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"Da geht es jetzt richtig voran"

Die Europäische Kommission stellt heute in Brüssel ein Gesetzespaket zum Klimaschutz vor. Mit den Maßnahmen soll das Ziel umgesetzt werden, den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Jahr 2020 um mindestens ein Fünftel zu senken. Nach Ansicht des Grünen-Politikers Claude Turmes hätte die Kommission auf 30 Prozent Einsparungen dringen sollen. Die Richtlinien zu den erneuerbaren Energien finden dagegen die Zustimmung des Europaparlamentariers.

Moderation: Christiane Kaess | 23.01.2008
    Christiane Kaess Und am Telefon ist jetzt Claude Turmes, er ist der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament und für dieses Thema Berichterstatter des Europäischen Parlaments. Guten Morgen.

    Claude Turmes: Guten Morgen.

    Kaess: Herr Turmes, sind die heute vorgestellten Maßnahmen effektiv und gerecht, um die Klimaziele zu erreichen?

    Turmes: Die Kommission hätte unserer Meinung nach eher auf 30 Prozent Einsparungen gehen müssen. Das ist auch das, was die Wissenschaft von uns abverlangt, was die Europäer auch in Bali versprochen haben. Also da sind wir weniger zufrieden. Was recht gut ist, ist die jetzige Form der Richtlinien zu den erneuerbaren Energien. Da geht es jetzt richtig voran und das ist natürlich wichtig zur Schaffung von Arbeitsplätzen und unsere Energieabhängigkeit gerade von Russland, oder die Ölabhängigkeit zu reduzieren. Und ich denke, dass da gerade Deutschland auch gut aufgestellt ist, um auf diesem Zukunftsmarkt sich zu beteiligen.

    Kaess: Sie haben Kritik an den Vorschlägen. Kommt das daher, dass man zuviel Rücksicht auf Sonderwünsche genommen hat?

    Turmes: Ja, also ich denke, es ist immer natürlich auch sehr viel Lobbying im Spiel. Es geht noch um den Streitpunkt, ob die Stromkonzerne ihre Verschmutzungszertifikate voll kaufen müssen. Als Grüne sind wir der Meinung, dass das so sein muss, weil sonst nämlich die Gelder für diese Verschmutzungsrechte in die Taschen der Aktionäre der Stromkonzerne gehen, anstatt in die Kasse der Regierungen. Es ist so vorgesehen, dass diese Verschmutzungsrechte versteigert werden. Die Einnahmen gehen in die Kassen der Regierung und die Regierung kann damit zum Beispiel erneuerbare Energien fördern, aber auch die Einsparung bei der Renovierung von Gebäuden, oder auch eben sozial, die Schwächsten entlasten bei Stromrechnungen oder anderem. Ich denke, dass ist die zentrale Frage auch.

    Kaess: Mit welchen Konflikten zwischen den Ländern rechnen Sie denn, wenn heute endgültig bekannt wird, wie die Klimaziele erreicht werden sollen?

    Turmes: Also ich denke, dass in der Hinsicht die Europäische Kommission gute Arbeit gemacht. Sie hat versucht, quasi eine Austarierung zu machen zwischen den reicheren westeuropäischen Ländern und den osteuropäischen Ländern. Das, denke ich, hat sie recht gut hinbekommen. Es ist mehr eben der Kampf, ob einzelne Industriezweige, ob die quasi rauskommen aus ihrer Verantwortung, was natürlich dann automatisch heißt, dass andere, und vielleicht im Endeffekt sogar dann der Bürger, der einzelne Bürger, mehr machen müssten. Ich denke, dass da eben mehr noch gefeilt werden muss an dem ganzen Projekt.

    Kaess: Ja, da sprechen Sie schon einige Knackpunkte an. Schauen wir mal genauer drauf auf einen. Nämlich die deutsche Autoindustrie, die vor allem große Autos herstellt, will nicht an die selben strikten CO2-Reduktionen gebunden werden, wie die italienischen oder französischen Produzenten, die ja vor allem mit Kleinwagen auf den Markt kommen. Sollte darauf Rücksicht genommen werden?

    Turmes: Also es geht natürlich bei solcher Politik auch immer um Arbeitsplätze. Aber ich denke, es geht ja auch um Zukunft. Ich denke, man sollte in Deutschland bei dem Automobilbau nicht an die kleine Stückzahl von Porsche denken, sondern an die viel größere Stückzahl zum Beispiel von VW. Und VW mit BlueMotion ist gut aufgestellt. Man muss einfach ernsthaft auch den Hintergrund haben von Indien und China. Da sind Millionen neue Mittelklasse, die wollen auch alle Autos fahren. Wo ist denn das Öl für Riesenkarossen, die 18 oder mehr Liter verbrauchen? Also ich denke in der Hinsicht muss die Politik auch weiterdenken als vielleicht manche Vorstände, die nur noch vier oder sechs Monate im Voraus sehen, wie Sie denn jetzt ihre Aktionäre befriedigen.

    Kaess: Auf der anderen Seite, das haben Sie selber schon erklärt, wird ja auch bei den ärmeren Ländern Rücksicht in bestimmten Bereichen genommen, in denen sie weniger Beitragen müssen.

