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CSU-Parteitag
"Seehofer errichtet Brandmauern gegen AfD"

Die rechtskonservative Position der CSU zur Flüchtlingspolitik sei keine "menschenverachtende Attitüde", sagte der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter im DLF. Horst Seehofer und seine Partei halten damit die "xenophobisch eingefärbte AfD" klein. Ein Antrieb seien aber auch machtpolitische Gründe in Bayern.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Daniel Heinrich | 20.11.2015
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) spricht am 13.09.2015 in der Staatskanzlei in München (Bayern) auf einer Pressekonferenz nach einer Sondersitzung des bayerischen Kabinetts zur Flüchtlingslage.
    Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) (picture alliance / dpa / Andreas Gebert)
    Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. Herr Oberreuter, die CSU fordert eine Obergrenze von Flüchtlingen, die Kanzlerin sagt klar nein. Beides ist beim Parteitag deutlich geworden. Wie kommt man raus aus dem Dilemma?
    Heinrich Oberreuter: Man kommt raus, indem man sich auf das besinnt, was einen verbindet, und interessant war schon, dass Merkel und Seehofer auf Reduzierung sich verstanden haben, auf Begrenzung sich verstanden haben, dass der Dissens eigentlich im Wesentlichen darin liegt, wie man zur Begrenzung kommt. Und die Antwort von Merkel ist: durch Europäisierung, durch Internationalisierung, durch Bekämpfung des Übels an der Wurzel. So recht weiß die CSU eigentlich nicht, wie sie die Obergrenze durchsetzen will, denn wenn es wirklich um verfassungsrechtliche Regelungen geht, Recht kann man nummerisch nicht zuteilen.
    Heinrich: Also ist der Dissens damit beendet?
    Oberreuter: Der Dissens ist damit nicht beendet, weil Seehofer die Chance nicht wahrgenommen hat, würde ich mal sagen, die Brücken, die Angela Merkel durchaus aufgezeigt hat - ich will nicht behaupten, dass sie draufgetreten ist, aber wenn wir Politik immer nur so behandeln, dass bestimmte Begriffe und bestimmte Symbole betätigt werden müssen, erwähnt werden müssen, und wenn es nicht um die Substanz geht und um die Komplexität der Angelegenheiten, dann wird die politische Kommunikation eitel und die sachliche Problemlösung wird eigentlich ganz unmöglich, wenn man sich nicht auf das verständigen kann aus kommunikationspolitischen Gründen, was wirklich wesentlich ist.
    Seehofer hätte die bayerische Initiative erwähnen sollen
    Heinrich: Ich höre heraus, dass Sie der CSU gerade einen größeren Teil der Schuld in der Debatte geben?
    Oberreuter: Ich hätte mir eigentlich erwartet, dass Seehofer deutlicher macht, wie Angela Merkel sich in der Substanz bewegt hat. Er hätte ja auch sagen können, die ganze Berliner Realisierung der Situation, die Praktikabilität, die mittlerweile eingetreten ist, die Beschleunigung der Verfahren, der Konsens darüber, dass Leistungen eingeschränkt werden sollen, dass die Rückführungen verstärkt und beschleunigt werden sollen, er hätte sagen können, alles das ist ja auf bayerische Initiativen hin entstanden und lasst uns diesen Weg weitergehen. Diese Chance oder diese Möglichkeit hat er nicht in Anspruch genommen und er hat schlicht und einfach auf diesen Begriff der Obergrenze bestanden. Ob das kalkuliert gewesen ist, weil er die Verständnisfähigkeit seiner Basis nicht überstrapazieren wollte, und dass morgen bei der Vorsitzendenwahl dieser Begriff befriedigt werden muss, das entzieht sich meiner Kenntnis. Aber die Tatsache, dass die Kanzlerin gemessen spricht, nicht die Konzession auf der symbolischen Ebene macht und danach zehn Minuten wie ein Schulmädchen danebenstehen muss, wie Seehofer so vor sich hinredet, das war keine gute Inszenierung.
    Heinrich: Horst Seehofer hat von einer herausragenden humanen Visitenkarte Bayerns heute auch gesprochen. Gemessen ging der Parteitag auch los, und zwar mit einer Schweigeminute an die Opfer von Paris. Der bayerische Finanzminister Markus Söder hat kurz nach den Anschlägen gesagt, die Flüchtlingszahlen müssen gesenkt werden. Ist das nicht brandgefährlich, den Terror oder Terroranschläge mit der Flüchtlingsdebatte zu vermengen?
