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"Überrascht von Merkels Deutlichkeit"

Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser hat die selbstkritischen Äußerungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Flüchtlingspolitik begrüßt. Seine Partei sei überrascht von der Deutlichkeit, mit der Merkel Fehler eingeräumt habe, sagte er im Deutschlandfunk.

Michael Frieser im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.09.2016
    Frieser steht vor einer grauen Wand mit der Aufschrift "Deutscher Bundestag" mit dem Bundesadler. Er spricht in die Mikrofone mehrerer Fernsehsender.
    Der CSU-Innenpolitiker Michael Frieser vor einer Sitzung des Edathy-Untersuchungsausschusses. (Rainer Jensen/dpa)
    Frieser forderte, nun müsse darüber gesprochen werden, wie viele Menschen die Bundesrepublik aufnehmen könne. Er habe den Eindruck, dass man sich im Grunde einig sei, es aber einen Streit um Worte gebe. Dabei sei nicht wichtig, ob man von einer Obergrenze spreche oder beispielsweise von Kontingenten, betonte Frieser.
    Er fügte hinzu, "in 98 Prozent aller Schritte beim Thema Flüchtlinge und Asyl marschieren CSU und CDU zusammen." Man könne deshalb nicht von einem existenziellen Streit sprechen. Frieser sagte zudem: "Wir haben Merkel sehr viel zu verdanken."

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Am Telefon ist Michael Frieser, CSU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Guten Tag!
    Michael Frieser: Einen wunderschönen guten Tag aus Berlin.
    Heinemann: Ist die CSU seit gestern zufrieden?
    Frieser: Haha! Wir sind natürlich tatsächlich auch überrascht über die Deutlichkeit, mit der Angela Merkel nicht nur Fehler einräumt, sondern auch in die Zukunft weist und auf eine Änderung, Verschärfung, Verdeutlichung der Politik Wert legt. Das ist etwas, wonach dieses Land schon wirklich lang gelechzt hat, auch die CSU.
    Beim Thema Obergrenze sei man sich in der Sache einig
    Heinemann: Eine Zukunft ohne Obergrenze.
    Frieser: Nein, so deutlich hat sie es eben nicht gesagt. Die entscheidende Basis ist doch, dass wir uns als Gesellschaft und deshalb auch als Politik darüber klar werden müssen, wie viele Menschen kann dieses Land eigentlich vertragen, wie viele Menschen können wir aufnehmen. Ob Sie das am Ende tatsächlich Obergrenze nennen, das ist doch eigentlich nicht das Entscheidende. Wer zum Beispiel über Kontingente und deren Verteilung in Europa spricht, spricht doch über eine Obergrenze.
    Insofern habe ich manchmal das Gefühl, auch medial wird da gern ein bisschen ein Streit über Worte geführt, obwohl wir uns in der Grundlage eigentlich einig sind und das heißt, die Frage stellen, wie viele Menschen kann diese Gesellschaft eigentlich verkraften.
    Heinemann: Die CSU besteht nicht mehr auf dem Begriff Obergrenze?
    Frieser: Wir lassen diesen Begriff gerne stehen, weil er ein Symbol geworden ist für eine wirklich notwendige Diskussion in der Gesellschaft. Und insofern: Wie wir uns diesem Thema nähern, kann uns relativ egal sein. Am Ende muss nur stehen: Wir müssen uns darüber klar sein, wie viele Menschen tatsächlich in diesem Land aufgenommen werden können.
    "Nur das Einräumen von Versäumnissen bringt uns nicht weiter"
    Heinemann: Herr Frieser, enden jetzt die täglichen Störfeuer aus München?
    Frieser: Das sind keine Störfeuer, wenn ich das mal deutlich sagen darf, sondern es ist ein Erinnern an die Notwendigkeiten, die wir in der Politik im Augenblick tatsächlich vermissen. Denn nur das Einräumen von bisherigen Versäumnissen bringt uns natürlich tatsächlich am Ende noch nicht besonders weiter, sondern wir müssen Weichen stellen. Die Menschen erwarten von uns als politisch Handelnde tatsächlich Handreichungen in die Zukunft. Das bedeutet: Wir müssen auf unsere Grenzen achten und wir müssen tatsächlich auch weiterhin dauerhaft die Flüchtlingsströme ordnen und begrenzen.
    Heinemann: Hören wir noch mal genau hin. Angela Merkel hat gesagt, die Fehler wurden vor Jahren gemacht mit der Dublin-Regelung, welche die Frontstaaten ja mit der Migration im Stich gelassen hat. Wenn man das zu Ende denkt, heißt das: Deutschland hätte viel früher Flüchtlinge aufnehmen müssen.
