Freitag, 29. März 2024

Archiv

CSU-Parteitag in München
"Man braucht sich gegenseitig, um diese Wahlen zu gewinnen"

Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch glaubt trotz der Differenzen mit der CDU in der Flüchtlingspolitik nicht an einen Alleingang der CSU bei der Bundestagswahl 2017. Um die Wahl zu gewinnen, seien die Schwesterparteien auf die Kanzlerin angewiesen, sagte sie im DLF.

Ursula Münch im Gespräch mit Christiane Kaess | 05.11.2016
    Kugelschreiber mit Logo der CDU/CSU
    Zusammenstehen für den Wahlerfolg: Nur gemeinsam können CDU und CSU die Bundestagswahl gewinnen, glaubt die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. (imago/Christian Ohde)
    Christiane Kaess: Schon fast reumütig hat sich Horst Seehofer da gestern auf dem CSU-Parteitag in München gezeigt. Einen Dissens auszutragen auf offener Bühne wäre ein grober politischer Fehler – das hat er ausgerechnet an der Stelle gesagt, wo er genau das vor einem Jahr getan hat, nämlich die Bundeskanzlerin neben sich stehend wie ein Schulmädchen belehrt hat über das, was er für den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik hielt. Ein Jahr später ist also alles ganz anders, Seehofer sucht die Versöhnung mit der Schwesterpartei CDU, und Seehofer wäre nicht er selbst, wenn er das Ganze nicht noch mit einer sarkastischen Bemerkung verbunden hätte: Mit Dissens auf offener Bühne habe er so seine Erfahrungen.
    Dirk Müller ist für uns in München.
    Danke schön für diese Informationen aus München, Dirk Müller. Und damit ist schon ein Konfliktpunkt angesprochen, über den wir unter anderem sprechen wollen mit Professorin Ursula Münch. Sie ist Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Guten Tag!
    Ursula Münch: Guten Tag, Frau Kaess!
    Kaess: Frau Münch, wir haben es gehört, Seehofer stellt die Weichen auf Versöhnung. Kann das überhaupt noch gelingen, oder ist da einfach zu viel kaputt gegangen?
    Münch: Da ist sicherlich relativ viel kaputt gegangen, das ist unbestritten. Aber das gemeinsame Ziel eint ja dann doch in gewisser Weise wieder. Das gemeinsame Ziel ist jetzt zunächst mal die anstehende Bundestagswahl. Das führt zusammen. Und gleichzeitig führt durchaus oder kann zusammenführen die Verständigung darüber, dass man wahrscheinlich nicht jeden Konflikt in der Flüchtlingspolitik zwischen den beiden Schwesterparteien ausräumen kann.
    Also man wird wohl die Strategie fahren, dass man sagt, wir sind uns in manchen Sachen uneins, und wir leben diese Uneinigkeit auch in der Form, dass wir sagen, zum Kernbereich der CSU gehört, da eine andere Position zu haben.
    Und im Grunde ist das unter Umständen sogar vielleicht ein Rezept, eine Wählerschaft anzusprechen, die vielleicht die CDU in mancherlei Hinsicht nicht ansprechen würde, und auf die Weise versucht man, die über diese CSU-Position einzubinden. Also, wenn man das einigermaßen klug macht, kann das ja durchaus funktionieren.
    Kaess: Jetzt haben wir aber, Frau Münch, bisher ganz oft von der Basis gehört, wir werden keinen Wahlkampf mehr für Angela Merkel machen. Und jetzt wiederum die Delegierten auf dem Parteitag, die dann wiederum sagen, es geht nur mit Angela Merkel. Sind das nur Marionetten, die abnicken, was der Parteichef vorgibt?
    Münch: Marionetten nicht, also dazu sind die Delegierten hier zu selbstbewusst. Dieses Selbstbewusstsein war ja auch mit der Grund, dass man sich entschieden hat, Merkel und Seehofer gemeinsam, dass Frau Merkel diesmal nicht auf dem Parteitag auftritt, weil man eben diese Befürchtung gehabt hat, dass dadurch, dass die Delegierten der CSU nicht unbedingt als Marionetten funktionieren – das war zu gewagt, weil man befürchtet hat, da gibt es Widerworte oder Buh-Rufe oder was auch immer.
    Ich glaube, dass man insgesamt dieses Ziel, dass man sieht, man braucht die Kanzlerin auch, man braucht sich gegenseitig, um diese Wahlen zu gewinnen, da gibt es niemand anderen. Und CDU- und CSU-Politik, Unionspolitik insgesamt besteht nicht nur aus der Flüchtlingspolitik. Dass man die Kanzlerin, die Parteivorsitzende der Schwesterpartei vor allem auch dazu brauchen wird mit Blick auf Europa, mit Blick auf außenpolitische Herausforderungen, die eher größer als kleiner werden. Ich denke mir, dass das wiederum die Delegierten und insgesamt die Partei, die CSU dann auch wieder im Großen und Ganzen einfangen lässt.
    "So groß sind die Differenzen nicht"
    Kaess: Aber die Flüchtlingspolitik war der Kern des Konfliktes, und an der Ausgangslage hat sich ja nichts geändert, denn wir haben ja nach wie vor keine Obergrenze.
    Münch: Wir haben keine Obergrenze, aber wir brauchen diese Obergrenze de facto ja auch so lange nicht, solange man darauf beharrt, dass man sich im Grunde an die Regeln des Dublin-Abkommens zum Beispiel hält, dass also nur die Flüchtlinge tatsächlich kommen, die direkt in der Bundesrepublik anlanden.
