Dienstag, 16. April 2024

Coronabonds, ESM-Rettungsschirm und Co.
Streit um EU-Finanzhilfen in der Coronakrise

Gemeinschaftliche Anleihen aller EU-Staaten, Europäischer Stabilitätsmechanismus, Wiederaufbauprogramme – in der EU wird gerungen, wie die immensen finanziellen Herausforderungen der Coronakrise bewältigt werden sollen. Ein Überblick.

Von Theo Geers | 22.04.2020
    Eine zerrissene EU-Fahne flattert im Wind.
    Schild des Europäischer Stabilitätsmechanismus ESM in Luxemburg (imago / Rupert Oberhäuser )

    Wie sollen Coronabonds funktionieren?

    Coronabonds wären Anleihen, die nicht von der Europäischen Union, sondern von den Euro- oder EU-Staaten gemeinsam aufgenommen würden. Aus Sicht der Anleger wären es festverzinsliche Wertpapiere, die sich zur privaten Geldanlage eigenen. Ihr Vorteil aus Sicht der Länder, die diese Bonds befürworten: Die EU-/Euro-Staaten haben gemeinsam an den Kapitalmärkten eine bessere Bonität als ein Land wie etwa Italien allein. Dadurch wäre der Zinssatz bei Coronabonds niedriger. Diesen Vorteil wollen Länder wie Italien ausnutzen. Der Zinsvorteil kommt aber ausschließlich dadurch zustande, dass Länder mit besserer Bonität wie Deutschland für diese Bonds gesamtschuldnerisch mithaften: Fiele ein Land bei der späteren Rückzahlung aus, können die Anleger, die ihr Kapital in Coronabonds angelegt haben, von jedem anderen Staat die Rückzahlung verlangen. Diese Form der gemeinsamen Haftung betrachten die Befürworter von Coronabonds wiederum politisch als ein sichtbares Zeichen der Solidarität unter den Mitgliedsstaaten der Eurozone.

    Warum ist die Bundesregierung gegen Coronabonds?

    Die Bundesregierung ist gegen Coronabonds, weil CDU und CSU prinzipiell dagegen sind. Schon während der Finanzkrise, als über die Einführung von Eurobonds in der EU debattierte wurde, stand die Union auf dem Standpunkt: Jeder Staat in Europa soll nur für seine eigenen Schulden aufkommen müssen. Verwiesen wird hier auf Art. 125 des EU-Vertrages. Würde dieses Prinzip aufgehoben, wäre der Kreditaufnahme auf Kosten anderer Länder Tür und Tor geöffnet. Außerdem verweisen CDU und CSU auf die Budgethoheit des Bundestages über alle Ausgaben des Bundes. Dieses Recht würde durch gemeinsame europäische Bonds ausgehöhlt.
    Friedrich Merz (CDU), steht zu Beginn auf einer Pressekonferenz in der Bundespressekonferenz zu einer möglichen Kandidatur für den CDU-Vorsitz.
    Merz (CDU): "Die Wirtschaftskrise kommt für alle"
    CDU-Politiker Friedrich Merz spricht sich für Solidarität mit Europa aus. Sollte es Coronabonds geben, müssten die finanzierten Maßnahmen aber in europäischer Verantwortung liegen, sagte er im Dlf.
    Aus Sicht von CDU/CSU sind Coronabonds nichts anders als die immer schon abgelehnten Eurobonds in neuem Gewande. Da die Bundesregierung eine Koalitionsregierung ist, bedeutet dieses Nein der Union, dass auch die Regierung als Ganzes den Coronabonds nicht zustimmen wird. Teile der SPD wären aus Gründen der europäischen Solidarität dagegen bereit, solche Bonds mitzutragen. So ließ etwa SPD-Chef Norbert Walter-Borjans in einem Interview mit dem Dlf deutliche Sympathien für gemeinschaftliche Bonds erkennen.
    Norbert Walter-Borjans, Bundesvorsitzender der SPD
    Walter-Borjans (SPD): "Es geht um die Rettung Europas"
    Der Bundesvorsitzende der SPD Norbert Walter-Borjans plädiert dafür, Ländern wie Italien und Spanien jetzt schnell finanziell zu helfen.
    Andere Sozialdemokraten, etwa Finanzminister Olaf Scholz, lehnen solche Bonds aus den gleichen Gründen wie die Union ab oder halten sich zurück, weil sie wegen des strikten Neins von CDU und CSU eine Debatte darüber für fruchtlos halten. Außerdem wird darauf verwiesen, dass sich Coronabonds nicht für rasche Finanzhilfen eigenen. Die nötigen Gesetzesänderungen in der EU und in Mitgliedsstaaten wie Deutschland sowie die Einführung der Bonds an den Kapitalmärkten, würden sich über einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren ziehen.

    Was ist der Unterschied zwischen Coronabonds und Europäischem Stabilitätsmechanismus ESM?

