Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Corona: Erkenntnisse einer Krise
Spaltpilz Massenarbeitslosigkeit

Die Corona-Pandemie ist ein Schock für die Wirtschaft: Wochenlang standen Fabriken still, Restaurants und Geschäfte waren geschlossen. Das milliardenschwere Konjunkturpaket der Koalition soll nun den Konsum anregen und den Arbeitsmarkt beleben. Experten fürchten dennoch eine politische Spaltung - in ganz Europa.

Von Katja Scherer | 04.06.2020
16.05.2020, Berlin. Ein Obdachloser sitzt an einer Einkaufsstrasse in Steglitz vor einem Laden und traegt einen Mundschutz. Ein älterer Mann mit Mundschutz geht an ihm vorbei.
Die aktuelle Krise birgt einiges an politischer Sprengkraft - das zumindest meinen Wirtschafts- und Sozialforscher, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie beschäftigt haben. (Wolfram Steinberg / dpa)
Wenn bei Sandra Heimerzheim in diesen Tagen das Telefon klingelt, sind die Gespräche meist wenig erbaulich. Die junge Frau arbeitet für die Arbeitslosenberatung der Caritas Düsseldorf, momentan vom Homeoffice aus. Sie erlebt, wie viele Menschen, viele Familien in Deutschland derzeit in existentielle Nöte geraten. "Es gibt die Studenten, die sich durch Jobs in der Gastronomie finanzieren, die jetzt wegfallen. Es gibt die Selbstständigen, die entweder vorübergehend ohne Einnahmen sind oder tatsächlich ihre Geschäfte schließen müssen", zählt Sandra Heimerzheim auf.
Die Liste der Anrufer ist lang: "Es gibt Fragen von Rentnern, die durch freiberufliche Tätigkeiten ihre Rente aufstocken. Und natürlich auch Anfragen von Familien oder Alleinerziehenden zu dem E-Learning, die nicht ausgestattet sind, dass die Kinder zu Hause einen Drucker haben oder ein Tablet haben, oder meistens dann übers Handy irgendwie rumfummeln mit ihren Schulaufgaben."
Wirtschafts-Schock durch die Corona-Krise
Und auch andernorts in Europa sieht die Lage nicht viel besser aus, wie Korrespondenten der ARD berichten. In Spanien und Italien zum Beispiel stehen immer mehr Menschen Schlange, um Essensspenden zu bekommen – zum Beispiel Gemüsesuppe bei einer kirchlichen Einrichtung in Madrid.
Betriebe schließen, die Kurzarbeit ist in die Höhe geschnellt, die Kauflust vieler Menschen verschwunden: Für die Wirtschaft in Europa ist die Corona-Krise ein enormer Schock. Bis zu zwölf Prozent könnte die Wirtschaft im Euroraum insgesamt in diesem Jahr schrumpfen, befürchtet die Europäische Zentralbank.
Dieser Hintergrund ist Teil 3 einer Serie zu den Krisenerkenntnissen der Corona-Pandemie

Teil 1 am 2.6.2020: Lehren für Medizin und Pflege in Deutschland
Teil 2 am 3.6.2020: Afrikas Gesundheitsnöte
Teil 4 am 5.6.2020: Die Welt in Unordnung
Teil 5 am 6.6.2020: Sehnsucht Tourismus
Teil 6 am 7.6.2020: Nicht die Stunde der europäischen Rechten
Dabei treffen die Folgen der Krise nicht alle Menschen gleich: Während manche um ihre Existenz ringen, können andere im Homeoffice immerhin weiterarbeiten. Oder sie gleichen Lohnausfälle durch Ersparnisse aus. Was bedeutet das für die soziale Ungleichheit in Deutschland und Europa? Wird diese durch die Krise zunehmen?
"Der wirtschaftliche Einbruch, den wir jetzt erleben, das ist der stärkste Konjunktureinbruch, den es in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg gab", sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber. Er arbeitet beim Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, einer Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit.
