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"Da habe ich das Doppelte einkaufen können"

Dieter Nolte, betroffener Hartz-IV-Empfänger und Gründer des Vereins für Familie und Soziale Sicherheit, Contra e.V., hält das Hartz-IV-Gesetz für ein Verbrechen an den Menschen. Mit der alten Sozialhilfe habe er noch das doppelte an Lebensmitteln einkaufen können. Daher forderte Nolte den damals geltenden Warenkorb zu den heutigen Euro-Preisen als Grundlage für die Berechnung des Arbeitslosengelds II.

Moderation: Jürgen Liminski | 17.08.2007
    Jürgen Liminski: In diesen Tagen ist viel über Hartz IV diskutiert worden, über die explodierten Kosten, mithin das Scheitern dieser Reform aus der rot-grünen Ära, über Alternativen, über den Namensgeber. Das waren politische Diskussionen und Bilanzen. Am Rand des Diskurses standen die Menschen, die auch sonst am Rand der Gesellschaft stehen, die Hartz-IV-Empfänger. Wie kann man mit 347 Euro im Monat leben? Was kann man sich davon leisten? Das wollen wir jetzt erfahren im Gespräch mit Dieter Nolte, Hartz-IV-Mensch aus Bergedorf bei Hamburg. Guten Morgen Herr Nolte.

    Dieter Nolte: Guten Morgen Herr Liminski!

    Liminski: Herr Nolte, wenn Sie durch den Supermarkt gehen, wohin fällt Ihr Blick?

    Nolte: Als erstes auf die Preise.

    Liminski: Und auf welche Preise? Nicht auf die Ware selbst?

    Nolte: Ja, auf die Ware selbst und die Preise. Wir können beides nehmen, denn wenn ich durchgehe, dann überrascht mich nicht, wenn von gestern auf heute schon wieder irgendwo 20, 30 Cent drauf sind.

    Liminski: Was vergleichen Sie denn?

    Nolte: Zum Beispiel kann ich Schwarzwälder Schinken nehmen. In früheren Zeiten habe ich den gerne gegessen und auch gekauft. Der kostete 1,79 DM und wenn ich ihn jetzt sehe, kostet er 1,89 Euro.

    Liminski: Kaufen Sie denn Schwarzwälder Schinken gelegentlich auch?

    Nolte: Kann ich mir nicht leisten.

    Liminski: Warum nicht?

    Nolte: Der kostet zu viel Geld.

    Liminski: Woran machen Sie denn fest, dass das Leben teurer wird?

    Nolte: Woran mache ich das fest? Ich nehme erst mal die Preise, zweitens Strom. Früher hatte ich 40 DM Strom; heute bezahle ich 50 Euro. Telefon, aber auch alles was darum herum ist. Alles ist teurer. Bei der S-Bahn-Fahrt sind doppelte Preise. Es ist alles teurer geworden, alles! Es gibt nichts mehr, wo man sagen kann, es ist preiswert, sogar das Salz. Früher kostete das 19 Pfennig. Heute bezahlen sie 15 Cent.

    Liminski: Und wann gab es den größten Preissprung? Können Sie das irgendwie noch mal ermessen?

    Nolte: Der größten Preissprung ist passiert von 2001 auf 2002. Da war noch die D-Mark, aber da hat man schon umgeschaltet auf den Euro, so dass man, wo der Euro da war, nur noch das Zeichen umzuändern brauchte und dann hat man die gleichen Preise gehabt, aber nur halt in Euro.

    Liminski: Haben Sie dem Amt schon mal vorgerechnet, dass der Euro, wie Sie wahrscheinlich vermuten, ein Teuro ist?

    Nolte: Ja, das habe ich ganz schwer gemacht. Ich habe ja einen Verein gegründet, Contra e.V.. Ich habe ja schon vor dem Euro, im Übergangsjahr, die erste Klage eingereicht, dass das Existenzminimum nicht mehr ausreicht. Das habe ich denen genau vorgerechnet anhand der Preise, also eine richtige Studie kann man sagen. Von 1998 an haben wir die Preislisten von allen Discountern da.

    Liminski: Und wie war die Reaktion des Amtes?

