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Corona und Kultur
Europas Theater im Krisenmodus

Die Kulturveranstalter waren die ersten, die hart von der Corona-Pandemie getroffen wurden. In ganz Europa sind Theater und Opernhäuser geschlossen, zunächst bis zum 19. April. Wie lange halten die Häuser das aus? Eindrücke aus Berlin und Paris, Göteborg und Lausanne.

Von Eberhard Spreng | 19.03.2020
 Das Staatstheater Mainz hat nach seiner Schließung wegen der Coronakrise ein Transparent an die Fassade gehängt, das die Hoffnung auf eine baldige Wiedereröffnung zum Ausdruck bringt. Deutlich weniger Passanten als gewöhnlich sind am ersten Tag der Schli
Die Hoffnung bleibt: Das Staatstheater Mainz geht von baldiger Wiedereröffnung aus. (Peter Zschunke/dpa)
Die Theater sind geschlossen und arbeiten doch fieberhaft: nicht auf den Bühnen, sondern in den Intendanzen und Geschäftsführungen. Im Krisenmodus müssen sie herausfinden, wie die künstlerischen und finanziellen Verluste abgemildert werden können. In der Berliner Schaubühne erklärt Direktoriumsmitglied Tobias Veit die Folgen der Schließung für sein Haus:
"Das bedeutet natürlich neben dem künstlerischen Verlust, neben dem Verlust des Angebots an die Zuschauer, dass die Schaubühne unmittelbar und direkt in eine wirtschaftliche Schieflage kommt. Die Einnahmen für diese Zeit, das sind über 100.000 Euro. Gastspiele wurden schon abgesagt, und damit sind wir bei Verlusten weit über einer halben Million. Und wenn wir davon ausgehen, dass das mit dem 19. April nicht unbedingt zu Ende ist, kommen wir in einen Bereich, wo wir mehr als eine Million, wenn nicht zwei Millionen Verluste haben. Und das werden wir ganz sicher nicht aus eigener Kraft stemmen können."
Dauer der Schließung entscheidend
In Frankreich leitet Stéphane Braunschweig mit dem Théâtre de l’Odéon eines der wichtigsten französischen Nationaltheater. Dort hätte in diesen Tagen eigentlich Isabelle Huppert auftreten sollen. Die Premiere konnte noch stattfinden, bevor das Aufführungsverbot die Pariser Bühne erreichte.
"Für die französischen Theater werden die Konsequenzen der Corona-Pandemie und der Aufführungsstops von zwei Faktoren abhängen: Der erste ist die Dauer der Theaterschließungen, also die Frage, wie viele Inszenierungen annulliert werden? Der zweite Faktor ist die Frage, ob der Staat die Verluste an der Theaterkasse ausgleicht. Das ist hier nicht wie in Deutschland: Wir arbeiten mit freien Kompagnien, die eigene Förderungen haben. Und die wollen wir nicht hängen lassen. Wir wollen den Verträgen gerecht werden und sie bezahlen, auch wenn wir die Aufführungen absagen müssen."
Hilfen zugesagt
Staatspräsident Emmanuel Macron hatte bereits Hilfen zugesagt. Aber werden die angekündigten fünf Millionen Euro aus dem heute beschlossenen staatlichen Kulturhilfspaket reichen für die großen Theaterhäuser und die freie Szene? Die französische Theaterlandschaft ist ohne sie nicht denkbar. Aber wird das auch für Deutschland gelten? Kulturstaatsministerin Monika Grütters will sich dafür einsetzen. Aber wie geht das Theater in seiner derzeitigen Suche nach Möglichkeiten der Kostensenkung mit seinen Mitarbeitern um? Tobias Veit denkt an Kurzarbeit, Abbau der Überstunden oder Urlaub:
"Was bedeutet das für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Das sind ja ganz schnell gehörige Verluste, mit denen der Einzelne oder die Einzelne kaum umzugehen weiß. Ganz zu schweigen von den Gästen und freien Künstlern, deren Verträge jetzt nicht durchgeführt werden können, die wir teilweise nicht auszahlen können, weil wir bestimmte Klauseln haben. In denen wir dann auch nicht verpflichtet sind, die auszuzahlen, so gerne wir das in Einzelfall natürlich eigentlich wollen; womit wir dann auch die einzelnen Künstler in eine sehr prekäre Lage versetzen."
