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Crimer - Retropopstar aus der Schweiz
Sonor singender Mittelscheitel

Mit der Musik der 80er-Jahre wurde er im Elternhaus beschallt – "das hat sich ein bisschen wie eingeprägt bei mir", sagt Crimer, Retropop-Sänger aus der Schweiz. Sein Video "Brotherlove" ist derzeit ein Viralhit, nicht zuletzt wegen der Tanzeinlagen. Das erste Album ist dabei noch gar nicht erschienen.

Crimer im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 02.12.2017
    Der Schweizer Musiker Crimer, stilecht mit Mittelscheitel und 80er-Look.
    Der Schweizer Musiker Crimer, stilecht mit Mittelscheitel und 80er-Look (Marc Bernegger / Coldkings GmbH)
    Lechler: "Ein Mittelscheitel erobert die Schweiz" - das war die vielleicht schönste Schlagzeile über Crimer, der gerade als neue Popsensation im alpinen Nachbarland gefeiert wird. Gerade ist bei uns seine erste Single erschienen, "Brotherlove", die extrem stilsicher nach ungefähr 1984 klingt, mit einem Video, in dem dieser junge Mann, der sich Crimer nennt, sehr eigenwillig und exzentrisch tanzt - mit Mittelscheitel - und mit tiefer Stimme singt, und das von praktisch jedem Musikblog im Netz sofort geteilt wurde.
    Da wird man doch neugierig, auch wenn das erste Album von Crimer erst im Frühjahr erscheinen soll, und deswegen haben wir ihn in ein Züricher Hörfunkstudio gebeten. Hallo Alexander Frei.
    Crimer: Hallo.
    Lechler: Wir waren baff, Sie seither bei einem Auftritt mit raspelkurzen Haaren sehen zu müssen. War die gescheitelte Tolle nicht ein wichtiges Markenzeichen von Crimer?
    Crimer: Ja, das stimmt schon, aber ich war ein bisschen im Korsett dieser Frisur. Hierzulande hat man medientechnisch mehr über meine Frisur berichtet, als über meine Musik und ich habe das so gut wie möglich dann umgesetzt und habe mir dann die Frisur für einen Videoclip abrasiert, und jetzt bin ich ein bisschen freier.
    Ohne Konzept und Choreografie
    Lechler: Aber es sieht ja schon alles in der Tat sehr durchkonzeptioniert aus. Gab es denn eine Idee, was Crimer sein sollte und werden würde?
    Crimer: Für den Betrachter und die Betrachterin sieht das definitiv so aus, aber lustigerweise gab es da gar kein Konzept. Weil, ich kann das wirklich mit offenem Herzen so sagen, dass ich eigentlich wirklich auch im normalen Leben im Alltag so rumlaufe mit dieser Frisur, jetzt gerade nicht mehr, aber auch mit dieser Kleidung, und da gab es gar nicht so viel Planung. Ich habe mal letztens mit dem Filmer gesprochen und der hat mir auch gesagt, er wird zuviel darauf angesprochen, dass wir das Kostüm designen und so, das hat alles gestimmt für den Clip. Und es war wirklich so, eine Stunde vor Drehbeginn habe ich ihm so zwei, drei Sachen vor die Augen gelegt und wir haben uns dann kurzerhand einfach für diesen blauen Anzug entschieden und, ja, da steckt wirklich wenig Konzept dahinter, aber glücklicherweise hat es irgendwie gepasst, und das ist ja ganz schön.
    Lechler: Ein Teil der Aufmerksamkeit verdankt sich Ihrem sehr expressiven Tanzstil im Video zu der aktuellen Single "Brotherlove" - wo man auch rätselt: Ist das jetzt choreografiert oder einfach ihre spezielle Art zu tanzen? Was ist es?
    Crimer: Ja, ich glaube, das zu choreografieren wäre ganz schön schwierig, weil das sprudelt aus mir raus, sehr expressiv, und hat ja auch kurz den Anschein, als hätte ich einen epileptischen Anfall, darum: Es ist nichts mit Choreografie dahinter.
    Lechler: Und um jetzt die Klamotte auch noch abzuhaken: Es ist ein offensiv gemustertes - würde ich mal sagen - und geschnittenes Hemd. Ich hab nicht das Gefühl, dass das ironisch wäre, aber ungewöhnlich ist es schon. Wo haben Sie das her, so was gibt es ja aktuell nicht zu kaufen, oder?
    Stilistisch zurück in die 80er: Der Schweizer Musiker Crimer.
    Stilistisch zurück in die 80er: Der Schweizer Musiker Crimer. (Marc Bernegger / Coldkings GmbH)
    Crimer: Wie ich vorhin erwähnt habe, für diesen Videoclip hatten wir kurz uns vorher gesehen und haben den ganzen Kleidungsstil besprochen, und der Regisseur hat mich auch immer wieder kontaktiert und gesagt, ich müsse ihm Bilder schicken von Kleidern und so, und ich habe das immer wieder ignoriert, weil ich mich auch ein bisschen geweigert habe, auf etwas hin mich zu verkleiden, auch wenn es nur ein Videoclip ist, weil ich dachte, ich will ja mich verkörpern und nicht einen Charakter. Und ich habe mich dann trotzdem ein bisschen beugen lassen und habe das in einem Laden in Frankfurt gefunden, das ist wirklich ein aktuelles Modestück. Aber ich glaube, es ist ein Frauenhemd.
    Musikalische Anfänge im Kirchenchor
    Lechler: Die erwähnte Single heißt "Brotherlove". Bruderliebe. Worum geht es?
