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Composer Festival in Stockholm
Neue Musik und Fischsuppe

Das Stockholm International Composer Festival widmete sich in diesem Jahr ganz dem Komponisten HK Gruber. Der Österreicher steht in der zeitgenössischen Musik im besten Sinne für Unterhaltungsmusik - mit emotionalem Tiefgang und handwerklicher Substanz.

Von Sylvia Systermans | 20.11.2017
    Der Komponist und Dirigent HK Gruber bei den Salzburger Festspielen 2015
    Der Komponist und Dirigent HK Gruber bei den Salzburger Festspielen 2015 (imago )
    Musik: HK Gruber "Charivari"
    Eine quirlige Polka mit vorwitzigen Variationen über einem unbekümmert pulsierenden Bass. HK Gruber bedient sich der Wiener Tradition, indem er sein Stück "Charivari" mit dem "Perpetuum Mobile" von Johann Strauss beginnen lässt.
    "Dieses Charivari ist an sich ein sehr virtuoses Orchesterstück, ideal als Türöffner in ein Konzert."
    In diesem Fall diente "Charivari" als Türöffner für das International Composer Festival in Stockholm, das in diesem Jahr HK Gruber gewidmet ist. Erleben konnte man, wie der gebürtige Wiener hier seinen Landsleuten die Leviten liest, indem die freundliche Maske österreichischer Gemütlichkeit rücksichtslos zertrümmert wird.
    Musik: HK Gruber "Charivari"
    "Ich habe mich eigentlich immer etwas geärgert über eine mir sehr unangenehme Lebenslüge, die die Österreicher sehr gerne immer wieder pflegen, nämlich sie bezeichnen sich als das erste Opfer der Nazis. In Wirklichkeit ist das nicht so einfach zu sagen, es gab einen sehr repräsentativen Bodensatz, der sehr für die Nazis war, der Anschluss war also doch relativ gewollt und was nicht stattfand, war eine Aufarbeitung der Geschichte. Es gab bei uns sehr wenige Kriegsverbrecher, die verurteilt wurden und es gab Freisprüche, die viele Leute sehr geärgert haben."
    Zwischen Tradition und Innovation
    HK Gruber, Jahrgang 43, ist ein Kind der 68er-Revolten, bewegt von linken Idealen. In Schweden ist der Dirigent, Komponist, Chansonnier und Kontrabassist kein Unbekannter. Seit Mitte der 90er-Jahre arbeitet HK Gruber regelmäßig mit dem Schwedischen Kammerorchester zusammen. Eine enge Freundschaft verbindet ihn zudem mit dem Trompeter Hakan Hardenberger, für den er 1999 sein Trompetenkonzert schrieb. Nun also zwei Wochen HK Gruber in Stockholm. Der Finne Sakari Oramo, seit 2008 Chefdirigent des königlichen Orchesters in Stockholm, beschreibt warum die Wahl auf Gruber fiel.
    "Seine Klangsprache ist ja zeitgenössisch, sehr zeitgenössisch finde ich, aber gleichzeitig auch sehr an die Tradition und besonders an die Wiener Tradition verbunden. Das 'Perpetuum Mobile' von Strauß wird in Charivari quasi gnadenlos kaputt gemahlen, aber so ist es ja auch gegangen mit der ganzen Kultur der Habsburger Zeit. Und dadurch wird Charivari natürlich als ein Showpiece für Orchester, aber viel mehr auch eine kulturelle Reise durch die letzten 200, 250 Jahre erlebt."
    Konserthuset Stockholm
    Konserthuset Stockholm (Deutschlandradio/Sylvia Systermans)
    Der neutönende Umgang HK Grubers mit der Tradition war auch im Klavierkonzert spürbar, seine Vorliebe zu Rhythmus und Puls, mit deutlichen Anklängen an Jazz und sein großes Vorbild Strawinsky. Über weite Strecken ist das Klavier in ein enges Orchesterkorsett eingeschnürt, mit rhythmisch komplex verschachtelten Passagen. Mehr Kammermusik als Sinfonik. Dann öffnen sich Inseln, in denen der Solist Emanuel Ax in Rubati schwelgen durfte.
    Musik: HK Gruber Klavierkonzert
    Mit staunenswerter Präzision und Transparenz machte Sakari Oramo mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra die spezielle Polyphonie in der schwedischen Erstaufführung des Klavierkonzerts von HK Gruber hörbar, einem Auftragswerk der philharmonischen Orchester von Stockholm, New York und Berlin und des Tonhalle Orchesters Zürich.