    Außengrenzenschutz von Europa müsse wesentlich aufgedoppelt werden
    Frieser: Ich glaube, es ist tatsächlich nicht nur ein deutsches Problem. Sicherlich auch! Auch Deutschland hätte anders vielleicht gerade auf den europäischen Gipfeln und auf den europäischen Tischen deutlich machen müssen, dass wir uns sicherer sein müssen ob der Tatsache, ob die Instrumente wirklich ausreichen.
    Dublin ist so ein gutes Beispiel. Wir verlassen uns heute noch auf die Dublin-Regelung. Wir verlassen uns heute noch darauf, dass Menschen, die mehr oder minder ungeordnet in Südeuropa ankommen, schon irgendwie versorgt werden und verteilt werden können. Das hat mit Ordnung, mit Grenzschutz, mit einer wirklich europäischen Lösung noch nicht sehr viel zu tun. Da haben wir noch sehr viel Arbeit vor uns.
    Heinemann: Die europäische Lösung ist ja in weiter Ferne, nach wie vor. Ihr Parteifreund Markus Söder hat jetzt gesagt, den Worten von gestern müssten Taten folgen. Welche denn?
    Frieser: Es muss zum Beispiel der Außengrenzenschutz von Europa nach wie vor wesentlich aufgedoppelt werden. Es muss klar sein, dass wir auch bereits an den europäischen Grenzen wissen, wer dieses Land betritt. Wer Grenzenlosigkeit oder keine Grenzen innerhalb Europas will, der muss an den Außengrenzen dafür sorgen, dass uns klar ist, wer eigentlich nach Europa kommt. Solange das nicht möglich ist, müssen wir an den Binnengrenzen für Ordnung sorgen. Das erwarten die Menschen von einem funktionierenden Rechtsstaat und das ist etwas, wo wir noch sehr viel drauflegen müssen.
    Heinemann: Dabei ist doch schon Vieles auf den Weg gebracht. Der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann sagte gestern bei uns im Deutschlandfunk:
    O-Ton Karl-Georg Wellmann: "Der Flüchtlingsstrom ist gestoppt. Warum sagt eigentlich niemand, dass in diesem Jahr über 60.000 Flüchtlinge zurückgehen in ihre Heimat. Warum sagt niemand, dass über 100.000 Abschiebungen erfolgen."
    Heinemann: Herr Frieser, warum sagt die CSU das nicht, sondern fordert ständig einen Kurswechsel?
    Frieser: Herr Heinemann, das sagen wir täglich! Wir sagen täglich, dass wir im Grunde seit September des letzten Jahres ein Gesetzespaket nach dem anderen auf den Weg bringen.
    Heinemann: Komisch! Es kommt immer nur das Wort Obergrenze an.
    Frieser: Ja das liegt aber letztendlich jetzt nicht an denen, die tatsächlich für die CSU sprechen, sondern schon auch an Medien, die das gerne und vor allem auch den angeblichen Zwist innerhalb der CDU etwas kolportieren.
    CDU und CSU marschieren in 98 Prozent beim Thema Flüchtlinge zusammen
    Heinemann: Angeblich, haben Sie gesagt? - Angeblich?
    Frieser: Angeblich! Es geht tatsächlich darum, dass wir in 98 Prozent aller Schritte beim Thema Flüchtlinge und Asyl zusammenmarschieren als CDU und CSU. Nur eben bei der Frage Außengrenzenschutz und bei der Frage Kontingentierung oder Begrenzung oder eines Richtwertes und einer Obergrenze, da liegen wir auseinander. Alles andere, was wir seit wirklich jetzt einem Jahr, Woche für Woche, auf den Tisch legen, da marschiert die CDU an der Seite der CSU, und man wirklich nicht sagen, dass das ein existenzieller Streit wäre.
    Heinemann: Aber Herr Seehofer tut ja jeden Tag genau so, als wäre es das.
    Frieser: Aber das ist doch seine Aufgabe innerhalb einer Schwesterpartei.
    Heinemann: Ja was denn jetzt?
    Frieser: Es ist doch seine Aufgabe, innerhalb der Union dafür zu sorgen, dass das, wo wir nach wie vor noch Versäumnisse sehen, aufgeholt wird. Das heißt aber doch nicht, dass man alles andere in Abrede stellt.
    Aber bleiben wir mal ganz kurz bei den Flüchtlingsströmen. Entschuldigung, wenn man das deutlich sagt.
