Donnerstag, 25. April 2024

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Cordes: "Ich würde sogar von Hass sprechen"

In Limburg sei nicht nur Übertreibung, sondern auch viel Verleumdung im Spiel gewesen, findet Paul Josef Kardinal Cordes, früherer Präsident von Cor Unum im Vatikan. "Die Kampagne setzte an, lange bevor die Finanzen entdeckt wurden."

Paul Josef Kardinal Cordes im Gespräch mit Jürgen Liminski | 01.11.2013
    Jürgen Liminski: Der Glaube ist die größte Leidenschaft des Menschen, heißt es bei Kierkegaard, und die Geschichte ist voll von Belegen. Wegen des Glaubens führten Menschen Kriege und Kreuzzüge, verüben sie Attentate und sprengen sich dabei selbst in die Luft. In der Kirche hat das in unseren Breitengraden heute die Form von medialen Feldzügen und Auseinandersetzungen angenommen, immer aber geht es um das Zeugnis, um ein Stück Wahrheit, so auch in Limburg. Man darf sich jenseits aller Details, die jetzt von einer Kommission erarbeitet und durchleuchtet werden, fragen: Welche Lehre zieht oder sollte die Kirche aus dem Fall Limburg jetzt schon ziehen? Sind Kathedralen noch zeitgemäß, und sei es nur die Miniaturausgabe einer bischöflichen Residenz? Wie sollten die Hirten leben und was bedeutet Armut für die Kirche in der Welt von heute? Zu diesen und weiteren Fragen begrüße ich jetzt Paul Josef Kardinal Cordes, den früheren Präsidenten von Cor Unum, jener Organisation des Vatikans, die die sozialen Aktivitäten zum Beispiel der Caritas weltweit koordiniert. Kardinal Cordes lebt in Rom – guten Morgen, Eminenz!

    Paul Josef Kardinal Cordes: Guten Morgen, Herr Liminski!

    Liminski: Herr Kardinal, haben Sie eine Designer-Badewanne?

    Cordes: Da bin ich wohl schon zu lange weg von Deutschland. Nein, ich wohne in einer ganz normalen Mietwohnung hier im Vatikan. Der einzige Luxus, den ich mir leiste, ist ein Zimmer, ja, von vier mal vier Metern als Hauskapelle. Andere leisten sich einen Hobbyraum, bei mir ist es eine Kapelle. Sonst ist alles ganz normal wie in einer Mietwohnung.

    Liminski: In Limburg gehörte solche Bescheidenheit nicht zu den Bauplänen, auch in München oder in Stuttgart leistet sich die Kirche Bauten in zwei- und gar dreistelliger Millionenhöhe. Muss die Kirche nicht umdenken und sich mit kleineren Bauten begnügen?

    Cordes: Zum Fall Limburg ist gewiss das letzte Wort noch nicht gesagt, da müssen wir erst mal den Kommissionsbericht abwarten. Im Übrigen – ich sag das so als ferner Beobachter – strotzen die verbreiteten Kostenangaben von Übertreibungen. Zu Stuttgart und München hab ich keinerlei Kenntnis, vielleicht müsste man da bei den dortigen Bauherren nachfragen. In Limburg war hingegen nicht nur Übertreibung, sondern auch viel Verleumdung im Spiel, ich würde sogar von Hass sprechen streckenweise. Und was man im Auge behalten muss: Die Kampagne setzte an, lange bevor die Finanzen entdeckt wurden. Sie hatte für jemanden, der schon länger die Geschicke in Deutschland im Blick hat, ganz andere Gründe. Bischof Tebartz versuchte, die Bindung der Diözese an die katholische Weltkirche zu verstärken. Die hatten ja durch verschiedenen Praktiken und auch Personen doch sehr gelitten, und es hatten sich auch Strukturen eingestellt, die, ja, nicht einmal nach dem Kirchenrecht vertretbar sind. Da entsteht ein Klima, das sehr problematisch ist. Und wie viel noch zu tun bleibt, zeigt jetzt die jüngste Äußerung des Frankfurter Stadtpfarrers, der dem Heiligen Vater – jedenfalls nach Zeitungsnotizen – öffentlich Maulschellen erteilt.

    Liminski: Was bedeutet denn Armut für die Kirche? Man hört so oft den Begriff "Kirche der Armen" – ist Kirche nur ein anderes Wort für Caritas?

    Cordes: Kirche muss gewiss immer reformiert werden und auch sich zur Armut hin zu einer bescheideneren Form sich darzustellen entwickeln. Aber dahinter steht nicht nur ein Appell, den man in finanziellen Kategorien ausdrücken kann – arm oder reich. Mutter Teresa hat einmal gesagt, als sie gefragt wurde, was muss sich an der Kirche ändern, hat sie gesagt: Du und ich. Es ist, mir scheint, viel Familismus in der ganzen Diskussion um die Armut um Limburg. Man zeigt sehr bald mit dem Finger auf andere und vergisst sich selber. Es ist ein bisschen oberlehrerhaft, würde ich sagen.

    Liminski: Sie haben vor ein paar Monaten zusammen mit Manfred Lütz ein neues Buch herausgebracht mit dem programmatischen Untertitel "Entweltlichung". Soll sich die Kirche aus der Welt zurückziehen, vielleicht in stille, aber fein getäfelte Kämmerlein?