    Also, wenn man all diese Regelungen, die es ja alle schon gegeben hat, auch schon vor 2015, wenn man sich an die hält - und derzeit tut man das und die Bundesregierung ja auch aus gutem Grund, und gleichzeitig hat man relativ geschlossene Grenzen –, so lange wird diese Obergrenze nicht virulent werden, und so lange wird dieser Streit eher auf der Wortebene bleiben.
    Und ich habe den Eindruck, dass man sich da mit diesem Stichwort – die einen nennen es die Begrenzung, die faktische, die anderen sprechen von einer ausdrücklichen Obergrenze, aber so groß sind die Differenzen nicht. Wie gesagt, solange die Herausforderung nicht durch neue steigende Zahlen dann wieder gegeben werden. Aber das zeichnet sich ja im Augenblick nicht ab.
    "Parteivize Weber ist der Allerletzte, der versucht, die CDU in die Enge zu"
    Kaess: Das sieht der Parteivize Manfred Weber offenbar anders. Der hat heute in der "Passauer Neuen Presse" die Obergrenze noch mal zur Bedingung für künftige Regierungsbeteiligungen gemacht. Wortwörtlich hat er gesagt: "Ohne Obergrenze wird es im kommenden Jahr keine Koalition mit der CSU geben." Wie wird das ausgehen?
    Münch: Es wird so ausgehen, dass man im Grunde sich, ja – also man hat ja – die CSU und die Union insgesamt sind sich ja schon einig, dass – das Asylrecht ist in einer Weise verschärft, man kann es nicht mehr weiter verschärfen.
    Jetzt erwartet man im Grunde ist es so ein Hin- und her-Taktieren, und diese Äußerung von Weber ist im Grunde für ihn eigentlich eher untypisch. Er ist also der Allerletzte, der versucht, die CDU in die Enge zu treiben und die Kanzlerin in die Enge zu treiben. Er macht aber selber auch immer wieder Zugeständnisse gegenüber seiner eigenen Partei, die ihn manchmal für zu weit bei der CDU sieht. Also insofern muss ich ganz ehrlich sagen, halte ich diese Äußerung von Weber eher auf die eigene Partei zurückführend und hinweisend. Das ist nicht unbedingt eine Position, mit der er jetzt gegenüber der CDU auftritt, weil da ist er relativ konziliant, häufig viel konzilianter als der Parteichef Seehofer.
    "Mit dem politischen Islam wird sich die CSU tatsächlich noch schwertun"
    Kaess: Sie haben es gerade schon gesagt, die Flüchtlingskrise spielt keine ganz so große Rolle mehr. Jetzt verlegt sich die CSU auf den Kampf gegen den politischen Islam. Wir haben es gerade gehört, den Punkt im Grundsatzprogramm. Erinnert Sie das an die AfD?
    Münch: Na ja, mit dem politischen Islam wird sich die CSU tatsächlich noch schwertun, nämlich im Grunde, wie das Stichwort Leitkultur – es ist immer so eine Definitionsfrage, wer versteht eigentlich was drunter? Was ist der politische Islam, und wie versteht man den? Also, damit ist gemeint, man hat nichts gegen die normalen Muslime, die in unserer Gesellschaft leben, normal ihrer Religion und ihren Traditionen nachgehen, aber die Frage, wie grenzt man das jetzt eigentlich voneinander ab, diese Frage wird in diesem Leitprogramm nicht beantwortet. Und da ist genau diese Interpretationsgefahr.
    Kaess: Und wie grenzt man sich von der AfD ab.
    Münch: Und das ist genau dieses Problem, also wo stellt man die Abgrenzung her? Das ist im Augenblick schwierig gegeben, und natürlich driftet das ein bisschen ab.
    Und man sieht es ja auch an der ganzen Positionierung der CSU hier auf dem Parteitag, man hat ein ganz klares Bekenntnis: Wir sind eine große Volkspartei. Und das umschließt, so ausdrücklich Seehofer, natürlich auch Positionen, nationalliberale Positionen, solange sie mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
    Also er versucht das, was natürlich eine Volkspartei auszeichnet, im Grunde diese umfassende Umschlingung im Grunde auch potenzieller AfD-Wähler. Und da dient diese Abgrenzung des politischen Islams durchaus dazu.
    "Wenn man einen gemeinsamen Gegner hat, ist es viel leichter zusammenzuhalten"
    Kaess: Die Warnung vor dem Linksbündnis hat auch eine große Rolle gespielt auf dem Parteitag. "Linksfront" sagt die CSU, durch SPD, Grüne und Linkspartei. Ist das populistisch, jetzt schon gegen eine noch so sehr vage künftige Regierungsform schon Stellung zu beziehen?
    Münch: Ob es populistisch ist oder nicht, kann man sich drüber streiten. Es ist vor allem taktisch durchaus klug aus Sicht der CSU und sicherlich auch durchaus aus Sicht der CDU, weil das etwas Einigendes ist. Und man weiß, wenn man einen gemeinsamen Gegner hat, ist es viel leichter, zusammenzuhalten, und im Grunde ist das, dieses Position-Beziehen gegen dieses potenziell mögliche Linksbündnis – das ist der Versuch, sowohl die CSU zu einigen und auch hier diese Klammer zur CDU herzustellen. Insofern würde ich es vor allem als eine taktische Ausrichtung, die man jetzt schon relativ früh – aber andererseits sind es bis zur Bundestagswahl auch nur noch elf Monate.
    Kaess: Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Danke für das Gespräch!
    Münch: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.