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Corsogespräch
"Ich musste meinen Körper zurückerobern"

"My brightest diamond" heißt das Bandprojekt der ausgebildeten Opernsängerin Shara Worden. Seit zehn Jahren bewegt sie sich mit diesem Ensemble zwischen Avantgarte-Pop, europäischer Konzertmusik und zum Teil klubtauglicher Tanzmusik.

Shara Worden im Gespräch mit Anja Buchmann | 20.09.2014
    Ein Schlagzeug steht auf einer blau beleuchteten Bühne.
    Als ausgebildete Opernsängerin beschränkt sich Shara Worden nicht auf klassische Musik. (picture-alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Anja Buchmann: Was steckt eigentlich hinter dem Namen "My brightest diamond"?
    Shara Worden: "The brightest diamond" - da ging es anfangs um einen wirklichen Diamanten und dann hab ich es in einem Song verarbeitet. Der handelte von der Suche nach dem wahren Diamanten, einem ganz besonderen schönen Ding. Und das war in meiner Tasche verborgen, wie ein Geheimnis, das niemand kannte. Es ging damals um eine bestimmte Person – you are the brightest diamond hidden in my pocket. Und das Schöne an Metaphern ist, dass sie immer ihre Form verändern können, wie sich auch unser Leben verändert.
    Der erste Song auf dieser Platte ist eine Art Nachfolger dieses ersten Stückes. Da heißt es: "Ich habe so hart gearbeitet. Und dabei den Klang der Diamanten vergessen, die aber so strahlend sind, dass ich sie nicht verstecken kann." Also in dem Song von 2004 war der Diamant noch versteckt und jetzt entdecke ich ihn wieder und er repräsentiert etwas völlig anderes.
    Buchmann: Was bedeutet der Diamant heute für Sie?
    Worden: Im Song "Pressure" geht es um den Prozess, wie Veränderung in unserem Leben geschieht. Nämlich durch Druck und Härte oder so, wie Diamanten über viele, viele Jahre hinweg entstehen. Und auch die verändern sich dabei in etwas Neues. Ob wir das nun als den globalen Druck betrachten, denn die Welt steht zurzeit unter großer Anspannung. Oder ob wir es als innere, psychologische, persönliche Transformation betrachten. Für meinen Song haben mich beide Seiten interessiert.
    Buchmann: Erinnern Sie sich noch, wann Sie zuerst Ihre Stimme als Instrument entdeckt haben?
    Worden: Ich habe immer gesungen. Bereits als Kind. Ich stamme aus einer sehr musikalischen Familie. Mein Großvater war ein Prediger und spielte Gitarre. Und all seine Kinder, drei Söhne, machten Musik, sie haben eine Gospel-Platte zusammen aufgenommen. Eine meiner ersten Erinnerungen ist, dass mein Großvater in der Kirche spielte oder meine Mutter die Orgel, mein Vater war Akkordeonist. Auch mein Onkel war sehr wichtig in meinem Leben, er war klassischer Pianist und Jazz-Pianist. Also gab es für mich niemals einen genauen Entdeckungspunkt, denn die Musik war immer da. Mit 19 habe ich dann Gitarre begonnen, meine Eltern hatte eine bei einem Garagenverkauf ersteigert. Während der Schulzeit habe ich mit Operngesang begonnen, aber auch geskatet und in Funkbands gespielt. Mit etwa 20 Jahren habe ich zudem eigene Songs geschrieben. Klassische Musik war immer wichtig für mich, aber auch Soul und Songwriting. Es hat lange gedauert, bis ich herausfand, dass ich diese unterschiedlichen Richtungen in meinem Leben integrieren konnte. Anfangs war das alles sehr getrennt.
    "Musik-Kategorien sind typisch deutsch"
    Buchmann: Ja, in Deutschland wird immer noch differenziert zwischen E- und U-Musik. Haben Sie auch diese Unterscheidung in den USA?
    Worden: Nein, wir haben nicht diese Kategorien, das ist typisch deutsch. Ich denke, wenn Sie den Musiker David Lang fragen - mit dem ich gerade beim Haldern Pop aufgetreten bin - dann würde er sagen: Ja, es gab diese Separierung. David ist eine Generation älter als ich. Ich habe das musikalische Erbe der Minimal Music in mich aufgesogen, wie Steve Reich oder Terry Riley, und dann kam die "Bang on a can"-School von David Lang, Michael Gordon und Julia Wolfe. Und danach kam meine Generation. Und die "Bang on a can"-Leute mussten ihre Existenz noch richtig rechtfertigen und gegen etwas kämpfen. Bei uns ist das anders, wir sind alle mit Popmusik aufgewachsen, haben aber auch klassische Musik gehört und kennen Zwölftonreihen. Heute sieht man sehr viel mehr Verbindungen zwischen komplexen rhythmischen Strukturen, komponierter Musik und andererseits auch Popmusik. Aber ich denke, die Kategorisierungen gibt es bei uns deutlich weniger als in Deutschland.
