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Matthias Dell
Ganz großes Kino mit Kavanaugh

Filmreif findet unser Kolumnist Matthias Dell die Anhörung von Richter Brett Kavanaugh im US-Senat. Das Spektakel werde in die Mediengeschichte eingehen - mit einem rührseligen Protagonisten, feigen Senatoren und einer gut vorbereiteten Zeugin.

Von Matthias Dell | 04.10.2018
    Der Kandidat für den Oberstern Gerichtshof der USA, Richter Brett Kavanaugh, bei der Anhörung im Justizausschuss des Senats zu den Vorwürfen der versuchten Vergewaltigung
    Der Kandidat für den Obersten US-Gerichtshof, Richter Brett Kavanaugh, bei der Anhörung im Justizausschuss des Senats zu den Vorwürfen der versuchten Vergewaltigung. (AFP/ Michael Reynolds)
    Vor einer Woche fand im Justizausschuss des US-Senats die Anhörung von Christine Blasey Ford und Brett Kavanaugh statt. Kavanaugh ist Trumps Kandidat für den freien Platz im Supreme Court des Landes, der nicht nur von Ford des sexuellen Übergriffs beschuldigt wird.
    Am Ende der achtstündigen Anhörung stand Aussage gegen Aussage - weshalb sich die Veranstaltung aus politischer Sicht beschreiben ließ als ein Spektakel. Ein Spektakel, das die tiefen Gräben zwischen Trumps Republikanern und den oppositionellen Demokraten nur noch sichtbarer gemacht hat.
    Live-Übertragung für Millionenpublikum
    Mediengeschichtlich dürfte die Anhörung aber ein Meilenstein gewesen sein - ein einschneidendes Ereignis, an das sich die Leute erinnern werden, auf das immer wieder Bezug genommen werden wird, das erst in ein paar Jahren in seiner ganzen Bedeutung gewürdigt werden kann. Vergleichbar dem Prozess gegen O.J. Simpson in den Neunzigerjahren. Und das nicht nur, weil vergangene Woche Millionen Menschen in den USA und - dank des Internets - auf der ganzen Welt diese Ausschusssitzung live verfolgen konnten.
    Es ist natürlich eine berechtigte Frage, inwiefern die Live-Übertragung der Sache dient - wenn man unter "der Sache" eine sorgfältige politische Debatte versteht und nicht eben eine mit allen zur Verfügung stehenden Winkelzügen entworfene Show. Zumal Politik immer nur medial vermittelt wird, ob in der Tagesschau, in Talkshows oder den Schnipseln von Parlamentsdebatten, die man auf YouTube finden kann.
    Nur weiße männliche Senatoren
    Aber selbst in diesem Sinne, also eingedenk aller Spins und Strategien, ist die achtstündige Anhörung ein bedeutsames Dokument unserer Zeit - ein live übertragener Dokumentarfilm, der im formalisierten Sprechen eines Ausschusses Auskunft über eine bestimmte - unsere - Kultur gibt. Und dazu gehört auch die Demütigung, die es für Ford bedeutete, sich an das ihrer Aussage nach traumatische Erlebnis von vor 36 Jahren vor einem Millionenpublikum zu erinnern - in möglichst vielen Einzelheiten.
    Allein der Umstand, dass die republikanischen Senatoren des Ausschusses - allesamt weiße Männer - ihr Fragerecht gegenüber Ford geschlossen an eine eigens engagierte Staatsanwältin abgegeben hatten, ist ein merkwürdiges Detail: Aus ihm spricht die Angst, wenn nicht die Feigheit, gegenüber der aussagenden Frau als sexistisch wahrgenommen zu werden.
    Besser als jedes Drehbuch
    Man könnte freilich auch sagen: Das Schweigen der Senatoren zeigt deren Unfähigkeit, mit einer Art von Verletzung umgehen zu können, für die sich machtvolle Männer jahrhundertelang nicht zu interessieren brauchten. So kommt #MeToo in einer riesigen Öffentlichkeit an.
    Filmisch war die Anhörung in jenen Momenten, die sich kein Drehbuch besser hätte ausdenken können. Als die heutige Psychologieprofessorin Ford gefragt wurde, warum sie sich so sicher sei, dass Kavanaugh sie zu High-School-Zeiten versucht habe zu vergewaltigen, antwortete sie mit einer neurologischen Erklärung über die Funktionen des menschlichen Gehirns.
    Kavanaugh war eher für das Theater zuständig. Er kämpfte mit den Tränen, als er sich am Kitsch seiner Familienseligkeit berauschte, von seinem Vater und seiner Tochter sprach. Zugleich konnte er auf die Vorwürfe aber nicht anders als mit Aggression reagieren – weil er als karrierebewusster Mann gewohnt ist, dass er bekommt, was er haben will.
    Filme und Serien werden folgen
    Es bedarf keiner prophetischen Gabe, um vorauszusagen, dass diese Anhörung dokumentarische Filme und fiktionale Serien nach sich ziehen wird. Und wenn man sich Ezra Edelmanns bestechende O.J.-Simpson-Dokumentation "Made in America" von vor zwei Jahren anschaut, dann wird vielleicht erst diese Kunst in einigen Jahren so etwas wie die Wahrheit erzählen können über den ganzen Komplex.