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Corsogespräch
"Meine Platten waren schon ganz schön düster"

"Es ist, als ob du mit dir selbst sprichst." Das sagt Duran-Duran-Gründungsmitglied Stephen Duffy über das Musikmachen. Nach seinem Ausstieg gründete er 1987 eine eigene Band: The lilac time. Nun ist sein neues Album "No sad songs" erschienen. Und der Titel ist Programm - keine Spur mehr von den depressiven Klängen der Vergangenheit.

Stephen Duffy im Gespräch mit Anja Buchmann | 04.04.2015
    Aufgenommen wurden die Songs in seinem Haus im englischen Cornwall – eine wunderschöne Landschaft, die zum sanften Folkpop des Musikers zu passen scheint.
    Stephen Duffy: Cornwall hat die größte Küstenlinie von allen britischen Counties, denn es hat eine Nord- und eine Südküste. An einigen Punkten kommst du von der Nord- zur Südküste in etwa 20 Minuten, es ist wie ein kleiner Arm, der aus dem Südwesten von Großbritannien raus hängt. Ich kann das Meer von vielen Fenstern meines Hauses sehen, das Haus steht auf einem Hügel, du hast natürlich auch die Wiesen sehen.
    Dummerweise haben wir im Keller aufgenommen, dort sieht man nichts. Aber es ist eine sehr schöne Landschaft aufgrund dieser Küstenlinie. Leute segeln und surfen dort viel.
    Buchmann: Segeln oder surfen Sie auch?
    Duffy: Ich bevorzuge das Paddeln. Ich mag es, mir die Hose hochzukrempeln, meine Socken auszuziehen und meine Füße etwas nass zu machen.
    "Es fühlte sich einfach richtig an, die Fotos zu verwenden"
    Buchmann: Was die Landschaft von Cornwall betrifft – sind die Fotos im CD-Booklet Bilder aus der Gegend dort?
    Duffy: Keines der Bilder ist von Cornwall. Das Cover ist Rom, dann gibt es ein Bild von Helsinki. Ich habe die Bilder zum Teil vor einigen Jahren aufgenommen und nun für das Booklet verwendet. Wenn du tiefer in die Produktion eines Albums einsteigst, dann nimmt es dich wirklich gefangen und du wirst etwas "felliniesk".
    Ich dachte also an Rom, eine offene Stadt und fühlte mich wie Marcello Mastroianni am Ende. Naja, das verwirrt jetzt etwas, aber es fühlte sich einfach richtig an, die Fotos zu verwenden.
    "Ich mag es, etwas anfassen zu können"
    Buchmann: Also ist es etwas wie ein Gesamtkunstwerk ? Verschiedene Künsten, wie eben Bilder für Cover und Booklet, die Musik und natürlich der Text kommen zusammen und bilden ein großes Ganzes?
    Duffy: Ja, es wird eine allgemeine Stimmung kreiert. Und ich mag es, wenn es auch als Vinyl veröffentlicht wird. Es ist gut, etwas anfassen zu können. Zu wissen, dass die Musik existiert und es nicht nur ein digitales Nichts ist, das ohne Information zufällig von deinem mp3-Player kommt und irgendwann verschwindet. Ich bin mir sicher, dass all dies verschwinden wird. Und wir werden übrig bleiben mit dem Vinyl von "No Sad Songs".
    Buchmann: Im Booklet von "No sad songs" haben Sie geschrieben: "Keine traurigen Lieder, nach Jahren der Depression. Ich finde mich überglücklich wieder, ich sorge für meine Familie, die wiederum mich aufgeweckt hat." Also haben Sie wirklich lange unter Depressionen gelitten?
    Duffy: Ja, ich glaube es waren vier oder fünf Jahre. Okay, Depression klingt vielleicht etwas dramatisch, es war etwas wie eine ausschweifende Melancholie.
    !Buchmann:!! Da würden Sie einen Unterschied machen?
    Duffy: Ich denke, an manchen Tagen war es tatsächlich eher Melancholie. Aber es ist schon sehr seltsam, wenn diese Stimmung auf einmal da ist und du weißt nicht, wo sie her kommt. Und jetzt bin ich nicht sicher, wohin sie verschwunden ist.
    Wenn ich mir heute meine letzten Platten anhöre, dann denke ich: Die waren schon ganz schön düster. Und dass es gut wäre, die Dinge etwas positiver zu gestalten. Etwas zu produzieren, das die Hoffnung zeigt – und dass das Licht am Ende des Tunnels nicht zwingend ein Zug sein muss, der auf dich zu fährt.
    Buchmann: Was haben Sie getan, dass es Ihnen besser geht? Oder haben Sie gar nichts getan und es kam einfach?
    Dufy: Ich denke, wenn man ein kleines Kind hat, das dich jeden Morgen beim Aufwachen anlächelt, dann ist das absolut heilend. Außerdem habe ich erst in meinen fortgeschrittenen 40ern geheiratet – also habe ich wohl genug Zeit damit verbracht, ein selbstbezogener Folksänger zu sein.
    "Es war gut, Musik einfach nur so zu machen und zu genießen"
    Buchmann: Und jetzt kommt eine andere Zeit – wie würden Sie die beschreiben? Eben kein selbstbezogener Folksänger mehr zu sein?
