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Crashtest für den Vogelschutz

Technik. - Jeden Tag sterben in Europa mehr als 260.000 Vögel, weil sie Glasscheiben nicht erkennen können und damit zusammenprallen. An der Vogelwarte Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie werden jetzt Spezialgläser getestet, die den Tieren eine Chance zum Ausweichen geben.

Von Monika Seynsche | 12.07.2005
    Es ist dunkel. Ein Tunnel, an seinem Ende: zwei Fensterscheiben, taghell angestrahlt. Dahinter ist es hell. Ein Vogel wird in der Dunkelheit freigelassen. Er fliegt panisch durch den Tunnel auf die vermeintlichen Öffnungen zu, entscheidet sich für die linke - und landet in einem Netz, das ihn vor der Kollision mit der Fensterscheibe bewahrt. So sieht der Versuchsaufbau aus, mit dem Dr. Hans-Willy Ley an der Vogelwarte Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie Vogelschutzglas testet.

    "Die rechte Scheibe ist die Testscheibe und im linken Fensterrahmen befindet sich die Kontrollscheibe. Der Vogel kann sich dann auf seinem Fluchtweg nach draußen orientieren. Mit entsprechenden Maßbändern an den Seiten des Tunnels kann man dann in etwa die Entfernung abschätzen, ab wann er beginnt, sich umzuorientieren oder ob er sich überhaupt nicht orientiert. Dann wird registriert, auf welcher Auslassseite er die Flucht nach außen antreten wollte."

    In den meisten Fällen wird das die Seite sein, auf der das Kontrollglas eine Öffnung simuliert. Denn auch wenn die Test- und die Kontrollscheibe für das menschliche Auge kaum voneinander zu unterscheiden sind - für die Vögel klafft zwischen beiden Scheiben ein himmelweiter Unterschied. Die Kontrollscheibe aus ganz normalem Fensterglas nehmen sie als Öffnung wahr. Die Testscheibe dagegen erkennen sie als flächiges Hindernis.

    "Das ist jetzt eben der Trick, der auch von der Glasindustrie aufgegriffen wurde: es wurden eben Glastypen konzipiert, die zusätzlich ultraviolett-reflektierende und oder UV-absorbierende Materialien enthalten, die dann dem Vogel ein sichtbares Hindernis vermitteln."

    Denn Vögel können im Gegensatz zu uns ultraviolettes Licht wahrnehmen. Dafür haben sie auf der Netzhaut einen besonderen Zapfentyp, der auf Licht mit Wellenlängen unterhalb von 400 Nanometern anspricht. Generell erkennen Vögel eine Glasscheibe nur dann als Hindernis, wenn die Scheibe großflächig - zu mindestens 40 Prozent - abgedeckt ist.

    "Auch diese berühmten Greifvogelsilhouetten bringen im Grunde gar nichts. Die Vögel erkennen das nicht als Feindattrappe, sondern weichen vielleicht ein paar Zentimeter aus und kollidieren dann knapp daneben mit der Glasscheibe."

    Hans-Willy Ley hat insgesamt 19 Vogelschutzscheiben in seinem Tunnellabor getestet. Sein Testsieger ist ein Isolierglas mit zwei Scheiben, wobei die Innenseite einer Scheibe mit senkrechten Streifen UV-reflektierenden Materials beschichtet ist. Woraus genau dieses Material besteht, bleibt das Geheimnis der Glasfirma, in deren Auftrag Hans-Willy Ley die Vogelschutzscheiben testet. Den Testsieger erkannten 76 Prozent der Vögel als Hindernis und flogen stattdessen Richtung Kontrollglas.

    "Das ist ein Wert, den ich im ersten Moment gar nicht erwartet hätte und der sich immer wieder in 140 Anflügen mehr oder weniger bestätigte. Und es ist jetzt natürlich schwierig aufgrund dieser Versuche, auf das Funktionieren solcher Scheiben im Freiland unter realitätsnäheren Versuchen rückzuschließen."

    Im Freiland könnten die Scheiben sogar noch besser wirken, denn dort treffen die Vögel ihre Entscheidung frei von Panik in ihrer gewohnten Umgebung. Andererseits waren die Scheiben in Leys Tunnel so hell angestrahlt, wie es draußen nur an sehr klaren Sonnentagen vorkommt. Ob die Vögel die UV-reflektierenden Streifen auch an trüben, nebligen Novembertagen erkennen können, werden erst die Freilandversuche in den kommenden Monaten zeigen.

    "Wir wollen sehr viel größere Scheiben im Freiland aufstellen mit irgendwelchen Stellagenwänden, die dann auch mobil an Heckensäumen und ähnlichen Habitatstrukturen verstellt werden können, um zu sehen, was tut sich da in den Flugkorridoren oder zur Zugzeit? Wie reagieren ansässige Vögel, die ganzjährig bei uns leben? Gibt es Gewöhnungseffekte an so etwas? Gibt es unterschiedliches Verhalten von Jung- und Altvögeln? Das sind alles Dinge, die können wir jetzt erst aufgrund dieser Basisuntersuchungen unter hoch standardisiertem Versuchsdesign im Freiland angehen."

    Die Spezialgläser mit UV-Beschichtung könnten viele Vogelleben retten. Dafür haben sie allerdings auch ihren Preis. Die Herstellung ist aufwändig und - da sie bisher nur als Prototypen angefertigt wurden - sehr teuer. Eine preisgünstige Alternative wäre einfach aufs Fensterputzen zu verzichten: denn der Pollenstaub auf den Fensterscheiben reflektiert ebenfalls das UV-Licht.