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Corona und Telemedizin
Video-Chat für Menschen mit Depressionen

Eine Depression bedeutet: Interessenverlust, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit. Diese Symptome sind schon schlimm genug, wenn nicht gerade eine Pandemie ins Haus steht. Doch zuzeiten von Corona können sie sich noch verstärken. Und viele Hilfsangebote fallen weg. Die Telemedizin könnte hier weiterhelfen.

Von Maximilian Brose | 01.04.2020
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In Zeiten der räumlichen Distanzierung suchen Menschen im Internet Hilfe bei Depressionen (Maximilian Brose)
"Es kommt irgendwann. Ich merke, dass ich ganz viele Zweifel habe gegenüber allem, gegenüber mir selbst. Ich habe ganz viele Ängste. Ich habe Angst, viele Sachen nicht bewältigen zu können. Und das schwächt von vorneherein."
Sagt Henriette, die in Wirklichkeit anders heißt. Sie ist an einer Form der Depression erkrankt – wie über fünf Millionen Menschen jedes Jahr in Deutschland. Betroffenen hilft die Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Ihr Vorsitzender Ulrich Hegerl forscht als Senckenberg-Professor an der Universität Frankfurt zu Depressionen:
"Das ist keine Befindlichkeitsstörung, sondern das ist in der Regel eine eigenständige Erkrankung. Und wenn man die Diagnose hat, lebt man im Schnitt zehn Jahre weniger. Es ist also eine sehr schwere Erkrankung, die jeden treffen kann."
Die Krise verstärkt bestehende Depressionen
Zwar glaubt Professor Hegerl nicht, dass die Corona-Pandemie vermehrt gesunde Menschen in eine Depression treibe. Aber für Menschen, die bereits an einer Depression erkrankt sind, sei die aktuelle Situation besonders schwer zu bewältigen.
"Der eine Grund ist, dass die Depression immer alles Negative sucht und das vergrößert. Und in so einer Krise hat die Depression besonders viel Futter. Dann ist auch der Antrieb und die Hoffnung nicht vorhanden, um diese ganzen neuen Umstände zu bewältigen."
Zudem hätten Menschen mit Depressionen an nichts mehr Interesse und dadurch Probleme den Alltag zu strukturieren. Fallen gewohnte Aktivitäten durch die Krise weg, bliebe mehr Zeit zum Grübeln in immer negativeren Gedankenspiralen. Ein Teufelskreis, den auch Henriette kennt, gerade jetzt während der Corona-Pandemie.
"Ich gehöre zwar nicht zu einer Risikogruppe, aber ich mache mir ganz viele irrationale Gedanken, wegen dieser Depression."
Henriette denkt dann zum Beispiel, sie sei zu schwach, um eine Corona-Infizierung zu überleben.
Therapeutische Hilfsangebote fallen weg
Aber das Virus wirkt sich auch auf ihre Therapie aus. Sie ist seit mehreren Monaten krankgeschrieben und hatte einen Therapieplatz in einer Klinik zugesagt bekommen.
"Der wurde jetzt aufgehoben. Und das ist auch noch mal ein riesiger Faktor, der mich ziemlich fertig macht. Ich kann meine ambulante Therapie gerade weitermachen, aber auch nur über Webcam."
Zwar sind Vor-Ort-Sitzungen bei Therapeuten weiterhin erlaubt, doch manche bieten, um ihre Patienten und sich selbst vor der Infektion mit dem neuen Coronavirus zu schützen, nur noch Videositzungen an. Und zwar in einem Ende-zu-Ende-verschlüsselten Videochat. Den stellen in Deutschland über 20 Telemedizinanbieter bereit, wie zum Beispiel RED Medical. Der Anbieter verzeichnete laut eigenen Angaben in den vergangenen zwei Wochen über 1000 Neuanmeldungen – pro Tag. Die Psychotherapeutin Heike Convent ist eine davon.