    Duffy: Es hat sich einfach geändert. Und ich gehöre nun zu den furchtbaren Menschen, die allen anderen dafür danken, dass sie solch ein wunderbares Leben haben. Für dieses Album haben wir anfangs einfach nur Musik für uns gemacht. Bevor es klar wurde, dass wir das als Platte veröffentlichen. Das war eine glückliche Zeit, die ich nicht mehr hatte, seit ich ein Kind war. Denn ich mache ja Platten seit 1979. Es war gut, Musik einfach nur so zu machen und zu genießen.
    Buchmann: Hat es etwas Heilendes für Sie, Songs zu schreiben, Gitarre zu spielen und zu singen?
    Duffy: Es ist sicher etwas, womit ich nicht aufhören kann. Ich weiß nicht, ob es heilend ist, manchmal denke ich auch: Es könnte verletzend sein. Aber ... ich nehme eine Gitarre und schreibe einen Song, das mache ich seit 40 Jahren und es hat bis jetzt nicht aufgehört. Ich fühle mich schon beschenkt damit.
    Es ist eine ganz natürliche, organische Sache für Sie, einen Song zu schreiben?
    Duffy: Es ist, als ob du mit dir selbst sprichst. Eine Kommunikation zwischen deinen Fingern, die die Gitarre spielen und deinem Mund, der die Worte singt.
    Buchmann: Womit beginnen Sie beim Komponieren? Ist es eine Art wiederkehrende Methode oder jedes Mal anders?
    Duffy: Ich wäre sehr glücklich, wenn ich diszipliniert genug wäre, den Text zuerst zu schreiben und ihn dann mit Musik zu kombinieren. Aber meist nehme ich mir einfach die Gitarre, spiele und singe ein paar Worte dazu. Ein simultaner Prozess. Was andererseits auch gut ist, denn dann gehst du auf eine kleine Reise mit der Musik und den Worten, die zueinander finden. Beide Wege sind sicher gut.
    "Du musst jeden Tag aufs Neue kämpfen"
    Buchmann: Lassen Sie uns über ein Stück sprechen: "A cat on a long wave". Da singen Sie: Es gibt keinen Schlusspunkt, keine Therapie, nur den täglichen Kampf, frei zu sein. Also – wenn Sie vielleicht anfällig sind für Depressionen oder zumindest dunkle Melancholie – kommt das immer wieder, gibt es keine letztendliche Heilung?
    Duffy: Mit diesen Worten wollte ich nur sagen: Menschen finden es vielleicht leichter, wenn man über Therapie, Heilung und Auflösung spricht. Und ich hatte lange Therapie und bin sehr interessiert an der Psychoanalyse nach C.G. Jung – aber es ist wichtig zu wissen, dass der Kampf jeden Tag stattfindet. Du kannst nicht sagen: Diese Kapitel ist nun geschlossen. Du musst jeden Tag aufs Neue kämpfen, frei zu sein. Auf verschiedenen Wegen und jeder für sich.
    Buchmann: Sie haben sicher von der aktuellen Diskussion in Deutschland gehört, über das Germanwings-Flugzeug, das abgestürzt ist und den Co-Piloten, der mutmaßlich depressiv gewesen sein soll. Was sagen Sie zu diesem Thema?
    Duffy: Natürlich ist es eine große Tragödie, keine Frage. Aber es ist wichtig, depressive Menschen nun nicht zu stigmatisieren wegen dieses furchtbaren Vorfalls. Und es ist wichtig zu sagen: Es gibt einen Weg dort heraus. Und "No sad songs" sagt genau das: Es gibt einen Ausweg aus der Depression, auch wenn es unmöglich erscheint. Aber auf dieser Platte sage ich: Glück ist möglich!
    Buchmann: Die Stimmung von "No sag songs" ist nicht wirklich ausgelassen, es gibt auch ein paar dunklere Töne zu hören. Trotzdem ist es im Ganzen heiter, als haben Sie eine Art Seelenfrieden gefunden. Würden Sie da zustimmen?
    Duffy: Es ist einfach ein entspannter, "laid back"-Groove. Und so ist das Leben nun mal, du kannst glücklich sein, aber in jedem Leben gibt es auch dunkle Momente. Es ist eine Art ausbalancierte Sicht, so wie ich die Dinge gerade wahrnehme. Und hoffentlich andere Menschen auch.
    Buchmann: Erinnern Sie sich noch, wie Sie den Titelsong "No ssad songs" geschrieben haben?
    Duffy: Ich glaube, ich habe mit einer spanischen klassischen Gitarre herum gespielt, mit Nylon-Saiten. Ich dachte an Leonhard Cohen und hatte auf einmal dieses walzerartige Picking in den Fingern. Ja, ich dachte an Leonhard Cohen, wie er einmal in die Berge ging, dort für seine Crew kochte. Und als er wieder runter kam, merkte er, dass er nicht mehr depressiv war. Und er wusste ebenfalls nicht, woher das kam.
    Also, ich habe an Leonhard Cohen gedacht. Aber letztendlich wurde es ein Song über meine Frau und meine Tochter.
    Buchmann: Und auch über Erinnerungen? Erinnerungen an Kindheitstage?
    Duffy: Nur in dem Sinne, dass manche Menschen und Ereignisse so ein Geschenk sein können, dass es dich daran erinnert, wie es war als Kind am Heiligabend. Patty Smith sagte mal etwas über eine Person, die so sei wie "jeden Tag Weihnachten". Also jemand, der so fühlt wie ein Kind an Heiligabend, mit all der Aufregung und Vorfreude.