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Cosmic Ray Rover
Wie Sternenexplosionen bessere Bodenfeuchte-Messungen ermöglichen

Im Tereno-Netzwerk der deutschen Umwelt-Observatorien wird eine neue Methode zur Erfassung der Bodenfeuchte getestet: Das Verfahren nutzt kosmische Strahlung, die einst bei Sternenexplosionen entstanden ist und in der Erdatmosphäre Neutronen produziert. Nützlich könnte es für Landwirte und Hochwasserschützer sein.

Von Volker Mrasek | 11.11.2014
    Der Motor klingt eigentlich ganz gewöhnlich. Der Name des Geländefahrzeugs, das Martin Schrön gerade zum Stehen bringt, aber sicher nicht! Es ist der Cosmic Ray Rover des Umweltforschungszentrums Leipzig. Ein "kosmisches Strahlungsauto", wörtlich übersetzt:
    "Wir öffnen jetzt die Tür vom Kofferraum. Und darin befindet sich unser Detektor. Eine Röhre mit Helium-Gas."
    Der Physiker öffnet einen kleinen Hartschalenkoffer. Zum Vorschein kommt ein Gerät in Laptop-Größe: der Datenlogger. Er ist mit dem Detektor verbunden.
    "Haben Sie gerade die rote Lampe gesehen? Immer, wenn die Lampe kurz blinkt, wurde ein Neutron gezählt. Man kann sich die Neutronen, die in der Luft sind, also schön durch diese blinkende rote Lampe verdeutlichen."
    Neutronen in der Luft. Das ist es, was der Detektor im Kofferraum misst. Also elektrisch ungeladene Elementarteilchen, die in jedem Atomkern stecken und einer der Hauptbausteine von Materie sind. Neutronen prasseln allerdings auch ständig auf uns ein. Weil Sterne im Weltall explodieren und dabei Strahlung aussenden, die bis zu uns gelangt.
    Hauptsächlich sind es Protonen. Wenn sie auf die Erdatmosphäre treffen, entstehen Neutronen. Deshalb auch der Name Cosmic Ray Rover. Damit ist die kosmische Strahlung gemeint:
    "Die sind immer da. Und wir zählen die einfach nur."
    Neutronen-Zählrohre - sie werden schon länger verwendet. Zum Beispiel in der Astrophysik.
    Feuchtigkeitsmessung in Böden
    Doch jetzt haben Forscher eine neue, vielversprechende Anwendung für die Technologie gefunden: Man kann mit ihr messen, wie feucht Böden sind. Und das über Hunderte von Quadratmetern und auf zweierlei Weise: mit Sensoren, die man fest installiert, auf kleine Masten stellt und zu einem Netzwerk zusammenschließt. Oder eben mobil, mit dem Cosmic Ray Rover. Der kann große Strecken zurücklegen und dabei die ganze Zeit Neutronen einfangen.
    Der Vater der neuen Methode ist der polnische Geowissenschaftler Marek Zreda, heute Professor für Hydrologie an der Universität von Arizona in Tuscon in den USA.
    "Durch die kosmische Strahlung entsteht schrittweise ein bestimmter Typ von Neutronen. Wir nennen sie schnelle Neutronen. Und die verschwinden abrupt, wenn sie auf Wasserstoff-Atome treffen. Wenn also irgendwo viel Wasserstoff vorkommt wie in einem feuchten Boden, dann misst man eine geringere Neutronen-Intensität über der Landoberfläche."
    Treffen Neutronen auf größere Atomkerne, prallen sie ab und fliegen einfach weiter. Bei Wasserstoff aber ist das anders. Er hat die Atommasse 1- und damit die gleiche wie ein Neutron. Es gibt deshalb beim Aufprall seine ganze Energie an den Wasserstoff-Kern ab. Nach dem Prinzip der Impulserhaltung:
    "Das ist wie beim Billardspiel. Die Kugel, die man spielt, bleibt liegen. Und die, die man getroffen hat, rollt ins Loch. Manchmal jedenfalls."
    Das Wassermolekül H2O enthält Wasserstoff. Wenn Neutronen auf einen feuchten Boden treffen, werden viele von ihnen praktisch aufgesaugt, statt wieder zurück in die Luft zu streuen. Und das erfassen die von Marek Zedra weiterentwickelten Detektoren. Wobei ein einzelner Sensor einen Messradius von 300 Metern hat.
    Das liegt daran, dass freie Neutronen sehr kurzlebig sind und im Mittel 300 Meter zurücklegen, bevor sie spontan zerfallen. Die neuen Instrumente schließen damit die Lücke zwischen aufwendigen punktuellen Bodenfeuchte-Messungen und den sehr großräumigen Satellitenbeobachtungen.
    Im Netzwerk der deutschen Umwelt-Observatorien wird die Methode derzeit erprobt. 20 Detektoren sind bereits fest im Freiland installiert, weitere sollen folgen. Zusätzlich kurvt Martin Schrön mit seinem Cosmic Ray Rover durch ausgesuchte Landschaftstypen.
    Nützlich für den Hochwasserschutz
    Von großem Nutzen könnte die Technologie nicht nur für Landwirte sein, sondern gerade auch für den Hochwasserschutz:
    "Wenn Sie zum Beispiel in einem sehr nassen Monat in einem Wetterbericht sehen, in fünf Tagen soll es regnen - dass Sie dann sagen können: Jetzt lass' uns schnell 'rausfahren und 'mal ganz Sachsen beproben. Dann dauert die Kampagne vielleicht einen Tag, aber man hat eine großflächige Bodenfeuchte. Wenn wir merken, der Boden ist sehr nass, dann kann es sein, dass der Regen, der kommt, nicht in den Boden einsickern kann, und wir einer Flut ausgesetzt werden. Und diese Daten können dann sehr nützlich sein, um sich vor Fluten zu schützen."
    Ob solche Messungen in Fluss-Einzugsgebeeten funktionieren, wollen die Forscher in Kürze erstmals mit dem Cosmic Ray Rover prüfen.