"Also ich habe mir vorgestellt, dass viele meiner Patienten die Therapie gerne fortsetzen möchte, selbst in Zeiten, in den sie das Haus nicht verlassen können oder wollen. Und dann habe ich mir gedacht, trotz aller Skepsis, dass es doch ein probates Mittel ist, so quasi die zweitbeste Lösung."
Video-Chat ermöglicht den Kontakt zur Therapeutin
Für jede Therapiesitzung erhalten die Patienten vom Therapeuten einen Link, über den sie ohne Log-in die Videosprechstunde betreten. Kennt der Therapeut seinen Patienten schon, könnten Videosprechstunden laut Professor Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe viel auffangen:
"Wenn man einen Patienten noch nicht kennt, dann ist es nicht optimal, wenn die Diagnose nur über Video läuft. Weil hier der engere persönliche Kontakt fehlt."
Auch könne der Therapeut das Verhalten des Patienten schlechter beobachten, wenn er nicht persönlich vor ihm sitzt, sagt Hegerl. Eine Einschätzung, die auch die Psychotherapeutin Heike Convent teilt:
"Ich hab jetzt spontan schon einige meiner Patienten oder Patientinnen vor Augen, wo es auch wirklich, aufgrund der fehlenden Vertrautheit mit dem Medium, eine extreme Hürde darstellen würde. "
Technische Fragen bereiten noch Probleme
Bisher durften maximal 20 Prozent einer Therapie als Videosprechstunden stattfinden. Eine Begrenzung, die die Kassenärztliche Bundesvereinigung jetzt aufgehoben hat – wegen der Corona-Krise. Allerdings übernehmen die Kassen in den meisten Bundesländern keine Kosten für Telefonsprechstunden. Für Heike Convent wäre das aber sinnvoll, da nicht jeder Patient in der Lage sei, sich per Webcam mit dem Therapeuten zu verbinden.
"Und auch nicht jeder Therapeut besitzt die technische Ausstattung, sich mit dem Patienten auch zusammenzufinden."
Auch bei RED Medical heißt es, dass die Servicehotline überlastet sei, weil Therapeuten beim Einrichten der Videosprechstunden an ihre Grenzen stoßen. Zwar werden die meisten Depressionspatienten weiterhin mit Psychopharmaka behandelt, betont Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, aber:
"Wir bekommen viele Zuschriften von Patienten, die sagen, dass ihre Psychotherapiesitzungen gecancelt worden sind. Und das ist eine sehr bedenkliche Situation."
Online-Selbsthilfe statt persönlicher Betreuung
Damit sich Patienten im Internet selbst helfen können, bietet die Deutsche Depressionshilfe dort das Programm ifightdepression an. Bis vor Kurzem konnten sich Betroffene dort nur anmelden, wenn sie begleitend in therapeutischer Behandlung waren.
"Und das haben wir jetzt gelockert, sodass Patienten sich auch jetzt direkt hier anmelden können. Also es gibt ein Modul, wo es um Tagesstrukturierung geht, es gibt auch ein Modul wo es um Schlafregulierung geht."
Da lernen die Betroffenen dann zum Beispiel, dass zu viel Schlaf Depressionen verschlimmert. Metastudien zufolge könnten solche begleiteten Online-Selbsthilfeprogramme ähnlich wirksam sein wie persönliche Therapiesitzungen.
"Aber die Datenlage ist hier tatsächlich nicht ausreichend und auch die Frage negativer Auswirkungen ist noch nicht ausreichend gründlich untersucht. Insgesamt kann man aber sagen, gibt es doch Hinweise, dass das Ganze eine gute Sache ist."
Die an Depressionen leidende Henriette zieht Selbsthilfeprogrammen im Internet persönliche Gespräche mit ihrer Therapeutin vor. Damit die weiterhin regelmäßig stattfinden können, muss ihre Therapeutin aber noch einen Weg finden, eine Videosprechstunde einzurichten.