Hunderttausende könnten ihre Arbeit verlieren
Weber geht davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in der Bundesrepublik im Zuge der Krise auf mehr als drei Millionen ansteigen könnte, also mehrere hunderttausend Menschen ihre Arbeit verlieren. "Die Arbeitslosigkeit lag im vorletzten Jahrzehnt in Deutschland schon einmal über fünf Millionen Personen. Da sind wir zu mehr als einer Halbierung gekommen. Von daher ist im Moment Massenarbeitslosigkeit sicherlich nicht der richtige Begriff. Aber wir haben die schnellste Erhöhung der Arbeitslosenzahlen innerhalb kürzester Zeit, die wir halt seit Langem gesehen haben, weil die Krise so abrupt über uns hineingebrochen ist."
In Deutschland hat die Bundesregierung daher am Mittwochabend ein weitreichendes Konjunkturpaket auf den Weg gebracht. Es beinhaltet unter anderem eine Senkung der Mehrwertsteuer sowie weitere Hilfen für Unternehmen. Das soll dafür sorgen, dass Menschen wieder mehr kaufen und Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Die Folgen der Krise am Arbeitsmarkt sind derzeit in allen europäischen Ländern zu spüren, sagt Weber – von Skandinavien bis Griechenland: "Es gibt sicherlich einige Länder, die immer auch in der großen Diskussion sind, wo die Effekte noch stärker zu Buche schlagen, allen voran Italien selbstverständlich. Aber auch in Frankreich und Spanien haben wir gravierende Auswirkungen. Auch in vielen anderen Ländern. Es gibt im Grunde kaum Ausnahmen."
Besonders gravierend ist die Krise aus der Sicht des Ökonomen dabei auch, weil sie anders als zum Beispiel die Finanzkrise auch Branchen wie den Tourismus, den Kulturbereich und die Gastronomie betrifft: "Die Krise wirkt sich ganz breit aus. Sie wirkt sich aus wie die letzte Krise auf die mittleren Einkommensschichten, also die Facharbeiter in der Industrie zum Beispiel, die in der letzten Krise 2009 stark betroffen waren. Aber das Ungewöhnliche ist, dass es viele Menschen mit Minijobs, mit niedrigen Einkommen betrifft, in den ganzen Dienstleistungsbereichen, die ansonsten diese Fluktuation nicht so mitmachen, aber dieses Mal aufgrund der Schließungen eben voll erwischt werden."
Was das für die betroffenen Menschen und auch die Gesellschaft insgesamt bedeutet, erforschen derzeit Soziologinnen und Soziologen in ganz Europa. Die Professorin Katja Möhring von der Universität Mannheim zum Beispiel, befragt seit dem Ausbruch der Coronakrise jede Woche die gleichen rund 4.000 Menschen in Deutschland nach ihrem Befinden. Ihr Fazit: "Hier sehen wir ein ganz klares Muster, dass bestehende soziale Ungleichheit am Arbeitsmarkt durch diese Coronakrise teilweise wieder weiter verstärkt wird."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Bochum: Die Barhocker stehen umgedreht auf einer Theke der Kneipe Flashbacks im beliebten Ausgehviertel Bermuda3Eck.
Zahl der Minijobs geht zurück
Kellnern, putzen oder Karten abreißen - in vielen Branchen arbeiten geringfügig Beschäftigte. In der Coronakrise sind sie nun jedoch die ersten, die entlassen werden. Bis Ende März sind die Minijob-Zahlen so deutlich gesunken wie noch nie.
Die Last der Mütter
Konkret beobachtet Möhring, dass Menschen, die über eine gute Ausbildung verfügen, von der Krise im Schnitt weniger hart betroffen sind, beziehungsweise sich besser anpassen können: "Homeoffice ist etwas, was vor allem von Menschen genutzt wird, die über eine hohe Schulbildung verfügen, die auch schon vor der Corona-Krise über ein relativ gutes Einkommen verfügt haben. Die Menschen, die zum Beispiel einen Realschulabschluss haben oder vielleicht gar keinen Schulabschluss, sind entweder in der Situation, dass sie weiter vor Ort arbeiten oder sind über die Zeit jetzt immer stärker von Arbeitslosigkeit betroffen."
