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Corsogespräch
"Ich präsentiere der Welt meine Arbeit"

"Sweet Baby James", "Fire & Rain", "You´ve Got A Friend" – mit diesen Hits wurde James Taylor in den frühen 70er-Jahren zu einem der bedeutendsten Singer-Songwriter der USA. Seine Markenzeichen: Samtstimme, akustische Gitarre und Texte, die dem Hörer praktische Lebenshilfe erteilen. Jetzt meldet sich der 67-Jährige mit einem neuen Album zurück und neuen Gedanken zum Leben, wie er im Corsogespräch verrät.

Marcel Anders im Gespräch mit James Taylor | 22.06.2015
    US-Sänger James Taylor
    US-Sänger James Taylor (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Marcel Anders: Herr Taylor, die letzten 13 Jahre haben Sie sich – was neue Musik betrifft – sehr zurückgehalten. Gibt es einen Grund dafür?
    James Taylor: Das könnte man so sagen: Ich habe zwei kleine Kinder. Zwillinge. Sie sind 14 Jahre alt. Und gehen noch zur Schule,und halten mich ziemlich auf Trab. Weshalb ich kaum Zeit für Musik hatte. Ich habe zwar immer Ideen und Ansätze entwickelt, aber für richtige Songs, hätte ich mehr Zeit gebraucht. Die habe ich erst 2013 gefunden, und 2014 habe ich dann aufgenommen, was – unterbrochen von einer Tour – bis zum Herbst gedauert hat. Es war ein tolles Gefühl, endlich wieder zu schreiben und kreativ zu sein.
    Anders: Ihr Comeback trägt den Titel "Before This World". Ist das James Taylor, der die moderne Welt betrachtet und sie zu verstehen versucht – oder eher eine Anspielung auf Ihr Alter? Darauf, dass Sie aus einer anderen Generation stammen?
    Taylor: Es ist doppeldeutig und bedeutet beides: Ich präsentiere der Welt meine Arbeit. Aber ich komme auch aus einer anderen Zeit, als dieser.
    Anders: Was halten Sie von 2015? Haben Sie nicht manchmal den Eindruck, dass Ihre musikalische Mission von Liebe und Frieden grandios gescheitert ist - weil wir immer noch Kriege, Terror und reaktionäre Politiker haben?
    Taylor: Einige Sachen sind heute aber auch besser als damals. Klar, ist die Welt immer noch verrückt, und das wird sie wohl auch bleiben. Aber: Die Generation meiner Eltern hat ja den Zweiten Weltkrieg erlebt, und das war wirklich heftig. Genau wie die Zeit zwischen den Kriegen – mit der Depression der 30er Jahre. Wohingegen die 50er, 60er und 70er – mal abgesehen von Vietnam – eine relativ angenehme Epoche waren.
    Anders: Die in der öffentlichen Wahrnehmung regelrecht verklärt wird – obwohl auch da schlimme Dinge passiert sind.
    Taylor: Richtig. Da war der Kalte Krieg, Watergate, Vietnam, die Ermordung der Kennedys, das Attentat auf Martin Luther King und die Angst vor atomarer Vernichtung. Da gab es wirklich viel, über das man sich Sorgen machen musste.
    "Ich denke viel darüber nach, was ein Soldat mitmacht"
    Anders: Aber es war auch die Phase, in der Sie von den Beatles entdeckt wurden, ihre ersten Alben veröffentlicht haben und dann Teil der kalifornischen Folk-Rock-Szene geworden sind. Was ja wahnsinnig aufregend gewesen sein muss.
    Taylor: Was die Zeit um 1968 – als ich meinen Durchbruch erlebt habe – so besonders gemacht hat, war die Tatsache, dass sich viele Menschen in der westlichen Welt entschieden hatten, direkt nach dem Zweiten Weltkrieg Kinder zu zeugen. Und zwar jede Menge davon. Was für einen gewaltigen Anstieg der Bevölkerung in Europa, in den USA, Australien und Japan gesorgt hat. Und diese Babys wurden irgendwann erwachsen, was halt um 1968 war. Das war auch die Zeit, als die Musik einen überwältigenden Prozentsatz dieser Bevölkerungsschicht, also der Baby-Boomer, angesprochen hat. Wir waren derart viele, dass es sich anfühlte, als ob wir die Macht hätten, die Welt zu verändern. Und ich denke, in vielerlei Hinsicht haben wir das auch getan. Wobei uns die Musik begleitet und inspiriert hat. Deshalb war es eine aufregende Zeit. Und ich denke nicht, dass sie sich noch einmal wiederholen wird - schon gar nicht in meinem Leben.
    Anders: Der Hippie in Ihnen scheint immer noch lebendig: Im Stück "Far Afghanistan" besingen Sie die Schönheit des Hindukusch, aber auch die Gefahr, die dort auf amerikanische Soldaten lauert. Mit den Worten: "Nichts kann dich auf das wahre Afghanistan vorbereiten." Ist das ein Aufruf, das Land mit anderen Augen zu sehen – oder dort schlichtweg keinen Kriegsdienst zu leisten?
