hat, nachdem seine Karriere vorbei war.
    Diese Entscheidung trifft jeder selbst
    Bruchhagen: Ja, das ist in der Tat richtig, aber letztlich ist es – wir können jetzt nicht als Bundesliga-Verantwortliche hingehen und sagen, passt mal auf, liebe Jungs, falls das euer Problem ist, outet euch, sondern die Individualität ist immer das allerhöchste Gut. Und diese Entscheidung trifft jeder Mensch für sich alleine. Und wenn ein homosexueller Fußballspieler den Schritt noch nicht vollziehen will und nicht vollziehen kann, dann ist das eben Fakt, und das muss man dann auch respektieren.
    Armbrüster: Aber wenn er sich doch fürchten muss vor den Reaktionen, möglicherweise in der Kabine, möglicherweise im Stadion, dann scheint doch irgendwas nicht richtig zu laufen.
    Bruchhagen: Gut, das ist – ich sagte doch schon, es gibt immer eine Entwicklung, eine gesellschaftliche Entwicklung. Und diese gesellschaftliche Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Und mit dem Fußball verbindet man immer noch etwas Gladiatorentum, und auch das Gedankengut eines Gladiators ist sicherlich nicht in Richtung Homosexualität zu lenken. Und dieses verstaubte Denken, das steckt doch in uns allen ein bisschen, und wir müssen doch alle lernen. Und es ist doch nicht so, dass wir als liberale Menschen geboren werden, sondern wir müssen uns gegenseitig in der Gesellschaft dahin gehend erziehen, liberal zu sein. Sondern wir werden ja erzogen mit Urteilen, mit Vorurteilen, mit liberalem Gedankengut unterschiedlicher Art. Und dieser Prozess ist eben noch nicht abgeschlossen. Und in der Tat, die Bedenken, die Willi Lemke auf ein Bundesligaspiel bezogen hat, die teile ich auch, und deswegen dauert dieser Prozess noch an.
    Armbrüster: Was wäre denn passiert, Herr Bruchhagen, lassen Sie uns mal spekulieren, wenn Herr Hitzlsperger dieses Interview während seiner aktiven Zeit als Fußballer gegeben hätte?
    Bruchhagen: Das hätte der Sache sicherlich sehr geholfen, aber er wird Gründe gehabt haben, das nicht zu tun, und ich meine –
    Spieler wären öffentlichem Spott ausgesetzt
    Armbrüster: Was wären die Reaktionen gewesen? Was schätzen Sie?
    Bruchhagen: Die Respektlosigkeit gegenüber dem Gegner, die sich ja darin zeigt, dass man dann, wenn Frankfurt auswärts spielt, man hört "Frankfurter Schweine", und wenn Ingolstadt bei uns zu Gast ist und dann intoniert wird "Ingolstädter Schweine" – das zeigt doch schon, dass eine gewisse Respektlosigkeit gegenüber dem Gegner immer noch vorhanden ist, oder auch gegenüber Schiedsrichtern und anderen Dingen. Und deshalb ist es möglicherweise zu erwarten, dass hier die Persönlichkeit eines Spielers geschwächt wird. Und Selbstbewusstsein ist natürlich sehr wichtig, auch auf dem Platz, und wir sind halt noch nicht so weit, dass wir so eine Souveränität haben, dass das nicht mehr Gegenstand der Betrachtung wäre. Sondern die Realität würde die sein, dass dieser Spieler möglicherweise sich einem gewissen Spott, einem öffentlichen Spott aussetzen müsste. Und wir würden uns selbst in die Tasche lügen, wenn wir dieses Faktum unterschlagen würden.
    Armbrüster: Oder ist diese Respektlosigkeit, auch dieser Spott, der sich da manchmal Bahn bricht, ist das vielleicht einfach ein Merkmal der Fußballkultur, etwas, was man eigentlich gar nicht beseitigen sollte?
    Bruchhagen: Doch, doch, doch, also, so weit würde ich nicht gehen. Nein, nein. Ich habe die große Hoffnung, dass sich eine größere Souveränität einstellen wird. Auf der Zeitschiene kann ich das nicht benennen, aber – nein, nein. Ich denke schon, dass dieser Prozess voranschreitet. Es ist aber auch so, das muss ich aber auch sagen, dass die, sagen wir mal, proportional an der Gesellschaft, dass Fußball eben ein starker Männersport ist und dass es jetzt nicht so ist, ich kann das jetzt prozentual nicht benennen, aber es gibt sicherlich eine prozentuale Zahl von homosexuellen Neigungen in unserer Gesellschaft, ob die sich gerade im Männerfußball zu hundert Prozent widerspiegelt, habe ich doch große Zweifel. Das soll jetzt kein Prä des Männerfußballs sein, aber ich glaube, dass das Fakt ist.
    Armbrüster: Heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk war das Heribert Bruchhagen, der Vorstandschef von Eintracht Frankfurt nach Abu Dhabi!
    Bruchhagen: Gerne! Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.