Die Soziologin Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin hat ebenfalls Befragungen in der Coronakrise durchgeführt und stellt fest: Durch die Schul- und Kitaschließungen wirkt sich die Krise außerdem sehr unterschiedlich auf Männer und Frauen aus. "Ein Befund, der eklatant ist, ist, dass es bei den sozialen Folgen vor allem die Frauen sind, die die Last zu tragen haben – ganz besonders die Mütter."

Denn wenn Paare ihre Kinder nun zu Hause versorgen müssen, machen das in aller Regel die Frauen. Viele müssen dafür Stunden im Job reduzieren oder können keinen vollen Einsatz zeigen. Denn Homeoffice mit Kindern ist schwierig.
Die Soziologin Lena Hipp geht davon aus, dass aus dieser "Notfall-Lösung" schnell ein Dauerzustand werden könnte, und gerade junge Frauen beruflich ausgebremst werden könnten: "Bis nicht ein Impfstoff gefunden ist oder eine Herdenimmunität erreicht sein wird, kann es durchaus sein, dass jedes Kind mit einem kleinen Schnupfen oder Husten sofort wieder nach Hause geschickt wird. Aus guten Gründen. Und das führt aber dazu, dass, selbst wenn in der Breite Kitas und Schulen wieder geöffnet sind, dass individuell tatsächlich die Betreuung noch prekärer ist, als sie schon in normalen Zeiten ist."
Eine Frau sitzt neben einem ein Baby im Hochstul am Tisch vor einem Laptop
„Ein Befund, der eklatant ist, ist, dass es bei den sozialen Folgen vor allem die Frauen sind, die die Last zu tragen haben – ganz besonders die Mütter“, so die Soziologin Lena Hipp (imago images / Westend61)
Ein Mann und eine Frau putzen gemeinsam die Fenster.
Folgen der Coronakrise - Gefahr eines Rückfalls in klassische Rollenmuster
Die Autorin Sabine Rennefanz beobachtet bei Familien in der Coronakrise, dass Frauen und Männer wieder in klassische Rollenklischees zurückfallen. Auch gesellschaftlich würden Frauen die Krise viel stärker tragen.
Existentielle Fragen für Geringverdiener
Viele Experten gehen davon aus, dass die sozialen Ungleichheiten, die derzeit in der Corona-Krise offenbar werden, langfristig nachwirken. Die Soziologin Lena Hipp weist zum Beispiel auch auf die Folgen der Schulschließungen für Kinder und Jugendliche hin: "Ob Sie einen Ausbildungsplatz bekommen oder nicht, hängt von Ihrer Schulnote ab. Und wenn Sie diesen Ausbildungsplatz nicht bekommen, dann sind Sie natürlich schon wieder ein ganzes Stück abgerutscht, dann sind Sie wieder ein Jahr hinterher. Und es wird ja dann nicht einfach und nicht leichter. Gerade im Bildungsbereich glaube ich, dass wir mit sehr langfristigen und schwerwiegenden sozialen Folgen zu rechnen haben."
Und auch für viele Geringverdiener, die wenige Ersparnisse haben, ist die Lage derzeit kritisch. So zeigt eine Umfrage im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: Gerade Menschen mit niedrigen Einkommen bekommen von ihren Arbeitgebern seltener Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld.
Eine Frau mit Nase-Mund-Schutzmaske geht in München an einem Geschäft vorbei, an dem ein Schild mit der Aufschrift "Nur ein Kunde" angebracht ist.
Ökonom - "Wirtschaft und Ethik zusammen betrachten"
Man müsse vermeiden, dass die Bekämpfung des Coronavirus am Ende höhere Nebenwirkungen erzeugten als das Virus selbst, sagte der Ökonom Dominik Enste im Dlf.
Und viele können die Lücke, die so entsteht, nur für maximal drei Monate ausgleichen: "Das sind Menschen, die leben ja sowieso häufig trotz Arbeit an der Armutsgrenze und die haben einfach keine Spielräume zu sagen: Na ja, dann haben wir halt irgendwie mal 200 Euro weniger im Monat für drei, vier Monate. Das sind existenzielle Fragen", sagt Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.
