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Corso-Gespräch
Ellerbeck ist überall

Die besten Figuren erfindet das Leben selbst, davon ist die Komikerin und Schauspielerin Cordula Stratmann überzeugt. Das könnte auch in "Ellerbeck" so sein, einer Fernsehserie, in der Stratmann eine Kindergartenleiterin spielt, die zur Bürgermeisterin wird. Im Corso-Gespräch erläutert sie diesen Karrieresprung.

Cordula Stratmann im Corso-Gespräch mit Bastian Brandau | 16.07.2015
    Die Schauspielerin Cordula Stratmann am 26. 6. 2015 als Gast in der NDR Talkshow.
    Die Schauspielerin Cordula Stratmann als Gast in der NDR Talkshow. (imago/Strussfoto)
    Bastian Brandau: Frau Stratmann, die Sabine aus der KITA, die Bürgermeisterin wird - was ist das für eine Person?
    Cordula Stratmann: Die Sabine ist eine engagierte Kindergartenleiterin, die, als der Bürgermeister Ten Hensen eine Schweinemastanlage im Ort installieren will mit einem Investor, sich mit einer Bürgerinitiative zusammentut, weil sie sich selbstverständlich engagiert gegen diesen unglaublich schlechten Plan für den Ort. So, daraus entwickelt sich dann unfreiwillig, dass sie sich am Ende der ersten Folge unfreiwillig als gewählte Bürgermeisterin wiederfindet. So überzeugend war also diese Bürgerinitiative. Und dann nimmt das Schicksal ab Folge zwei seinen Lauf. Wie das dann ist, wenn man als normaler Mensch mit normalen Instinkten in den Politikbetrieb gezwungen wird.
    Brandau: Denn dann muss die Sabine feststellen, dass es gar nicht so leicht ist, Bürgermeisterin zu werden.
    Stratmann: Nee, weil das wirklich ... also ich halte tatsächlich den Beruf des Politikers für einen äußerst anspruchsvollen, weil in meinen Augen immer durchgehend die Aufforderung des Anständigbleibens damit einhergehen sollte. Und das ist aber scheinbar in diesem Betrieb extrem schwierig, weil man irgendwie Proporzgeschichten berücksichtigen muss, man muss Deals mit anderen abwickeln können, man muss wissen: Wenn ich jetzt das kriege, kriegt der jetzt das. Also alles, was wir normalen Menschen uns vorstellen, was mit Politik eigentlich nichts zu tun haben dürfte. Aber ich glaube zunehmend, dass es naiv ist, wenn man sich Politik als reines inhaltliches Arbeiten vorstellt. So funktioniert die Welt ja leider nicht.
    Figuren aus dem Leben
    Brandau: Sabine ist in Ellerbeck umringt von absurden, überzeichneten Charakteren. Ihr Ehemann verdient sein Geld mit Hochzeitsvideos. Ihre beste Freundin ist eine Karrierefrau, die schwanger wird, man weiß aber nicht von wem. Und ihr Konkurrent ums Bürgermeisteramt hat scheinbar einen Erbanspruch auf das Amt, sein Vater und Großvater waren nämlich auch schon Bürgermeister. Alles Figuren, die sich auch Cordula Stratmann selbst ausdenken hätte können, oder?
    Stratmann: Hat sie aber nicht! Das haben Dietmar Jakobs und Lars Ahlbaum gemacht und ähm ... äh, ich muss jetzt unbedingt den Autor noch nennen, der ... hallo!... Markus Barth, Hilfe! So. Die haben fantastische Folgen geschrieben, deswegen musste ich mir diese Figuren selber gar nicht ausdenken. Und ich finde die gar nicht so an den Haaren herbeigezogen oder so superüberzogen, denn diese halberfolgreichen Fotografen, die auch mit einer Kamera zu einer Hochzeit gehen, die gibt es durchaus, es gibt Karrierefrauen, die plötzlich nicht mehr diese Karriere weiterverfolgen und es gibt ... also diese ganzen Figuren, die wir da haben, auch der Realschullehrer, der ständig über die Bedingungen an der Realschule zu klagen hat und ganz engagierter Wutbürger ist, das sind alles Figuren, die sind tatsächlich aus dem realen Leben. Das macht mir ja so einen Spaß daran. Weil: Klamotte wollte ich nicht erzählen und das ist es auch nicht geworden.
    Brandau: Aber es sind Figuren, die Cordula Stratmann auf jeden Fall gefallen, höre ich da raus.
    Stratmann: Oh ja. Das war eine schöne Dynamik, diese ganzen Charaktere miteinander spielen zu lassen.
    Moralisch selbstzufriedene Wutbürger
    Brandau: Im Corso-Gespräch ist die Komikerin und Schauspielerin Cordula Stratmann. In der Serie sind sie Mitglied einer Bürgerinitiative, sie sich gegen einen Schweinemast-Betrieb einsetzt. Irgendwie hat man das Gefühl, dass es den Leuten in der Initiative aber gar nicht so sehr um Tierschutz geht. Sondern eher um das Trinkwasser im Ort. Das soll bitteschön sauber bleiben – macht sich die Sitcom über Wutbürger und Bürgerinitiativen lustig?
