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Cyborg-Messe
"Die Natur zu akzeptieren ist nichts Positives"

Die Vision, dass künstliche innere Bauteile den Menschen perfektionieren, ist aus manchen Science-Fiction-Filmen bekannt. Doch mittlerweile gibt es jene Mischwesen auch in echt - zumindest ein bisschen. Auf der weltweit ersten Cyborg-Messe in Düsseldorf konnte sich jedermann einen Chip unter die Haut implantieren lassen.

Von Dennis Kastrup | 09.11.2015
    Der US-Amerikaner Tim Cannon trägt einen Magneten im Finger. Er bezeichnet sich als Cyborg.
    Der US-Amerikaner Tim Cannon trägt einen Magneten im Finger. "Die Natur zu akzeptieren ist meiner Meinung nach nichts Positives", sagt er (picture alliance / dpa / Ole Spata)
    Um es vorweg zu nehmen: Nein, auf einer Cyborg-Messe laufen keine Cyborgs herum, die jeden mit ihren elektronischen Augen scannen. Wie bei jeder anderen Messe auch gibt es Stände, an denen Unternehmen ihre neuesten Produkte präsentierten. In Vorträgen wird diskutiert und an den Abenden lernt man sich bei Getränken kennen. Etwas ist aber doch anders: Die Teilnehmer glauben daran, gerade Geschichte zu schreiben.
    "Wenn die Menschen später auf unser Hier und Jetzt zurückschauen, dann werden sie erkennen: Damit fing alles an. So wurde daraus mehr als nur Fantasie: Es wurde Realität!"
    Tim Cannon ist so etwas wie der Superstar der Cyborg-Szene. Der Software-Entwickler startete vor ein paar Jahren seine eigene Firma. Grindhouse Wetware ist darauf spezialisiert, Implantate zu entwickeln, die laut eigenen Angaben den Körper verbessern sollen. Bis seine Vision von der Cyborg-Welt aber Wirklichkeit wird, wird es wohl noch ein wenig dauern. Die Szene ist klein. Nur wenige Besucher verirrten sich in das NRW-Forum. Die meisten davon verließen die Messe aber fasziniert.
    "Da wird so eine Grenze überschritten, dass die Technik nicht mehr nur so eine Art Gerät ist, mit dem man hantiert, sondern die dann Teil des Körpers ist auch und natürlich auch Teil der Identität. Das ist einfach interessant."
    "Wenn man den Körper aufwerten kann, dann muss man das selbstverständlich machen"
    Diese Grenze hieß: das Live-Implantieren. An zwei Ständen boten ausgebildete Piercer den Besuchern an, entweder einen Chip zwischen Daumen und Zeigefinger unter die Haut oder einen winzigen Stab-Magneten direkt unter die Fingerkuppe zu schieben. Die Prozedur mit dem Magneten dauerte ungefähr 20 Minuten.
    "Es fühlt sich an wie Druck von einigen Seiten, aber von dem Rumpulen selber merkt man gar nichts. Das heißt, es sieht wirklich schrecklich aus. Teilweise habe ich auch weggeguckt, weil einerseits realisiere ich, das ist mein Finger, andererseits spüre ich davon gar nichts, außer dass mein Finger ein bisschen gedrückt wird von oben, unten, links, rechts."
    Magnetische Felder lösen dann im Implantat Vibrationen aus. Die Cyborgs, also Träger dieser Implantate, sprechen in dem Zusammenhang oft von einem sechsten Sinn. Anders sieht es bei dem sogenannten RFID-Chip aus. Einmal installiert, transportiert er Daten.
    Aaron Kramer: "Ich benutze den bei mir im Hotel als Generalschlüssel für alles. Ich komme damit in jede Tür rein. Ich benutze das als meine Visitenkarte, wenn mich jemand fragt."
    Das klingt erst einmal alles nur nach einer großen Spielerei für Enthusiasten. Doch es steckt mehr dahinter. Biohacking heißt der Fachbegriff dafür.
    "Beim Biohacking geht es darum, mit dem menschlichen Körper und der Technologie zu experimentieren. Wie können wir den biologischen Systemen, inklusive dem menschlichen Körper, neue Fähigkeiten geben? Das ist ein sehr spannendes Feld."
    Hannes Sjöblad ist Gründer der schwedischen Biohacker Association. Er ist fest davon überzeugt, dass wir in der Zukunft mithilfe von technischen Erweiterungen unsere Leben verbessern können.
    "Die menschliche Gesundheit soll verbessert werden. Wir haben zum Beispiel Implantate, die die Aktivitäten des Körpers aufzeichnen. Das wird den Menschen helfen, gesund zu bleiben und erst gar nicht krank zu werden. Was ich aber fast noch viel spannender finde, ist die Erweiterung der menschlichen Sinne."
    24 Stunden Datenaufzeichnungen, um zu wissen, wann mein Körper beispielsweise zu hohen Blutdruck oder zu wenig Vitamin C hat. Diabetiker könnten auf das tägliche Blutzuckermessen verzichten, wenn Systeme im Körper die Überwachung übernehmen. Schon jetzt erledigen Smartphones ähnliche Arbeiten. Warum also nicht auf das lästige Herumtragen der Geräte verzichten? In diesem Zusammenhang stellt sich oft die Frage, wie sehr wir dann überhaupt noch Mensch sind. Jowan Österlund kennt diesen Vorwurf. Der Schwede implantiert Datenchips und trägt selber zwei unter der Haut.
    "In fünf oder zehn Jahren werden wir auf jeden Fall über Ethik diskutieren. Doch wie kann etwas schlecht sein, das versucht, etwas zu verbessern? Es ist doch eher ethisch bedenklich es nicht verbessern zu wollen. Wenn man den Körper aufwerten kann, dann muss man das selbstverständlich machen."
    In diesem Punkt waren sich alle Teilnehmer der Vorträge und Panels vor Ort einig. Sie glauben fest daran, der Welt etwas Gutes zu tun. Cyborgs sehen sich als Pioniere. Auch Tim Cannon hat sich auf der Messe wieder einmal in neue Bereiche gewagt und ein neues Implantat setzen lassen: einen Chip, der unter der Haut rot leuchtet, wenn man einen Magneten daran hält. Er weiß, dass er damit und mit seinen Aussagen provoziert...
    "Warum sollte die Natur das Gute sein? Die Natur hat den Tod und Verfall. Die Natur zu akzeptieren ist meiner Meinung nach nichts Positives. Die Natur haben wir noch nie akzeptiert. Wir sehen doch, was wir noch tun können und was wir bereits können, um uns zu helfen. Je mehr wir in diese Richtung gehen, desto besser wird es für die Menschen."