Eine Anfrage bei der Schuldnerberatung Köln zeigt: Noch melden sich dort nicht mehr Menschen als üblich. Das liege wohl daran, dass Verbraucher Miete und Stromzahlungen in der Krise bis Ende Juni aussetzen können, vermuten die Berater. Spätestens im dritten Quartal aber könnten viele Geringverdiener in die Überschuldung rutschen. Bettina Kohlrausch stellt fest, "dass man die Notlage nicht komplett übersehen hat, aber das Augenmerk war nicht in der Stärke, in der es diese Menschen brauchten, auf diese Gruppe."
Solo-Selbstständige und Minijobber in Not
So hat der Staat kürzlich zwar das Kurzarbeitergeld aufgestockt. Beschäftigte, die besonders lange arbeitslos sind, bekommen nach drei Monaten nun sogar mehr als zwei Drittel ihres Gehalts vom Staat erstattet. "Wir haben aber in unseren Daten gesehen, dass es eben gerade für die, die wenig verdienen, zu spät kommt nach drei Monaten."
Keine Lösung gibt es derzeit außerdem für die so genannten Minijobber, also Menschen mit einem 450-Euro-Job. Nach Angaben der sogenannten Mini-Job-Zentrale sind seit Ende Dezember rund 300.000 solcher Arbeitsplätze weggefallen. Die Betroffenen haben nun weder Anspruch auf Arbeitslosen- noch auf Kurzarbeitergeld, weil sie vorher keine Abgaben gezahlt haben.
Gleiches gelte für viele Solo-Selbstständige, sagt Arbeitsmarktforscher Enzo Weber: "Wenn man im Moment keine soziale Absicherung hat, dann droht unmittelbar der Sturz bis auf Grundsicherungsniveau und das kann sehr niedrig sein, gerade für Menschen, die vielleicht selbstständig waren, die es gewohnt waren, ihr eigenes Geschäft zu betreiben, auf eigenen Beinen zu stehen und dann plötzlich in diese Abhängigkeit zu fallen, das ist ohne Zweifel ein harter Schlag."
Roboter sind immun gegen das Virus
Immerhin: Die Senkung der Mehrwertsteuer, die nun von der Bundesregierung beschlossen wurde, dürfte vor allem Geringverdienern helfen. Eine weitere Herausforderung aus sozialpolitischer Sicht: Wenn nach der Krise wieder neue Arbeitsplätze entstehen, dürften das andere sein als vorher.
Menschenleere Fußgängerzone in Essen
Ökonom Niko Paech: "Man hätte der Krise zuvorkommen können"
Die Coronakrise wird nach Ansicht des Ökonoms Niko Paech zum Lehrmeister eines Wandels, vor dem sich die Gesellschaft lange Zeit gedrückt habe. Die Erschütterung der Globalisierungsstrukturen durch eine Krise sei nur eine Frage der Zeit gewesen.
So führten Krisen historisch betrachtet häufig zu einem Automatisierungsschub, sagt Lukas Schlögl, Politikwissenschaftler an der Universität Wien. Und das lasse sich auch dieses Mal wieder in China beobachten: "Dort ist ja die Krise auch schon zu einer Art Dauerzustand geworden und man hat sich wohl oder übel daran gewöhnt, dass man damit rechnen muss, Betriebssperren durchzusetzen, weil die Infektionszahlen wieder hochgehen. Und die Betriebe haben gemerkt: Unsere menschlichen Arbeitskräfte sind schlichtweg verwundbar in dieser Situation und die Roboter sind immun."
Vor allem könnte die Digitalisierung nun auch in Bereichen zunehmen, in denen bisher soziale Kontakte unvermeidlich schienen.
"Lieber Vielreisender, wir wissen, dass Effizienz für Sie an erster Stelle steht. Daher haben wir eine Lösung entwickelt, mit der sie ab sofort ihren Hotelaufenthalt mühelos über eine App organisieren können", heißt es in einem Werbefilm.
Hotels mit Selbst-Check-In oder Restaurants ohne Personal, all das gab es zwar schon vor Corona-Zeiten. Massentauglich waren solche Angebote bisher aber eher selten.