    Turmes: Ja, aber Rumänien und Bulgarien, um nur das Beispiel zu nehmen, haben heute ein Auto pro drei oder vier Einwohner, während wir in Westeuropa bei einem Auto für zwei Einwohner sind. Und ich denke, wir müssen diesen Ländern auch einfach zugestehen, dass die hinterherhinken in der wirtschaftlichen Entwicklung und von daher ein bisschen mehr Luft brauchen, obwohl sie jetzt bei den Zielen der Europäischen Kommission stärker herangenommen werden als zum Beispiel Portugal oder Spanien, eben was die in den letzten Jahren zulegen konnten. Also ich denke, Klimaschutz muss man ernst nehmen, und da kann man sich auch nicht aus der Verantwortung reden. Da muss jeder seinen Beitrag leisten.

    Kaess: In Bezug auf die Autoindustrie lautet der Vorwurf, die Vorschläge richteten sich gegen die deutsche Weltmarktführung im Premiumsegment der Autoindustrie, also bei den großen Autos.

    Turmes: Also ich denke, dass die Premiumautos der Zukunft die Hybrid-Autos sein werden. Das müssen Autos sein, die quasi alle Technik nutzen, die zur Verfügung ist. Und ich denke, dass eher die Gefahr ist, dass die deutschen Premiumautos durch die japanischen wie Lexus irgendwann konkurrenziert werden, weil sie nicht genug auf Umweltschutz und eben Öleinsparung setzen. Und von daher sollte man das positiv sehen und sehen, dass wir durch politische Rahmensetzungen der Industrie einen Zukunftsmarkt schaffen, und dadurch natürlich auch die Technologie Leader schafft, also die Führung Europas in diesen wichtigen Zukunftsmärkten: Effiziente Autos, effiziente Häuser, erneuerbare Energien, effiziente Produktionsprozesse. Die Stahlstandorte der Zukunft werden die Standorte sein, wo man am wenigsten Energie braucht, um eine Tonne Stahl zu erzeugen.

    Kaess: Die Hälfte der Einsparungen bei den Treibhausgasen soll über den Emissionshandel erbracht werden, und zwar durch weniger und teurere Zertifikate. Sie sprechen die Stahlindustrie an. Die beschwert sich, weil sie besonders zu den energiehungrigen Branchen gehört und verlangt Ausnahmen. Sind das berechtigte Forderungen?

    Turmes: Als Grüne sind wir der Meinung, dass man die europäische Stahlindustrie, oder alle Energieintensiven gegen Umweltdumping aus Brasilien, China oder USA schützen muss. Aber man muss auch sehen, wir haben gerade erst im Dezember eine relativ erfolgreiche internationale Klimaschutzkonferenz in Bali zum Schluss gebracht, wo jetzt quasi ein Mandat ist, dass gerade eben auch China, Indien mitmachen beim internationalen Klimaschutz. Das wissen wir endgültig erst im Dezember 2009. Bis dahin wird verhandelt auf internationaler Ebene. Und ich denke, man kann jetzt nicht heute schon der europäischen Stahlindustrie Ausnahmen geben, ohne zu wissen, ob China und Indien bei dem internationalen Prozess mitmachen.

    Kaess: Aber wenn China und Indien nicht mitmachen, dann sind verschiedene europäische Energiebranchen nicht mehr konkurrenzfähig.

    Turmes: Wenn es denn so sein sollte, dass China und Indien nicht mitmachen, wo ich heute nicht davon ausgehen will, dann sind wir als Grüne der Meinung, dass man die europäische Industrie schützen muss, dadurch, dass man einen Klimazoll an der Außengrenze der Europäischen Union einführt. Das heißt, ein Stahlwerk aus China, was dann ineffizienter ist als ein europäisches, muss einen Strafzoll zahlen, und zwar in der Höhe von dem Wert der Zertifikate im Emissionshandel. Und damit schaffen wir ein System, was transparent genug ist, um auch vor der Welthandelsorganisation, die das natürlich auch nachher prüfen muss, zu bestehen.

    Kaess: Herr Turmes, besonders stark belastet wird auch die Energiebranche. Da ist die Sorge der Verbraucher, dass die Preise für knappere Emissionsrechte direkt an sie durchgereicht werden.

    Turmes: Die Preise an die Endverbraucher, die werden heute schon durchgereicht. Das heißt, die Stromkonzerne, die verdienen europaweit dadurch, dass sie diese Zertifikate gratis bekommen, aber an die Kunden weitergeben: 13 Milliarden Euro pro Jahr. Und wenn wir das nicht versteigern, dann lassen wir diese 13 Milliarden Euro in den Taschen von einigen wenigen großen Energiekonzernen. Und auf der anderen Seite könnten wir dieses Geld nutzen, um eben den Bürgern zu helfen, ihre Häuser zu isolieren, die Solarkollektoren schneller auf die Dächer zu bringen. Das heißt, es geht darum, ob diese Einnahmen in die Hand der Regierung kommen zur Solidarität oder zur Innovation, oder ob die in die Taschen fließen der Aktionäre. Und es ist manchmal schon dreist, wie diese Stromkonzerne sich in die Politik einmischen. Wir haben das gerade in Hessen gesehen mit Herrn Clement, und in Brüssel ist das oft auch nicht anders.

    Kaess: Vielen Dank. Claude Turmes war das, er ist der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament.