Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

CSU-Kritik an Merkel
"Wir haben eine widersprüchliche Einwanderungspolitik"

Es sei absurd, von der Türkei eine Grenzschließung zur Eindämmung des Flüchtlingsstroms zu verlangen und im gleichen Zuge vor wenigen Wochen eine unkontrollierte Einreise von Flüchtlingen nach Deutschland zu erlauben, sagte Günther Beckstein (CSU), ehemaliger Innenminister Bayerns im DLF. Europa müsse hier wieder ein einheitlich Recht einhalten.

Günther Beckstein im Gespräch mit Thielko Grieß | 06.10.2015
    CSU-Politiker Günther Beckstein (15.05.2014)
    Der CSU-Politiker Günther Beckstein kritisiert die Kanzlerin. (dpa / picture-alliance / Matthias Balk)
    Beckstein hält die Kritik seines Parteikollegen, dem bayerischen Innenminister Markus Söder, für berechtigt. Söder forderte vor wenigen Tagen, das Asylrecht einzuschränken. "Ich halte Kontingente, die man aufnimmt für eine gute Idee, aber das muss dann eingehalten werden", sagte Beckstein.
    "Deutschland hat Dublin einseitig aufgekündigt"
    "Dass wir bei dem Elend in Syrien nicht wegschauen können, ist klar. Aber gleichzeitig ist auch klar, dass Deutschland das nicht allein schultern kann. Wir können insgesamt nicht sagen, dass wir alle geschundenen Menschen aufnehmen, die fliehen", unterstrich Becksein seine Kritik an der aktuellen Politik der Bundesregierung. Deutschland habe das Dublin-Verfahren, das in der EU gelte, einseitig aufgekündigt. Ohne ein neues europäisches System sei dieser Schritt unverständlich "Wir müssen Absprachen treffen und uns selbst daran halten", forderte Beckstein weiter. Er nannte die deutsche Flüchtlingspolitik chaotisch.
    "Flüchtlinge hätten auf Waffenbesitz geprüft werden müssen"
    Zu der Entscheidung der Kanzlerin vor einigen Wochen, Flüchtlinge aus Österreich ungeprüft nach Deutschland einreisen zu lassen, sagte der ehemalige bayerische Innenminister: "Ich hätte das nicht so gemacht, dass der bayerische Innenminister über die Medien erfährt, dass Flüchtlinge kommen. Wenn Menschen aus einem Bürgerkriegsland kommen, hätte ich geprüft, ob sie nicht Waffen dabei haben."
    Er räumte ein, dass Deutschland in der Flüchtlingsfrage international Fehler gemacht habe. "Es ist gut, dass wir endlich Geld für Flüchtlinge in den Nachbarländern Syriens ausgeben wollen."

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Die "Süddeutsche Zeitung" schreibt es in einem Kommentar heute ungefähr so: Kritiker hätten ja jahrelang die Politik Angela Merkels als zaudernd beschrieben, als Politik der kleinen und kleinsten Schritte, und nun habe sich die Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik einmal festgelegt. Das sei etwas Neues, aber das ist nun wieder vielen auch nicht recht. Kritikanwürfe gibt es in teils harschen Formulierungen aus der eigenen Partei der Kanzlerin, aus der CDU, aber noch pointierter und noch öffentlicher von der CSU. - Am Telefon begrüße ich jetzt Günther Beckstein, ehemaliger Ministerpräsident Bayerns und auch Innenminister einmal gewesen im Freistaat Bayern. Guten Morgen, Herr Beckstein.
    Günther Beckstein: Einen schönen guten Morgen.
    Grieß: Kritik an Berlin, Kritik an den Preußen, an der CDU, das ist Traditionspflege in Bayern. Gehört das nun einfach auch in diese lange Tradition?
    Beckstein: Zunächst will ich deutlich machen: Ich bin nicht befugt, für die CSU zu sprechen. Ich hatte früher ein hohes Amt, ich hatte früher auch das Amt des Innenministers über 14 Jahre, aber ich habe keinerlei Amt mehr, sodass ich nicht für die CSU spreche.
    Grieß: Das wissen wir ja. Aber es reicht ja, wenn Sie für sich sprechen.
    Beckstein: Ich bin natürlich ein wacher Beobachter und da halte ich die Kritik ganz überwiegend für begründet.
    Grieß: Warum das denn?
    Beckstein: Mir erscheint die Politik, die Deutschland im Moment im Bereich der Einwanderung macht, höchst widersprüchlich und das führt auch zu humanitär ganz, ganz schwierigen Umständen. Wenn jemand, ein syrischer Flüchtling, legal nach Deutschland kommen will, dann ist das unmöglich. Er kriegt keinen Termin bei der Botschaft in Beirut oder in Ankara. Und wenn er einen Termin kriegt, wird sein Visumsantrag abgelehnt. Wenn er jetzt nun sich allein auf die Reise macht und er betritt ein seetüchtiges Schiff, dann wird er abgelehnt, weil er kein Schengen-Visum hat. Also geht er auf ein seeuntüchtiges Schiff und bringt sich in Lebensgefahr. Wenn er nun in Europa ist, dann muss er illegal über verschiedene Grenzen gehen, über viele Schleuser, die ihm das Geld abnehmen. Wenn er in Salzburg ist, gibt es keinen Zug mehr nach München. Wir haben Grenzkontrollen mit Riesenstaus eingeführt. Aber wenn er an der Grenze ist und Asyl ruft, dann bringt der Polizeibus ihn zum Willkommenszentrum. Der Taxifahrer, der ihn an die Grenze bringt, dessen Fahrzeug wird beschlagnahmt. Also ich sage, wir haben eine ziemlich chaotische Politik im Moment.