Politische Spaltung durch Corona
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Bisher hat der technologische Wandel immer neue Jobs entstehen lassen. Allerdings: Auch davon könnten vor allem Besserqualifizierte profitieren. Der Politikexperte Schlögl befürchtet daher, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt, den es in Mitteleuropa anfangs in der Krise gegeben habe, bald kippen könnte:
"Wir haben dieses Kippen übrigens in der sogenannten Flüchtlingskrise vor ein paar Jahren ganz deutlich gesehen, wo am Anfang sehr starke Solidarität mobilisiert worden ist und dann irgendwie ein Angst-Diskurs aufgekommen ist. Und so etwas ist nicht unmöglich, glaube ich, dass wir ähnliche rasche Entsolidarisierungen auch in dieser Krise momentan sehen."
Dass die aktuelle Krise einiges an politischer Sprengkraft birgt, glaubt auch Bettina Kohlrausch vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: "Wir haben schon vor der Krise gesehen, dass es einen relativen großen Teil von Menschen gibt, die das Gefühl haben, dass der Teil, der ihnen zusteht, dass sie den nicht bekommen. Dass sie sich Sorgen machen, dass auch wenn es ihnen jetzt ganz gut geht, das in Zukunft vielleicht nicht so sein wird. Und wir haben schon gesehen, dass diese Menschen, die dieses Gefühl haben, häufiger zum Beispiel AfD wählen, sodass das Potenzal der sozialen Spaltung, das dieser Krise innewohnt, auch das Potential hat, diese Gesellschaft weiter politisch zu spalten."
Drei Obdachlose sitzen in Berlin mit großem Abstand auf Parkbänken auf einem Platz in Kreuzberg.
Obdachlose in der Coronakrise - Die Letzten auf der Straße
Obdachlose hat die Coronakrise hart getroffen. Viele Notunterkünfte sind wegen der Pandemie geschlossen. Auf den Straßen gibt es kaum Menschen – also auch viel weniger Spenden.
Barbara Kempnich leitet die Bahnhofsmission in Düsseldorf. Ihr Team hilft Menschen in Nöten, Menschen also, die kein Zuhause haben, Essen brauchen oder einsam sind. Kempnich, die selbst derzeit im Homeoffice ist, beobachtet bei den Besuchern der Bahnhofsmission: Das Gefühl, abgehängt zu sein, hat nicht nur materielle Gründe. "Die Menschen, die über kein Equipment verfügen, wie ein Smartphone oder Internetanschluss, die können sich natürlich auch nicht wie wir informieren. Und das verunsichert ja total, wenn man sich auch noch so abgeschnitten von dem Diskurs fühlt, der im Moment geführt wird."
Es passiere dann schnell, dass Feinbilder aufgebaut würden und Aggressionen entstünden: "Und deshalb finde ich ganz, ganz wichtig, dass man die Leute bildet, dass man sie informiert auf den verschiedensten Kanälen und auch mit einfacheren Formaten."
Schwung für den Arbeitsmarkt
Wie kann man verhindern, dass sich soziale Ungleichheiten durch die Krise verfestigen? Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht, aber zumindest einige Ansatzpunkte. Für Arbeitsmarktforscher Enzo Weber zum Beispiel ist vor allem wichtig, den Arbeitsmarkt schnell wieder in Schwung zu bringen – so wie es in Deutschland die Bundesregierung nun mit dem neuen Konjunkturpaket versucht: "Und da muss es darum gehen, nicht nur die bestehenden Jobs zu erhalten. Das ist extrem wichtig, da wird viel getan. Aber mit Kurzarbeit retten wir keine Neueinstellungen. Also müssen wir dafür sorgen – angesichts der Tatsache, dass es normalerweise jedes Jahr in Deutschland mehrere Millionen Neueinstellungen gibt – müssen wir dafür sorgen, dass wir auch diese Neueinstellungen wieder in Gang bringen. Ansonsten werden wir schwer von der Arbeitslosigkeit wieder wegkommen."