    "Söder ist diszipliniert worden"
    Oberreuter: Das Entscheidende, was in Bayern stattfindet, ist diese Anrufung der Humanität und der Herausforderung, die davon ausgeht, und zugleich der Versuch, praktikabel darauf zu reagieren, die wirklich schwierige Situation beherrschbar zu machen und die Kontrollfähigkeit und die Sicherheitsbedürfnisse von Staat und Gesellschaft zu realisieren. Aber in der Situation auf Twitter, wo man in 200 Zeichen eine politische Aussage tätigen muss, die Flüchtlingsgeschicke mit Paris zu verbinden, das ist eine besondere Tugend, würde ich mal sagen, ironisch geredet, der Unterkomplexität und der Verbindung von zwei Dingen, die ursächlich nichts miteinander zu tun haben. Dafür ist Söder auch diszipliniert worden und er hat heute versucht, auf dem Parteitag mit einer kurzen Rede sich den Kopf wieder aus der Schlinge zu bringen, aber das ist auch so eine Frage. Ich meine, man kann von einem verantwortlichen Finanzminister durchaus verlangen, dass er jederzeit weiß, wann er was sagt, und nicht immer wieder vorprellt in eine bestimmte Richtung, um zu provozieren, und wenn man ihn dann zur Rede stellt, hinterher sagt, ich habe ja alles nicht so gemeint und ich nehme das ein Stück weit wieder zurück. Die Lage ist zu brisant. Die Pariser und die sonstigen terroristischen Herausforderungen, auf die ja auch Merkel hingewiesen hat, viel zu schwerwiegend für unsere Existenz in einer freiheitlichen offenen Gesellschaft, dass man sie nicht verbinden sollte mit anderen Problemen, die zum Teil ja auch ihre Wurzeln in den gleichen Herausforderungen haben, die vom Terrorismus ausgehen.
    Heinrich: Herr Oberreuter, lassen Sie uns gegen Ende des Interviews zu einem anderen Parteitag kommen. Nächste Woche findet der AfD-Parteitag in Hannover statt und Ende September hat die AfD auch in Freilassing Stimmung gemacht an der Grenze zu Österreich. Viele der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, kommen durch diese Kleinstadt. Wie stark lässt sich denn die CSU aus Ihrer Ansicht von der AfD gerade treiben?
    Oberreuter: Ich glaube nicht, dass sie sich treiben lässt. Bei aller Kritik, die man äußern kann und die ich auch geäußert habe, ist die bayerische Position, die Seehofersche Position - ich wiederhole es - komplex. Sie ist nicht von Fremdenfeindlichkeit gekennzeichnet, sondern sie geht von der humanitären Herausforderung aus und sie will zugleich für die Menschen, die hier kommen und da sind, menschenwürdige Umstände schaffen. Sie will integrieren. Die Bayern haben 500 Millionen bereitgestellt für diese Zwecke: Wohnungsbau, Bildungsprobleme, Integrationsproblematik insgesamt. Wenn man es genau nimmt, dann würde ich sagen, die realistischere Position Seehofers und der Bayern, die aber keine menschenverachtende Attitüde in sich birgt, ist eigentlich noch die Position, die die AfD kleiner hält, die Brandmauern errichtet, denn dort kommt uns ja der blanke Populismus zum großen Teil entgegen, xenophobisch eingefärbt, und das ist nicht die bayerische Position.
    Heinrich: Sie haben gerade gesagt, Brandmauer. Franz-Josef Strauß hat mal gesagt, rechts von mir ist nur die Wand. Ist das weiterhin Leitmotiv der CSU?
    Oberreuter: Ja, das gilt weiterhin, und zwar aus zwei Gründen. Der eine ist, dass die CSU durchaus verfassungspolitisch im Zentrum der parlamentarischen rechtsstaatlichen Demokratie steht, wenn auch mit einer konservativen Grundierung, gegen die ja grundsätzlich nichts spricht. Und das Zweite ist, dass es die CSU sich eigentlich aus machtpolitischen Gründen gar nicht leisten kann, dass rechts von ihr speziell in Bayern eine Partei agiert, die 8, 10,12 Prozent erzielt, denn die gehen zu einem ganz erheblichen Umfang auf ihre Kosten und auf Kosten ihrer Mehrheitsfähigkeit.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.