    Der in der Finanzkrise geschaffene Europäische Stabilitätsmechanismus ESM kommt ins Spiel, weil sich die Einsicht durchgesetzt hat, dass Corona- oder Eurobonds weder in der Regierungskoalition noch auf europäischer Ebene durchzusetzen wären. Denn neben Deutschland sind beispielsweise auch die Niederlande, Finnland und Österreich nicht bereit, für Schulden anderer Länder zu haften.
    Der ESM verfügte ursprünglich über rund 705 Milliarden Euro Stammkapital, das sich aus Einlagen der EU-Länder in Höhe von rund 80,5 Milliarden Euro und einem abrufbaren Kreditrahmen von knapp 624,3 Milliarden Euro zusammensetzte. Nach Kredithilfen während der Finanzkrise an Griechenland, Portugal, Irland, Spanien und Zypern kann der ESM aktuell noch Kredite in Höhe von gut 410 Milliarden Euro aufnehmen.
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    Im Unterschied zu Eurobonds haftet beim ESM jeder Staat nicht gesamtschuldnerisch, sondern nur gemäß des Anteils, den er am ESM gezeichnet hat. Im Falle von Deutschland sind das rund 21,7 Milliarden Euro oder 27 Prozent. Würden vom ESM ausgereichte Kredite also notleidend, weil ein Land, das Hilfe erhielt, diese nicht zurückzahlt, entfiele auf Deutschland maximal nur dieser Anteil, den Rest müssten andere Länder stemmen. Aus diesem Grund präferiert die Bundesregierung von Anbeginn den ESM als Alternativangebot zu den von Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich geforderten Coronabonds.

    Am 9. April haben die Euro-Finanzminister beschlossen, dass von der Corona-Pandemie betroffene Staaten Kredite in Höhe von 2 Prozent ihres BIP vom ESM bekommen können. Insgesamt könnten so 240 Milliarden Euro von den noch verfügbaren 410 Milliarden Euro mobilisiert werden. Anders als bei früheren Hilfen, etwa für Griechenland, würde auf Auflagen, die die Empfängerländer im Gegenzug für die Kredithilfen erfüllen müssten, faktisch verzichtet: Die Empfängerländer müssen lediglich zusagen, die ESM-Mittel für das Gesundheitswesen zu verwenden. Italien hat diese ESM-Hilfen dennoch abgelehnt, obwohl der ESM den Vorteil hätte, dass über ihn binnen zwei Wochen Kredithilfen an den Kapitalmärkten aufgenommen werden könnten. Aus Sicht der Regierung in Rom tragen ESM-Hilfen dagegen unverändert ein Stigma. Ihr geht es ganz prinzipiell darum, die Coronakrise zu nutzen, um Corona-/Eurobonds in der EU als ein neues gemeinschaftliches Finanzierungsinstrument zu etablieren.

    Gibt es weitere Ideen, EU-Länder finanziell zu unterstützen?

    Neben den zwischenzeitlich von Italien bereits wieder abgelehnten ESM-Hilfen, haben sich die Euro-Finanzminister Anfang April auf zwei weitere Hilfsmaßnahmen verständigt. Zum einen soll die Europäische Investitionsbank EIB zinsgünstige Kredite in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro speziell für mittelständische Unternehmen bereitstellen. Zum zweiten wurde beschlossen, dass die EU-Kommission Kredite über 100 Milliarden Euro aufnehmen kann. Damit soll Kurzarbeit in den EU-Staaten finanziert werden, die dieses Instrument anders als etwa Deutschland nicht kennen und dafür auch keine Mittel haben. Das Programm trägt den Namen "Sure." Für diese Kredite, die die EU auf Grundlage des Art. 122 des EU-Vertrages aufnehmen soll, würde Deutschland mit seinem üblichen Finanzierungsanteil von rund einem Viertel haften.
    Ferner beschlossen die Euro-Finanzminister für die Zeit nach der Pandemie, ein kreditfinanziertes europäisches Wiederaufbauprogramm aufzulegen. Der Grundsatzbeschluss ist gefasst, alle Details sind dagegen noch offen. Einigen Ländern schwebt ein Volumen von 500 Milliarden Euro vor, andere Staaten, etwa Spanien, haben mit 1,5 Billionen Euro das Dreifache vorgeschlagen. Umstritten ist insbesondere die Finanzierung. Das Programm könnte ganz oder teilweise über "innovative Finanzinstrumente" finanziert werden. Darunter verstehen EU-Staaten wie Italien Euro- oder Coronabonds, andere Länder wie Deutschland oder die Niederlande lehnen diese Interpretation ab. Aus ihrer Sicht könnte dieses Wiederaufbauprogamm genauso gut durch Mittel aus dem EU-Haushalt finanziert werden. So könnte der Wiederaufbaufonds an den nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2028 angedockt werden, über den die EU-Staaten derzeit ohnehin verhandeln.
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
    In den bisherigen Gesprächen bestand die Bundesregierung darauf, diese Gesamtausgaben der EU der nächsten sieben Jahre auf etwa ein Prozent der EU-Wirtschaftsleistung zu begrenzen. Die EU-Kommission hatte zuletzt 1,07 Prozent vorgeschlagen, das wären 1095 Milliarden Euro. Unter dem Eindruck der Coronakrise hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel inzwischen signalisiert, dass Deutschland nun ein höheres EU-Budget mittragen würde.