PKWs stehen nebeneinander auf Halde und warten auf Abnehmer.
ifo-Institut - Wirtschaft leidet unter Coronakrise
Die Coronakrise hat die Wirtschaft fest im Griff. Laut Münchner ifo-Institut ist die Stimmung in den Unternehmen so schlecht wie nie. Einige Experten befürchten sogar, es könnte zur schlimmsten Rezession der Nachkriegsgeschichte kommen. Doch es gibt auch Hoffnung.
Weber schlägt daher vor: Um Unternehmen zu motivieren, neue Mitarbeiter einzustellen, könnte der Bund zeitweise bei neuen Stellen die Sozialbeiträge übernehmen.
Und die Soziologin Lena Hipp rät, die Erziehungsarbeit in der Krise gleicher zu verteilen: "Mein Plädoyer im Moment wäre, dass wir eigentlich die Gunst der Stunde nutzen, um uns nochmal grundsätzlich Gedanken zu machen, wie denn beispielsweise Vereinbarkeit von Familie und Beruf gelingen kann. Also dass nicht das Modell, er arbeitet 40 Stunden, sie arbeitet 20 Stunden, die Norm ist, sondern beispielsweise: beide arbeiten 30 Stunden."
Fragen der Gerechtigkeit
Einig sind sich die meisten Experten auch, dass der Staat mehr in Bildung investieren muss. In der kurzen Frist, um die Schulausfälle zu kompensieren. Aber auch langfristig, um Menschen für den digitalen Wandel weiterzubilden.
Dabei könnte die aktuelle Krise auch Anlass sein, soziale Ungleichheiten in Europa grundsätzlich zu hinterfragen, findet Politikwissenschaftler Lukas Schlögl: "Wenn wir in die Geschichte zurückblicken, dann hat der technologische Wandel zumindest in den letzten fünfzig Jahren dazu geführt, dass die Seite der KapitaleigentümerInnen wirtschaftlich und politisch gestärkt worden ist."
Das heißt: In vielen Ländern lässt sich beobachten, dass vor allem die Menschen von technologischen Fortschritten profitieren, die bereits über Bildung und Vermögen verfügen. Mehrmals schon haben internationale Organisationen wie der Internationale Währungsfonds das kritisiert – auch für Deutschland.
Lob des Sozialstaats
In Österreich hat die Krise daher eine Debatte über höhere Erbschafts- und Vermögenssteuer ausgelöst. Politikwissenschaftler Schlögl: "Wann, wenn nicht in der Krise muss man über neue Steuern nachdenken? Und es geht ja nicht darum, die Steuerlast insgesamt zu erhöhen, sondern um eine Umsteuerung von Besteuerung des Faktors Arbeit hin zu einer Besteuerung des Faktors Kapital."
Arbeitsmarktforscher Enzo Weber dagegen hält andere Maßnahmen für wichtiger: "Für die Gesellschaft, für die Arbeitsmarktentwicklung ist es vor allem schädlich, wenn Menschen am unteren Rand zurückfallen. Da ist es nicht so sehr schädlich, wenn die Reichen, wie es immer heißt, immer reicher werden, sondern wir müssen uns vor allem um das Zurückfallen kümmern. Die Investition in Qualifizierung, in bessere Jobs, das ist das Entscheidende, um die Ungleichheit nachhaltig zurückzufahren."
In einem Punkt aber sind sich sowohl Schlögl als auch Weber einig: Die Krise habe gezeigt, dass ein funktionierender Sozialstaat ein hohes Gut sei, auf das sich europäische Staaten wieder neu besinnen sollten.
Sandra Heimerzheim von der Arbeitslosenberatung in Düsseldorf, bei der derzeit täglich Menschen in Not anrufen, sieht das genauso. Sie hofft, "dass auch nach der akuten Krise geguckt wird, dass das der Arbeitsmarkt und all das in Gang kommt. Weil natürlich die Wirtschaftslage entscheidend ist dafür, ob die Leute die Möglichkeit haben, eigenes Geld zu verdienen. Und dass der Aktionismus, der jetzt glücklicherweise besteht, nicht einfach aufhört, wenn es vorbei ist."