    Grieß: Und wenn es nach dem bayerischen Finanzminister Söder ginge, dann träfe der Asylbewerber an den Grenzen demnächst auch auf Zäune - auch widersprüchlich.
    Beckstein: Zumal wenn wie im Moment am Zaun die Tür aufgemacht wird, wenn er dann von den Polizisten ins Willkommenszentrum gebracht wird. Was ich sage ist, es war aus meiner Sicht unverständlich, schlichtweg das geltende Recht außer Kraft zu setzen, nämlich die Dublin-Regelungen, ohne irgendein neues europäisches System zu haben. Es wird höchste Zeit, dass wir wieder irgendeine europäische Politik bekommen und nicht Chaos.
    Grieß: Die Kanzlerin hat sich am Sonntag hier im Deutschlandfunk in einem längeren Interview, im "Interview der Woche" geäußert. Ein Kernsatz lautet so:
    O-Ton Angela Merkel: "Ich gehöre nur zu denen, die sagen, wenn so eine Aufgabe sich stellt und wenn es jetzt unsere Aufgabe ist - ich halte es mal mit Kardinal Marx, der gesagt hat, der Herrgott hat uns diese Aufgabe jetzt auf den Tisch gelegt -, dann hat es keinen Sinn zu hadern, sondern dann muss ich anpacken und muss natürlich versuchen, auch faire Verteilung in Europa zu haben und Flüchtlingsursachen zu bekämpfen. Aber mich jetzt wegzuducken und damit zu hadern, das ist nicht mein Angang."
    "Man muss Geld dorthin geben, damit Menschen auch in den Lagern im Libanon, in der Türkei leben können"
    Grieß: Das ist nicht der Kanzlerin Angang. Sie hat sich auch nicht weggeduckt vor der Entscheidung, eine Entscheidung zu treffen über Flüchtlinge, die in Ungarn und Österreich auf der Autobahn standen. Hätten Sie das gemacht?
    Beckstein: Ich hätte es jedenfalls nicht so gemacht, dass dann der bayerische Innenminister über die Medien erfährt, dass 15.000 Leute kommen, sondern dass man sich das vorher überlegt, dass man beispielsweise überlegt, dass man wenigstens Grenzkontrollen macht bei denen, die rein kommen. Denn wenn Menschen aus einem Bürgerkriegsland kommen, hätte ich in jedem Fall Wert darauf gelegt zu überprüfen, dass die nicht Waffen und gefährliche Gegenstände dabei haben. Und ich hätte ein Stück vorbereitet, wie man sie aufnehmen kann. Gott sei Dank haben Leute in München, viele Ehrenamtliche das selber organisiert, und ich muss sagen, ich finde es wunderbar, wie die Menschen mit den Flüchtlingen umgehen, die ganz überwiegende Anzahl von Menschen. Das ist wirklich ein großer positiver Punkt und ich ermutige alle Menschen, das weiter zu machen, und es ist auch gut, dass wir endlich Geld für die großen Zahlen von Flüchtlingen in den Nachbarländern ausgeben wollen, im Libanon, in der Türkei. Aber ich habe gestern angerufen im Libanon. In den Lagern ist noch kein Geld angekommen. Wir brauchen nicht Worte, sondern wir brauchen Taten und wir brauchen wieder vernünftige Politik.
    Grieß: Dazu gehört aber auch, Herr Beckstein, dass die Bundesregierung - so viel zum Thema Taten - diese Zuschüsse und diese Hilfen in der Vergangenheit ja gekürzt hat.
    Beckstein: Natürlich war das ein schwerer Fehler und mir bricht das Herz. Ich sage das Ihnen, ich war ein harter Hund als Innenminister. Aber wenn man in den Flüchtlingslagern im Libanon sieht, dass Kinder elastische Bänder an den Oberarmen haben, damit man feststellen kann, wenn die Unterernährung lebensgefährlich ist, das waren ganz schlimme Dinge. Man muss Geld dorthin geben, damit Menschen auch in den Lagern im Libanon, in der Türkei leben können. In Jordanien kenne ich es nicht, aber da ist es wahrscheinlich ähnlich.
    Grieß: Geld muss in jedem Fall ausgegeben werden, entweder für Flüchtlinge, die hier im Land sind, oder für Flüchtlinge, die in Lagern im Nahen Osten leben. Wäre es nicht zum Beispiel auch Aufgabe der Regierungspartei CSU, dies den Menschen zu erklären?