    Cordes: Ja, dieses Buch knüpfte an bei der berühmten Rede von Papst Benedikt in Freiburg und bei dem Aufschrei, den diese Rede ausgelöst hatte. Und manche haben sich ja nur zu gerne auf den Zug der Kirchenkritik draufgeschwungen – Kirchenfunktionäre, Politiker, Wissenschaftler. Natürlich haben wir in der Kirche zu leben, dass Christus Mensch geworden ist. Wir sind eine inkarnierte Religion, und Weltflucht wäre das Letzte. Aber zu viel Welt ist natürlich auch nicht angezeigt. Und vielleicht zeigt die Diskussion in Limburg ein wenig, dass zu viel Welt in der Kirche auch nicht die Lösung sein kann.

    Liminski: Sie nennen Ihr Buch eine Streitschrift, gibt es denn Streit in der Kirche um diesen Begriff?

    Cordes: Der Begriff hat viel Polemik ausgelöst, weil er zunächst auch nicht auf seine Wurzeln hin abgetastet wurde. Entweltlichung ist immer schon ein Problem nicht nur des Christentums, sondern aller Religionen gewesen, und es gehört sozusagen zu jeder Botschaft, die mehr will, als sich in der Welt wohlfühlen, dass die Welt von dieser Botschaft Besitz ergreift, sodass dann auf die Dauer hin eben diese Religion sich auflöst, verdünnt, verschwindet. Ich habe in meiner Publikation, in der von Ihnen genannten Publikation, eben hingewiesen auf so große Geister wie Simon Meil oder auf Charles Taylor oder auch wie Rudolf Buttmann, der übrigens der Autor dieses Begriffs ist, wie mir Papst Benedikt selbst zugesagt hat. Entweltlichung ist also immer ein Programm für jede Religion, und zu viel Welt – so sehen wir in Limburg – in der Religion verdünnt die Religion oder löst sie ganz auf. Zu wenig Welt wäre Flucht aus der Welt, und das kann auch nicht das Ziel sein.

    Liminski: Nun könnte man eine Parallele ziehen und sagen, die Diskussion um Limburg ist nur eine, ja, eine deutsche Art der Debatte um die Befreiungstheologie – da ging es auch um Armut und Gerechtigkeit, allerdings auch um Gewalt. In Deutschland schießt man lieber mit gedruckten Worten und gesendeten Bildern, aber auch hier geht es um den Griff zur Kasse, letztlich um die Verfügungsmacht über Geld und Vermögen. Was raten Sie denn Ihren deutschen Kollegen – mehr Transparenz, mehr Pastorales statt Bauten, mehr Pastorales statt Strukturen und Gremien, mehr Samariterdienste für die Dritte Welt?

    Cordes: Ich würde allerdings zu der Transparenz unbedingt den geistlichen Mitbrüdern aus Deutschland empfehlen, mehr Transzendenz. Dass wir natürlich Mittel brauchen, ist unbestritten, ob wir in Deutschland leben oder irgendwo anders in der Welt, die Deutschen helfen sehr, sehr viel, damit diese natürlichen Mittel überall auch der Kirche zur Verfügung stehen. Doch wer predigt heute noch – ich denke jetzt vor allen Dingen an Deutschland – das ewige Leben? Wie viel alte Menschen begehen Selbstmord, weil sie das vergessen haben. Ich wünsche mir die Sehnsucht nach dem Vater Jesu Christi in den Mund und das Herz meiner priesterlichen und bischöflichen Mitbrüder.

    Liminski: Herr Kardinal, noch eine Frage zu einem ganz anderen sehr aktuellen Thema: Die Amerikaner hören offenbar genau hin, was der Papst sagt, selbst wenn er es am Privattelefon sagt. Sie hören ihn ab, wenn man den Medienberichten glauben darf. Überrascht oder empört Sie das?

    Cordes: Tja, ich habe eigentlich bislang immer eine relativ hohe Meinung von einem humanitären Level von menschlichem Wohlwollen gegenüber den Amerikanern gehabt. Ich bedauere das sehr. Und als es noch im Ostblock die Mächte gab, da wussten wir – jedenfalls wenn ich nach Polen kam –, wir müssen jetzt das Radio anstellen, damit wir nicht abgehört werden. Ich muss also jetzt hierzu sagen, der Gedanke ist mir bislang eigentlich nicht gekommen. Nur ist die Materie, mit der ich umgehe, auch nicht so gravierend, als dass sie viel Interesse an mir haben könnten. Aber das Misstrauen oder der Vertrauensbruch, der darin liegt, der belastet schon das Verhältnis, das Verhältnis zu einem anderen Volk. Wobei ich lange genug lebe, um den Fehler zu begehen, dass ich jetzt die Dummheit Einzelner jetzt sofort fürs Ganze setze. Aber ich hoffe mir sehr, dass sich Amerikaner, das heißt also, man muss jetzt sagen US-Bürger, auch dagegen wehren, dass so etwas passiert und dass also diese imperialistische Perspektive, die sich mit solchen Selbstgenehmigungen verbindet, dass diese imperialistische Perspektive nicht unser Verhältnis zu dem Volk der Vereinigten Staaten bestimmt.

    Liminski: Mehr Transzendenz und was die Kirche aus dem Fall Limburg sonst noch lernen kann. Das war Paul Josef Kardinal Cordes, ehemals Präsident von Cor Unum und heute Kurienkardinal in Rom. Bis dann fürs Gespräch, Herr Kardinal!

    Cordes: Gern geschehen, Herr Liminski!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.