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Computer als Testperson
Digital ausprobieren, wie Mittel und Dosierungen wirken

Medikation über Hautpflaster muss man vielleicht eines Tages nicht mehr gleich am Patienten ausprobieren, sondern erst an Kollege Computer. Eine Forschergruppe in Sankt Gallen arbeitet an smarten Pflastern und einem digitalen Haut-Simulanten, der die Reaktion auf Mittel und Dosierungen errechnen können soll.

Von Florian Schumann | 14.10.2019
Medikamentenpflaster auf dem Arm
Was ist die richtige Dosis eines Medikaments per Hautpflaster? Das können Ärzte womöglich eines Tages am Computer ausprobieren. (imago / Science Photo Library / Ian Hooton)
Knapp zwei Quadratmeter groß ist die Haut, unser größtes Organ. Ärzte nutzen sie auch, um Medikamente zu verabreichen. Meist mit sogenannten transdermalen Pflastern. Sie enthalten zum Beispiel Schmerzmittel, die dann über die Haut in den Blutkreislauf eindringen. Eine individuelle Dosierung ist dabei aber kaum möglich. Denn: Die Haut unterscheidet sich von Mensch zu Mensch.
"Ein Aspekt ist natürlich der Hautaufbau, die Dicke. Aber auch Ethnizität, Metabolismus, Blutkreislauf. Das sind sehr wichtige Sachen, die bestimmen, wie schnell ein Medikament in den Kreislauf kommt und wie schnell es metabolisiert wird", sagt Thijs Defraeye. Er leitet das Labor für Biomimetische Membranen und Textilien an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA im schweizerischen Sankt Gallen.
Mit seinem Team arbeitet er an einem digitalen Zwilling der Haut. Damit Patienten künftig auch nur genau die Menge eines Arzneistoffs erhalten, die sie wirklich brauchen.
Ein Programm, das Haut simuliert
Funktionieren soll das mit smarten Pflastern: Über intelligente Fasern und Membranen sollen sie die Medikamente in den Körper bringen. Während gleichzeitig winzige Sensoren registrieren, wie der Organismus auf die Stoffe reagiert.
"Die Idee ist, dass man vom Patienten verschiedene Biomarker misst und die Biomarker, zum Beispiel Temperatur, Körpertemperatur, pH oder Glucose-Konzentration, werden dann gefüttert in ein digitales Modell: den digitalen Doppelgänger."
Dabei handelt es sich um ein Computerprogramm. Die Forscher wollen es so programmieren, dass es in Echtzeit vorhersagen kann, wie Arzneistoffe bei einem Patienten durch die Haut transportiert werden. Dafür müssten Pflaster und digitaler Zwilling per Funk in ständiger Verbindung stehen.
"Im Moment sind wir noch am Anfang vom Projekt. Derzeit sind wir dran, den digitalen Doppelgänger, also das Modell, im Computer darzustellen. Und der nächste Schritt ist dann, das digitale Modell in Verbindung zu stellen mit den Sensoren, mit den Pflastern."
Medikation bis aufs Mikrogramm genau dank Sensoren
Zum Testen kleben die Wissenschaftler die Pflaster im Moment noch auf Kunsthaut. Später sollen Studien am Menschen folgen. In frühestens fünf Jahren, schätzt Defraeye, könnten dann erste Produkte auf den Markt kommen. Sie sollen passgenaue Dosierungen liefern. Zum Beispiel für Schmerzpatienten oder für Diabetiker.
"Wir arbeiten jetzt beim Modellieren vor allem mit den Schmerzmitteln Fentanyl und Ibuprofen. Also, Insulin machen wir jetzt noch nicht. Weil das ein großes Molekül ist, das machen wir dann in der Zukunft. Aber wir sind jetzt dran mit Fentanyl und Ibuprofen."
Arzneistoffe bis zu einer bestimmten Molekülgröße sollen sich so schmerzfrei in den Körper schleusen lassen. Dank der Sensoren in den Pflastern bis aufs Mikrogramm genau. Ohne das Risiko einer Überdosierung. Denn die Messfühler übermitteln permanent und in Echtzeit, wie sich zum Beispiel die Schweiß-Zusammensetzung verändert, während die Arznei in die Haut eindringt.
"So wie ein Wettervoraussagemodell"
Die Software für die Auswertung der Daten könnte zum Beispiel in einer Smartwatch untergebracht werden, die per Bluetooth mit den intelligenten Pflastern kommuniziert. So würde im Alltag ständig kontrolliert, welche Menge eines Medikaments abgegeben werden muss.
"Und der digitale Zwilling wird dann entscheiden, wie und wann und wie schnell die Medikamentenabgabe sein muss. Und damit wird dann das transdermale Pflaster gesteuert. Dort haben wir eine Membran drin, die geöffnet oder geschlossen wird. Es ist so wie ein Wettervoraussagemodell: Es sagt einfach, wann es der richtige Zeitpunkt ist, um die Fenster zu schließen."