    Crimer: Ja, es geht tatsächlich um Bruderliebe. Ich habe zwei Brüder und die sind so unterschiedlich, wie man nur sein kann, auch ganz unterschiedlich zu mir. Und trotzdem ist dieser Bund zwischen Brüdern und auch allgemein Geschwistern so extrem stark, dass den eigentlich nichts entzweien kann. Und über das wird in "Brotherlove" gesungen.
    Lechler: Es steht bei Wikipedia etwas zu Ihrer Biografie, was man sonst eher bei Beyoncé oder Whitney Houston liest, nämlich: "Begonnen hatte er seine musikalische Laufbahn in einem Kirchenchor." Haben Sie einfach nur irgendwann mal als Kind im Kirchenchor gesungen, oder war das wirklich eine wichtige Station mit Auswirkungen auf das, was später kam?
    Crimer: Dieser Kirchenchor war eine wichtige Station für mich, weil, ich war in der sechsten Klasse , also im zarten Alter von zwölf Jahren, und da mussten wir so Lieder vorsingen und das wurde dann benotet. Und anscheinend hat das meiner Lehrerin gut gefallen und sie hat mich dann mit dieser Chorleiterin in Verbindung gebracht. Und so war halt meine erste Station eben Kirchenchor, auch wenn ich das vielleicht lieber in einer coolen Rock-Formation gemacht hätte. Aber das war trotzdem ein guter Startschuss und man hat dann 20 Franken an einem Sonntag verdient in einem Gottesdienst, das war für zwölf ein gutes Taschengeld und dann ging es natürlich trotzdem relativ schnell in eine andere Richtung, was auch gut war.
    "Die 80er haben sich in mein musikalisches Schaffen eingegliedert"
    Lechler: Das war dann in den ersten Bands als Teenager. Was war das für Musik und was war Ihre Rolle da?
    Crimer: Das war immer ein bisschen verschieden. Ich glaube, ich habe so ganz klassisch, wie das viele Sänger und Sängerinnen gemacht haben, ganz verschiedene Genres abgeklappert. Als ich ein Teenager war, war diese Emo - eher traurige, düstere Rockmusik – in, und da war ich Sänger in so einer Band. Und als dann so die Nullerjahre - hat man dann die Indie-Band gegründet, die da so jedes Dorf hatte. Und aus diesen ganzen verschiedenen Stilrichtungen heraus habe ich mich dann wieder in Crimer wiedergefunden, was ein Stil ist, der mir - finde ich - sehr gut steht.
    Wir haben noch länger mit Crimer gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Lechler: Was sind denn heute die Einflüsse? Ich meine, in Ihrer Selbstbeschreibung auf der Crimer-Website attestieren Sie sich ein "Faible für Klänge vergangener Zeiten". Warum so retro?
    Crimer: Ich glaube, das hat stark damit zu tun, dass man als Kind natürlich immer auch mit den Lieblingsstücken der Eltern, die dreschen da mit ihren Liedern auf einen ein, ob man will oder nicht. Es wird immer nur das gehört, was die Eltern hören wollen und darunter waren ganz viele Geschichten aus den 80ern, sei es Lionel Richie oder Rick Astley, der mehr verpönt wird als alles andere. Ja, das hat sich irgendwie in mein musikalisches Schaffen so stark eingegliedert, ich kann das nicht abschalten, und jedes Mal, wenn ich eine Snare, ein Schlagzeugfell höre, das kilometerweiten Hall hat, dann gefällt mir das so gut, das hat sich ein bisschen wie eingeprägt bei mir.
    "Ich bin froh, wenn mir der Schweiz-Stempel nicht aufgedrückt wird"
    Lechler: Man erwartet jemand so Schillernden wie Sie jetzt nicht als erstes aus der Schweiz, wenn ich das sagen darf. Ist das mein Vorurteil, oder fühlen Sie sich in Ihrem Land auch eher "unique"?
    Crimer: Ich glaube, die Schweiz hat recht viel mehr zu bieten an der Musik, als das so im Ausland wahrgenommen wird. Ich finde natürlich schön, dass man mir nicht irgendwie den Stempel Schweiz jetzt gleich aufdrückt, weil ich glaube, wenn jemand - sagen wir mal - aus Deutschland oder egal wo Schweizer Musik hört, dann fällt einem zuerst mal DJ Bobo und solche Sachen ein. Und da bin ich schon ganz schön froh, dass mir dieser Stempel nicht aufgedrückt wird. Aber wir haben wirklich sehr, sehr viele coole Künstler, und dass ich als eines der ersten Aushängeschilder vielleicht stehen darf, das ist natürlich eine extreme Ehre und ich glaube, dass hier auch noch ganz viel kommen wird aus der Schweiz. Wir haben irgendwie einfach länger gebraucht, um uns von diesem DJ-Bobo-Umhang zu trennen, aber ich glaube, das kommt gut.
    Lechler: Um nochmal auf das Image zu kommen: Was ist ein "Crimer"?
    Crimer: Ja, ich glaube, "Crimer" passt dadurch gut zu mir, weil es trotzdem irgendwie das Düstere von diesem Bad-Man-Image doch nicht verloren hat und das spiegelt sich auch ganz gut in meiner Musik wieder, und trotzdem ist er nicht so ein richtiger Bösewicht. Weil ein "Crimer" ist ja sozusagen jemand, der krumme Dinge am Laufen hat und trotzdem gut damit wegkommt. Und das passt irgendwie schon ganz gut, weil ich ja irgendwie Musik mache, die eigentlich vor 30 Jahren hätte stattfinden sollen - und trotzdem gibt es Leute, denen das heute gefällt, und das ist ja schon ein bisschen so ein Crimer-Move, den ich da abziehe.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.