    Im Augenblick ist es so, dass andere nach wie vor uns für die Arbeit tun. Diejenigen, die Grenzen schließen, mal mit unserer Zustimmung, mal ohne unsere Zustimmung, sorgen dafür, dass die Flüchtlingsströme eigentlich geordnet ankommen. Aber das kann doch keine dauerhafte Lösung sein, dass wir uns darauf verlassen, dass beispielsweise in Mazedonien jemand die Grenze blockiert. Das ist mit Sicherheit keine zukunftsfeste Lösung.
    "Ich sehe überhaupt nicht, dass das nach Merkels Abschiedsworten klingt"
    Heinemann: Herr Frieser, schauen wir mal auf die Wirkung des gestrigen Auftritts. Hat Angela Merkel gestern ihren Abschied aus der Politik eingeleitet?
    Frieser: Das sehe ich überhaupt nicht. Im Gegenteil! Ich bin der Auffassung, dass sie willens ist und es auch wirklich ernst meint, nicht nur mit all der Kraft, die sie hat, und all der auch Mannschaft, die im Hintergrund steht, für dieses Ziel zu kämpfen. Jetzt muss es tatsächlich aber auch um Taten gehen. Jetzt muss es um die Vorlage gehen, wie will sie denn dieses Ziel wirklich erreichen mit dem, was wir bereits getan haben, und das, was tatsächlich noch kommt. Ich sehe überhaupt nicht, dass das nach Abschiedsworten klingt.
    "Die eigentliche Gefahr ist, dass ein Linksbündnis in diesem Land droht"
    Heinemann: Glauben Sie, Frau Merkel freut sich auf vier weitere Jahre Gewürge mit der CSU?
    Frieser: Also noch mal: Die entscheidende Frage ist, glaube ich, nicht das Würgen mit der CSU, sondern die entscheidende Frage, die wir jetzt auch ganz massiv seit Dienstag beantworten müssen, ist:
    Alle Welt schreit im Augenblick vor der Gefahr einer AfD und eines Rechtsruckes dieser Gesellschaft, und die eigentliche Gefahr ist doch, dass gegebenenfalls wirklich ein Linksbündnis in diesem Land droht. Dafür braucht es die Union, und zwar stark und gemeinsam.
    "Wir haben auch Angela Merkel sehr, sehr viel zu verdanken"
    Heinemann: Und diese Union steht gerade mal bei 30 Prozent im Augenblick. Wie wollen Sie denn innerhalb eines Jahres jetzt noch zulegen?
    Frieser: Die Dynamik in der Politik ist ja nun etwas, was wir seit Jahrzehnten beobachten können. Wer richtige Politik macht, wer die Menschen dabei mitnimmt und es tatsächlich auch richtig verdeutlicht und erklärt und Lösungen für die Zukunft anbietet, dem werden die Menschen auch zunehmend wieder Vertrauen schenken. Dafür ist noch wirklich genug Zeit bis zur Bundestagswahl.
    Heinemann: Welcher Kanzler hätte je eine erfolgreiche vierte Amtszeit hinbekommen?
    Frieser: Also das heißt ja nicht, dass unser Grundgesetz das nicht tatsächlich auch ein erstes Mal hergibt. Ich hoffe das sehr, denn ich glaube, wir haben auch Angela Merkel sehr, sehr viel zu verdanken, und insofern fände ich es wirklich wichtig, dass wir uns in diesen entscheidenden Punkten weiter aufeinander zubewegen und dann endlich auch den Menschen deutlich machen können, was wir alles schon erreicht haben. Das gibt genug Material für eine wirklich erfolgreiche vierte Amtszeit.
    Merkel müsse für einen Schulterschluss in der Union sorgen
    Heinemann: Angela Merkel hat Helmut Kohls Götterdämmerung erlebt, selber auch befördert. Muss sich die Union von ihr lossagen, oder wird die Kanzlerin der Partei zuvorkommen?
    Frieser: Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht, sondern wenn sie in der Lage ist, ja auch die vielen Stimmen innerhalb der CDU - es handelt sich ja nicht um einen Zwist zwischen CSU und CDU, wenn Sie den unbedingt so formulieren wollen, sondern es handelt sich auch darum, dass große Teile der CDU genau dasselbe ja auch schon von ihrer Vorsitzenden gefordert haben.
    Insofern muss sie ihre eigene Partei mitnehmen, für einen tatsächlichen Lückenschluss und Schulterschluss sorgen, und dann werden wir auch als Union eine gemeinsame Sprachregelung finden.
    Heinemann: Michael Frieser, CSU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Frieser: Danke Ihnen! Auf Wiederhören aus Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.