    Stratmann: Also lustig machen würde ich für mich nicht in Anspruch nehmen, das ist eigentlich nicht so mein Motiv, mit dem ich mich so in der Welt bewege. Ich glaube, dass es tatsächlich so funktioniert, dass es sehr ehrbare Bürger gibt, die sich engagieren und die sagen, wir können einen Zustand nicht so lassen, wie er sich gerade entwickelt und wir müssen unsere Energie einsetzen für eine positive Entwicklung. Und ich glaube, dass es zu gleichen Teilen äußerst fragwürdige Leute in der Wutbürgerschaft gibt, die eine moralische Selbstzufriedenheit entwickeln, die kommt ja einer beruflichen Deformation eines Politikers extrem nahe.
    Brandau: Wir haben ja schon über politisches Engagement gesprochen und Sie haben gesagt, dass sie Respekt haben vor den Leuten, die in die Politik gehen, weil das so ein Haifischbecken ist. Es gibt ja eine Debatte darüber, wie politisches ...
    Stratmann: Ja, ich verliere diesen Respekt aber genauso schnell wieder, wenn ich merke: Da verliert einer den Blick auf sich vollkommen. Und den Blick auf den Betrieb, in dem er da ist. Ich habe allerdings keine Idee, wie man sich den Blick so gut erhalten soll, ich finde das echt ausgesprochen gefährlich, dieses Gebiet.
    Brandau: Es gibt ja eine gesellschaftliche Debatte darüber, wie politische Beteiligung in unserer Gesellschaft in Zukunft aussehen sollte. Was denken Sie über mehr Bürgerbeteiligung? Sollten die Bürger bei jeder Hochspannungsleitung und Mast-Anlage, beides ja Beispiele aus der Serie, befragt werden?
    Stratmann: Auf gar keinen Fall! Das Modell, was wir haben, halte ich für gut und tragfähig. Also, die Wahlbeteiligung darf ruhig höher sein, weil das ist unsere Verantwortung als Bürger, dass wir uns Gedanken machen darüber, wem gebe ich meine Stimme, wofür steht der? Dass das auch immer wieder einhergeht mit Verzweiflung an diesen Figuren, die wir für uns regieren lassen, das ist glaub ich in der Natur der Sache, das gibt es nicht anders, wir Menschen sind alle immer fehlerhaft und fragwürdig. Ich würde auf gar keinen Fall gerne von der Menge der Menschen regiert werden. Um Gottes Willen! Wer am lautesten schreit, kriegt am meisten Platz, manchmal sind aber die intelligenten die Ruhigen und die kommen dann gar nicht mehr zu Gehör. Also das würde mich entsetzen.
    Am Schluss entscheidet der Zuschauer
    Brandau: Also ein Plädoyer für die repräsentative Demokratie.
    Stratmann: Definitiv!
    Brandau: Sie haben Sozialarbeit studiert, sind Familientherapeutin und haben bis Mitte der 90er Jahr in diesem Beruf gearbeitet. In Köln sind sie auch ehrenamtlich engagiert. Warum ist Ihnen ehrenamtliches Engagement wichtig?
    Stratmann: Weil ich das für selbstverständlich halte, dass man sich für das interessiert, was um einen herum passiert. Und jeder Mensch hat genug Energie frei, um sich dafür zu interessieren, wer noch Unterstützung braucht, welche guten Organisationen dringend jemanden noch brauchen, der mitmacht. Und so weiter und so fort. Also ich finde, Ehrenamt ist irgendwie für mich Bürgerpflicht. Also bisschen drastisch jetzt, aber ich finde schon. Ich wunder mich zum Beispiel immer, warum alleinerziehende Frauen so ein schweres Leben haben. Und das ist wirklich unglaublich schwer; wenn die doch in Mietshäusern wohnen, wo oben, unten, rechts, links wohnen Nachbarn, ich verstehe es nicht, dass da nicht mal geklingelt wird und gesagt wird: Hömma, mittwochs Nachmittag nehm‘ ich dein Kind oder deine Kinder mal für zwei, drei Stunden und diese Frau kann einfach mal vielleicht mal was anderes riechen als den ganzen Tag sonst. Und es macht ja auch noch Spaß. Man macht das ja nicht nur für den anderen. Man fühlt sich selber wohler dabei. Das ist doch toll.
    Brandau: Und wäre eine Kandidatur für ein politisches Amt auch denkbar?
    Stratmann: Definitiv nicht, nein, ich möchte mich nicht da tummeln.
    Brandau: Frau Stratmann, Ellerbeck liegt in der Serie im Emsland – und auch wenn ihre Rolle, die Sabine, aus dem Ort kommt, fiel mir sofort die ARD-Serie "Mord mit Aussicht" ein. Da wird eine Kommissarin aus Köln, aus der Großstadt, aufs platte Land geschickt. Dort wie auch in Ellerbeck sind die Charaktere total überzeichnet und man hat das Gefühl: Jeder dieser Dorfbewohner hat eine Leiche im Keller. Sind solche Figuren auf dem Land einfacher zu finden als in der Stadt?
    Stratmann: Öh, da mach ich mir keine Gedanken drüber. Ich hab diese Drehbücher gekriegt und hab gedacht: Boah, sind das schöne Episoden, ist das 'ne gute Geschichte, das möchte ich gerne erzählen. Ich mache mir grundsätzlich nie Gedanken darüber, ach das gibt’s doch schon, die Serie hieß doch soundso, oder: Das Genre nennt man soundso ... Ich mache mir diese Gedanken nicht. Ich entscheide mich für eine Geschichte, die ich lohnenswert finde zu erzählen und ich entscheid mich für ein Team, mit dem ich gut an diesem Ziel arbeiten kann und schon geht’s los. Und zum Schluss entscheidet der Zuschauer, ob er's mag oder nicht.