Kleine Theater existenzbedroht
Die Schaubühne ist als gefördertes Privattheater in einer etwas anderen Situation als die öffentlichen Bühnen. Sie muss mit 30 Prozent einen erheblich höheren Anteil ihrer Kosten tragen, und dabei spielt neben den Einnahmen an der eigenen Theaterkasse der nun eingestellte Tourneebetrieb eine große Rolle. Auch in Schweden ruht der Theaterbetrieb. Das Göteborger Stadttheater leitet Björn Sandmark, und auch er sieht in der gegenwärtigen Krise vor allem die kleinen Häuser in Gefahr:
"Die schwedischen Theater sind zurzeit in einer tiefen Krise. Es gibt kaum ein Theater, das noch spielt. Für die größten Institutionen ist das vielleicht ein kleineres Problem. Gerade die kleineren freien Bühnen und kleineren Theater haben, glaube ich, größere Probleme. Die Kultusministerin hat gesagt, sie wird die Sache untersuchen, ob es eine Möglichkeit gibt, die freien Bühnen zu unterstützen. Wir werden sehen, was dabei rauskommt, noch ist nichts entschieden."
#meinekartemeinebuehne
Wichtig wäre jetzt die Solidarität zwischen den besser abgesicherten öffentlichen Kulturbetrieben und der prekär finanzierten freien Szene und den kleinen Privattheatern. Schon seit Jahren haben sich die beiden Sektoren in Ko-Produktionen und Kooperationen auch in Deutschland immer mehr angenähert. Die Corona-Krise könnte dies wieder zunichte machen. Im Publikum jedenfalls empfiehlt eine Solidaritätsinitiative unter dem Hashtag #meinekartemeinebuehne, auf die Rückerstattung von Tickets für nun abgesagte Veranstaltungen zu verzichten, und will damit vor allem den Schwächeren der Bühnenlandschaft helfen.
Im schweizerischen Lausanne überlegt Theaterdirektor Vincent Baudriller, wie der verlorene Faden der Verbindung von Bühne und Publikum wieder aufgenommen werden kann und will aus dem digitalen Medienarchiv des Hauses Interviews mit Künstlern und weiteres Videomaterial streamen:
"Im Moment passiert exakt das Gegenteil dessen, wofür es das Theater gibt: die Bevölkerung an einem bestimmten Ort und für eine bestimmte Zeit zusammen zu bringen, um gemeinsam den Künstlern zuzuhören und sich in deren Vision der Welt hinein zu versetzen. Die jetzige Distanzierung und das Ende der Versammlung sind das genaue Gegenteil. Da muss später wieder etwas neu aufgebaut werden."
Kunst beim Neuaufbau wichtig
Derzeit ist die Corona-Krise fast ausschließlich als massive Bedrohung der Gesundheit mit ihren gewaltigen Auswirkungen auf die Wirtschaft im Bewusstsein. Schnell aber kann sie sich auch zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Krise ausweiten. Die Frage: "Wie wollen wir zusammen leben?" war immer eine, zu deren Beantwortung sich Theatermenschen berufen fühlen. Vincent Baudriller hofft auch heute auf den Beitrag der Künstler:
"Krisen sind schmerzhafte und gewalttätige Erfahrungen. Aber sie tragen immer auch die Chance von Transformationen in sich. Daran müssen wir im Moment arbeiten. Vielleicht ist der Beitrag der Künstler und der Kultur genau diese Hilfe bei der Veränderung - und beim Neuaufbau nach der Krise."
Vielleicht werden die Theaterverantwortlichen in Europa in naher Zukunft über solche Probleme meditieren können. Derzeit sind sie mit ganz praktischen Fragen befasst. Wie hält man, etwa im Frankreich der Ausgangssperre, zum Beispiel einen nunmehr dezentralen Theaterbetrieb am Laufen, wenn man gar nicht ausreichend VPN-Lizenzen für die Vernetzung all der nun zu Hause werkelnden Mitarbeiter hat? Einfach, weil es nie einen Seuchennotfallplan gegeben hat? Improvisation pur - und, wie gesagt: Die Theater sind zu, aber manche arbeiten dort auf Hochtouren.