    Taylor: Zunächst einmal ist das Ganze frei erfunden. Ich war noch nie in Afghanistan und ich habe nie in der Armee gedient. Aber ich denke viel darüber nach, was ein Soldat mitmacht und wie er sich auf das vorbereitet, was er so tut. Nämlich zu töten und getötet zu werden. Was eine unglaubliche Belastung ist. Darüber habe ich schon etliche Songs geschrieben. Also über Soldaten, die in den Krieg ziehen oder nach Hause kommen. Es ist etwas, das mich beschäftigt, und daraus resultiert dieser Song. Es sind einfach meine Gedanken zu diesem Thema.
    Anders: Womit Sie im Grunde in Ihre Paraderolle schlüpfen – als Mann für praktische Lebenshilfe. Ist das Ihr Markenzeichen? Also das, was Sie als Künstler ausmacht?
    Taylor: Ich finde, viele meiner Songs haben etwas Feierliches. Einige sind auch wütend, andere politisch, experimentell, mystisch oder spirituell. Aber die meisten haben ganz klar etwas Palliatives, etwas Schmerzmilderndes. Dafür bin ich bekannt – für Songs wie "You Got A Friend" oder "Fire And Rain", die Leuten über harte Zeiten hinweghelfen. Was toll ist. Nur: Das ist nicht alles, wofür ich stehe.
    "Entzug und Genesung sind ein wichtiger Teil meines Lebens"
    Anders: Wie kommt es, dass Sie sich in "Watchin Over You" immer noch mit Ihren Drogenproblemen befassen – obwohl die mittlerweile 30 Jahre zurückliegen?
    Taylor: Entzug und Genesung sind ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich bin zwar schon seit 30 Jahren clean, aber das ist nichts, was man einfach so abschließt, und dann ist es vorbei. Sondern man muss sich damit kontinuierlich auseinandersetzen. Und ich denke viel darüber nach und schreibe etliche Songs, die entweder zum Ausdruck bringen, wie dankbar ich bin, dass ich darüber hinweg bin, oder wie sehr ich meine langjährige Abhängigkeit bedauere. Es ist ein Thema, das ich immer wieder aufgreife.
    Anders: Darf man fragen, was Sie am Heroin fasziniert hat? War das eine Zuflucht oder warum haben Sie darauf zurückgegriffen?
    Taylor: Opiate ahmen das Endorphin-System im menschlichen Körper nach. Und es gibt die Theorie, dass Süchtige eine Veranlagung zur Sucht nach Opiaten haben – weil sie ein Endorphin-Defizit besitzen. Aber: Egal, ob man eines hat oder nicht, man endet definitiv mit einem solchen Defizit. Und das ist der Grund, warum man so schwer davon loskommt. Denn wie alle suchterzeugenden Drogen funktioniert es bis zu einem gewissen Grad, weil sich das Heroin mit der Körperchemie verbindet, und man abhängig davon wird. Von daher würde ich nicht sagen, dass diese Droge etwas Faszinierendes für mich hatte, sondern sie war einfach verfügbar und ich war extrem anfällig dafür. Insofern musste ich mich früher oder später darauf einlassen – das war quasi vorprogrammiert. Und als das passierte, hatte ich mächtigen Ärger.
    Anders: Was Sie nicht daran gehindert hat, zur selben Zeit einige Ihrer bekanntesten und erfolgreichsten Titel zu schreiben. Basieren gute Songs demnach auf echtem Schmerz?
    Taylor: Auf keinen Fall! Ich denke, dass ein großer Prozentsatz meiner Songs etwas Positives hat und auf Freude basiert. Denn Musik ist etwas, das ich genieße - und zwar sehr. Von daher würde ich nie behaupten, dass es für einen Künstler und für gute Kunst notwendig ist, Schmerz zu empfinden. Es ist nur so, dass echte Lebenserfahrung auch immer Schmerz enthält. Und die meisten Musiker haben die Fähigkeit entwickelt, etwas zu kreieren, das eine gewisse Entfremdung ausdrückt. Einfach, weil sie ein ganz anderes Leben führen als normale Menschen und mehr Emotionalität in ihre Kunst einfließen lassen. Aber es ist schon ein bisschen komplizierter als dass man sagen könnte: Kunst basiert auf Leiden. Es gibt ja auch etliche Leute, die leiden, ohne dass sie Kunst erschaffen.
    Anders: Neben der Musik verfolgen Sie noch eine zweite Karriere – als rechte Hand von US-Außenminister John Kerry. Etwa bei Anlässen wie der Trauerfeier für die Opfer des Charlie Hebdo-Attentats in Paris. Wie kommen Sie zu der Ehre?
    Taylor: Ich kenne John Kerry schon ziemlich lange und habe ihn unter anderem im Wahlkampf unterstützt. Dieser Moment in Paris kam so zustande, dass er mich gefragt hat, ob ich ihn bei seinem Besuch und seiner Rede unterstützen könne. Das war eine sehr spontane Sache.
    Anders: Könnten Sie sich vorstellen, selbst Außenminister oder Botschafter der USA zu werden?
    Taylor: Oh, Gott – ich hoffe nicht! Ich liebe meinen Job, und zwar sehr. Ich bin dankbar, dass ich damit meinen Lebensunterhalt bestreiten kann und Teil einer musikalischen Gemeinschaft bin, die mich seit Jahren unterstützt. Zudem wird mir immer bewusster, wie glücklich ich in der Position bin, in der ich mich aktuell befinde. Von daher will ich nichts anderes als die drei oder vier Dinge machen, die ich schon mein ganzes Leben getan habe.