    Beckstein: Natürlich muss das erklärt werden. Und dass wir bei dem Elend in Syrien nicht einfach wegschauen können, ist auch völlig klar. Ich halte beispielsweise die Grundüberlegung, Kontingente zu schaffen, die man aufnimmt, für eine sehr, sehr vernünftige Idee. Aber dann muss das auch eingehalten werden. Ich habe von Mitarbeitern des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge unter der Hand, weil die in Nürnberg sind, wo ich lebe, erfahren, dass die 120.000 Menschen, die die EU durch Mehrheitsbeschluss verteilen will, dass die Mitarbeiter in Italien sind, im Moment aber nicht wissen, ob sie die Verteilung vornehmen sollen. Denn wenn sie jemanden zum Beispiel nach Polen schicken und der will aber nach Deutschland und wir sagen, wir halten uns nicht an die Verabredung, die wir selber vor Kurzem getroffen haben, dann macht das Ganze natürlich keinen Sinn. Es müssen wieder Regelungen, die man einhält, gemacht werden. Das ist mein persönliches Anliegen.
    "Wir haben ein Dublin-System verabredet und Deutschland hat das einseitig aufgekündigt, und jetzt sagen wir, die anderen sind unsolidarisch"
    Grieß: Die Kanzlerin rückt von ihrer Linie nicht ab, Herr Beckstein. Haben Sie den Eindruck, dass die Dame in einer anderen Welt lebt?
    Beckstein: Ein Stück ja. Natürlich können wir im Moment die eine und im nächsten Jahr die zweite Million aufnehmen, aber dass wir insgesamt nicht sagen können, wir nehmen alle die wirklich geschundenen Menschen auf, die fliehen - ich bin kein Mensch, der sagt, das sind Wirtschaftsflüchtlinge. Wer sein Land in Afghanistan, im Irak, aber auch in Eritrea oder Somalia verlässt oder auch in Nigeria, das sind alles ganz geschundene Menschen, weil ihnen Krieg, Bürgerkrieg, weil ihnen Radikalismus von Islamisten ihre Zukunft stiehlt. Ich habe da großes Mitgefühl. Aber gleichzeitig ist es doch offensichtlich, dass Deutschland allein das nicht schultert, und wir müssen Absprachen treffen, aber wir müssen uns auch dann selber an die halten. Wir haben - da habe ich damals mitgewirkt - ein Dublin-System verabredet und Deutschland hat das einseitig aufgekündigt, und jetzt sagen wir, die anderen sind unsolidarisch. Ganz leuchtet mir das nicht ein.
    Grieß: Sie waren Innenminister. Sie haben sich vorhin als damals harten Hund bezeichnet. Der bundesharte Hund heißt Thomas de Maizière. Wird er diesem Etikett gerecht?
    Beckstein: Thomas de Maizière kann ja nichts anderes machen, als was ihm die Politik Deutschlands vorgibt.
    Grieß: Das heißt, wenn die Vorgaben aus dem Kanzleramt schlecht sind, kann er auch nur schlechte Politik machen?
    Beckstein: Natürlich! Was ich kritisiere ist, dass es humanitär nicht gut geht. Ich glaube auch nicht, dass die überwiegend jungen Männer, die bei uns ankommen, diejenigen sind, die am meisten schutzbedürftig sind. Und diejenigen, die qualifiziert sind, die suchen sich die Amerikaner und die Engländer in den Lagern über ihre Kontingente aus. Das heißt, ich meine, wir müssen wieder bei aller emotionalen Hilfsbedürftigkeit - und das hätte ich Merkel nicht zugetraut; ich habe immer gedacht, die sei nur eine völlig rational handelnde Person. Ich finde es eigentlich sehr sympathisch, dass sie auch am 5. September viel Herz gezeigt hat und gesagt hat, wir können die Flüchtlinge nicht in dieser chaotischen Situation lassen. Aber ich meine, Politik muss auch sich überlegen, wie das Ganze vernünftig organisiert wird, und nicht nur emotional handeln.
    Grieß: Ganz kurz noch. Viel Herz, aber kopflos, sagen Sie. Wie soll die Kanzlerin denn davon wieder runterkommen?
    Beckstein: Da gibt es natürlich eine ganze Menge Regelungen, beispielsweise wieder eine gemeinsame europäische Politik machen und sich daran halten.
    Grieß: Das hat man gestern versucht mit dem türkischen Präsidenten Erdogan. Da ist nicht viel bei rausgekommen.
    Beckstein: Das ist natürlich auch absurd. Wir machen die Grenzen auf und verlangen, dass Erdogan seine Grenzen schließt und dass er die Leute nicht rauslässt. Das kann ja nicht funktionieren. Wir haben ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, weil wir einseitig Regelungen ausgesetzt haben. Ich meine, wir müssen Regelungen verabreden, uns aber auch daran halten.
    Grieß: Günther Beckstein haben wir hier gehört, aus Franken zugeschaltet, aus Nürnberg. Herr Beckstein, vielen Dank für Ihre Einschätzungen und Analysen heute Morgen.
    Beckstein: Danke schön!
    Grieß: Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.