    Musik: HK Gruber Klavierkonzert
    Neue-Musik-Konzerte oft Höhepunkt der Saison
    Zum 32. Mal findet das International Composer Festival in diesen Tagen in Stockholm statt. Lang ist die Liste prominenter Komponisten, die hier bislang zu Gast waren von Alfred Schnittke, Krzysztof Penderecki und Sofia Gubaidulina bis John Adams. Vom Publikum wird die Reihe durchweg gut angenommen, sagt der CEO und künstlerische Leiter des Orchesters, Stefan Forsberg.
    "Die Konzerte des Festivals sind Bestandteil der normalen Abo-Reihe und das Publikums weiß, wenn es ein Abonnement des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra kauft, dass Konzerte des Festivals dabei sind. Für viele Besucher gehören diese Konzerte zu den Höhepunkten der Spielzeit. Sie haben diese Musik vielleicht noch nie vorher gehört, darum muss man Vertrauen zu den Zuhörern aufbauen, dass sie uns als Veranstalter vertrauen. Wenn wir einen Komponisten ins Programm nehmen, dann ist das eine Garantie für Qualität."
    Bei einem prominenten Festival mit internationalen Komponisten würde sich ein Rahmenprogramm mit Workshops, Meisterklassen und Diskussionsrunden anbieten. Zum Interesse von Studierenden und einer Kooperation mit der Musikhochschule äußert sich Stefan Forsberg zurückhaltend:
    "Wir organisieren das nicht, aber wir ermuntern die Musikhochschule dazu zu sagen, hier ist der Komponist, wenn ihr ein Seminar oder eine Meisterklasse organisieren wollt, sagt uns Bescheid und wir nehmen das auf unsere Agenda. Das Interesse der Studenten könnte größer sein, aber es ist vielleicht ein Zeichen unserer Zeit, dass Studenten heute nicht mehr so häufig in Konzerte gehen, wie sie sollten, um Repertoire kennenzulernen und Dinge aufzunehmen. Wir arbeiten daran."
    Das International Composer Festival ist nicht die einzige Plattform für zeitgenössische Musik des Royal Stockholm Philharmonic Orchestra. Jedes Jahr findet im Konzerthaus auch ein Festival für schwedische Komponisten statt und ein eigenes Festival für Komponistinnen. Darüber hinaus wurde an der Schwedischen Nationaloper vor wenigen Tagen eine Oper von Victoria Borisova-Ollas uraufgeführt. Sound of Stockholm heißt ein Festival für zeitgenössische Musik, in dem sich die freie Szene mit einem breiten Spektrum von elektronischer bis frei improvisierter Musik jedes Jahr Anfang November präsentiert. Die zeitgenössische Musik-Szene in Schweden ist eine vitale, gleichwohl vergleichsweise junge Szene, sagt Sakari Oramo.
    "Es gibt sehr viele vielversprechende junge Komponisten und Komponistinnen, viele von denen werden auch im Ausland schon gespielt. So alt wie Donaueschingen ist es nicht, etwas Ähnliches gibt es nicht, eher dann in Finnland wie das musica nova Helsinki Festival. Ich würde sagen, es ist eine jüngere Entwicklung, dass so prägnant in den Programmen steht, es war schon immer einiges, aber nicht vielleicht so viel wie heute."
    "Suppenkonzert" mit HK Gruber
    Während Festivals für zeitgenössische Musik in der Regel ein breites Spektrum aktueller Strömungen abbilden, taucht das International Composer Festival in Stockholm für ein bis zwei Wochen in das Schaffen eines einzigen, bereits auf internationalem Parket etablierten Komponisten ein. Im sogenannten Suppenkonzert, das im Stockholmer Konzerthaus Tradition hat, konnte man HK Gruber zudem als Chansonnier erleben mit Komponisten, die für ihn wichtige Inspirationsquellen waren. In der Grünewald Hall, dem imposanten Kammermusiksaal des Konzerthauses mit Fresken, Stuck und Jugendstildekor löffelte das Publikum Fischsuppe an weiß gedeckten Tischreihen, bevor HK Gruber, der einstige Wiener Sängerknabe, Lieder von Weill und Eisler sang.
    HK Gruber, der traditionsbewusste Neutöner, mit Liedern von Eisler und Weill. Dass der diesjährige Composer in Residence weit über das Festival hinaus seit 20 Jahren in Schweden eine zweite musikalische Heimat gefunden hat, ist nicht nur eine Frage seiner künstlerischen Qualitäten, sagt CEO Stefan Forsberg.
    "Seine Musik spricht uns an und ebenso seine warmherzige Persönlichkeit. Wir hier in Schweden mögen es, dass er als Künstler kein Prestigedenken hat. Wir empfinden ihn als sehr ehrlichen Künstler, sehr aufrichtig sich selbst gegenüber, das spürt man in seiner Musik. Und wir Schweden schätzen das."