    Buchmann: Lassen Sie uns über ihr aktuelles Album "This is my hand" reden - und über den Titelsong. Erinnern Sie sich noch, wann und in welcher Situation Sie dieses Stück geschrieben haben?
    Worden: Ja, ich hatte gerade die Komposition "Death speaks" von David Lang aufgenommen. Mit dem Kammermusikensemble "Eighth Blackbird" in Chicago. Und die haben auch eine Philipp Glass Komposition gespielt, ich glaube sie hieß "Two Pages". Es beginnt mit einer Zelle von nur fünf Tönen, ich mochte das, als alle unisono gespielt haben und wollte auch einen Song in dieser Art schreiben. Außerdem sollte es ein Song zum Tanzen sein. Also habe ich etwas Schlagzeug programmiert - das einfach nur dm dm dm dm machte, und darüber habe ich diese Linie gelegt. Also eine Art vier über fünf. Und es sollte wirklich Tanzmusik sein - aber aus verschiedenen Gründen bin ich sehr von meinem eigenen Körper weggekommen, in der Musik. Ich bin in einer sehr konservativen christlichen Familie aufgewachsen, ich dachte ich müsste für intellektuellen Respekt als Komponistin kämpfen. Viele Gründe, warum ich fern von meinem Körper war. Aber ich wollte ihn zurückhaben! Und bevor ich Tanzmusik schreiben konnte, musste ich meinen Körper zurückerobern. Das Album basiert auch auf Ritualen von diversen Völkern - eine gute Verbindung, dass die Songs eben auch diese Idee der Rituale widerspiegeln.
    "Gruppentänze sind moderne Rituale"
    Buchmann: Sprechen Sie jetzt über die Musik oder die Texte auf dem Album?
    Worden: Beides. Als ich das Album geschrieben habe, ist die Musikindustrie gerade völlig zusammengebrochen. Und ich fragte mich: Was ist der Wert von Musik, wenn nicht mehr für Aufnahmen bezahlt wird? Denn ich liebe es, Alben zu produzieren. Also dachte ich: Zurück zu den Grundlagen. Welche Verbindung hatten wir zur Musik vom Beginn des Menschseins an? Ich habe das Buch "The world in six songs" gelesen. Da geht es um sechs verschiedene Themen in der menschlichen Geschichte. Ich weiß nicht mehr alle, aber es handelt von Liebe, Trauer, Krieg, Religion, es gibt Informations-Musik. Ich machte eine Liste dieser Themen und fragte mich: Wenn der moderne Stamm die Menschen bei einem Konzert sind - was sind die Rituale, die dort vollzogen werden? Es sind Gruppentänze, jeder hebt seine Hände, winkt mit ihnen, wir klatschen gemeinsam, singen als call and response. Also habe ich mir diese Listen gemacht und wusste, ich will das Ganze vom Beat her beginnen. Und eben von diesen philosophischen Gedanken. "Before the words" zum Beispiel ist der "Informations-Song".
    Buchmann: Vor den Worten war die Stimme, vor der Stimme war der Klang. So heißt es in diesem Stück...
    Worden: Das kommt von einem Buch namens "Der dritte Schimpanse" von Gerrit Diamond. Und dort sagt er: Bevor wir Worte kreiert haben, gab es Klänge. In der Gebärmutter hörst du den Puls und du hörst spezielle Frequenzen. Den ersten Sound, den wir hören, kommt von unserer Mutter.
    Buchmann: Welche Instrumente haben Sie auf der Platte selbst gespielt?
    Worden: Ich habe Keyboards gespielt, etwas Schlagzeug programmiert, ich habe etwas Gitarre gespielt. Und ich habe die meisten Songs mit den Computer-Programmen Pro Tools und Sibelius komponiert. Damit habe ich auch die ganzen Bläserarrangements gemacht. Also, bei diesem Album habe ich schon sehr viel vom Kopf aus getan. Ich sollte mehr aus meinem Bauch, aus dem Körper heraus schreiben, aber ich war wieder zu sehr in meinem Kopf. Das nächste Album sollte mehr von meiner Beziehung zu einem bestimmten Instrument handeln.
    Buchmann: Welches Instrument?
    Worden: Gitarre! Die ist so körperlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.