    Nolte: Die waren einfach steif und stur. Zwei Prozesse sind bis jetzt gleich an die Seite geschoben worden. Der dritte Prozess läuft endlich weiter. Wir haben wirklich einen mutigen Richter gefunden, der keinen Beschluss gemacht hat, sondern der wirklich ein Urteil gesprochen hat. Jetzt haben wir die Chance, weiter zum Oberverwaltungsgericht zu gehen. Also nicht Sozialgericht, sondern Oberverwaltungsgericht.

    Liminski: Sie sind im Rentenalter, Herr Nolte. Da stellen sich auch mal Gesundheitsprobleme ein. Wer übernimmt dann die Gesundheitskosten?

    Nolte: Normalerweise bin ich ja in der Krankenkasse, in der AOK. Die müsste übernehmen, aber die haben eben auch ihre Gesundheitsreform gemacht. Ich bin Diabetiker. Ich habe ein Diabetes-Fuß-Syndrom. Das heißt ich habe mal eine kleine Stelle am Zeh gehabt. Da sollte ich sechs Wochen lang Taxi fahren, jeden Tag zum Verbinden. Das hat die Krankenkasse aber nicht bezahlt und mir nach sieben Wochen erst mal einen Bescheid geschickt. Da war der Zeh sozusagen schon ab. Das Sozialamt hat es auch nicht übernommen. Das gleiche habe ich jetzt mit einem Sprunggelenkbruch gehabt. Ich musste zum Verbinden mit einem offenen Gips. Der Arzt hat alles vorschriftsmäßig aufgeschrieben, Taxifahrt von zu Hause zur Praxis, zum nachröntgen, zum Verbinden und so weiter. Die Kosten habe ich gehabt. Ich habe sie bezahlt, aber ich kriege nichts ersetzt.

    Liminski: Sind Sie damit nicht zum Amt gegangen?

    Nolte: Ja. Ich bin zum Amt gegangen.

    Liminski: Was hat das Amt gesagt?

    Nolte: Das hat sagt "das übernehmen wir nicht". Fertig! Das soll die Krankenkasse machen und die Krankenkasse bezahlt es nicht und das Amt auch nicht. Also muss ich von den 345 Euro das alles bezahlen. Ich habe im laufenden Jahr jetzt zusammengerechnet. Ich habe 1.200 Euro für Krankensachen ausgegeben. Dazu gehören Fußsalben und was alles so herum ist, Tabletten, alles was dabei ist.

    Liminski: Und das haben Sie von den 347 Euro genommen?

    Nolte: Ja. Das musste ich davon alles nehmen. Deswegen war ich ja auch jetzt pleite.

    Liminski: Und das Amt? Hat das nicht irgendwie wenigstens einen Teil davon getragen?

    Nolte: Nein, gar nichts. Die haben mir 128 Euro für die zweite Hälfte im Monat fürs Essen gegeben. Diskriminiert wird man dadurch, dass man dort unterschreiben muss. Wenn das öfters passiert, dann kann man nicht hauswirtschaften. Dann wird einem das Geld eingeteilt. Auf täglich kann das sogar gehen, was sehr schlimm ist. Übernehmen tun sie keinen Teil. Die haben mir die 128 Euro als Darlehen gegeben.

    Liminski: Haben die Ihnen sonst keine Tipps gegeben?

    Nolte: Nein, Tipps keine. Im Gegenteil. Es geht wirklich auch an die Substanz, wenn man da schon hin muss und wie ein Bettler stehen muss.

    Liminski: Und was stand in dem Bescheid sonst drin?

    Nolte: In dem Bescheid stand drin, dass sie mich verweisen an eine Suppenküche. Ich sollte zur Suppenküche gehen und man hat mir auch die Adressen dabei gegeben. Das muss man sich vorstellen: In einem richtigen amtlichen Bescheid steht das drin. Das geht an die Würde.

    Liminski: Wann haben Sie denn zum letzten Mal eine Anschaffung getätigt, die mehr als 50 Euro kostete?

    Nolte: Das ist sehr, sehr lange her, denn ich musste ja alleine schon 40 Euro zuzahlen bei orthopädischen Schuhen, wo das Sozialamt auch nichts zugezahlt hat.

    Liminski: Waren Sie denn schon mal in einer dieser Suppenküchen oder Armenküchen oder in einer Kleiderkammer?

    Nolte: Nein, das kann ich nicht.

    Liminski: Hartz IV gibt es seit fünf Jahren, Herr Nolte. Davor bekamen Sie Sozialhilfe. War das mehr oder weniger als jetzt? Konnten Sie damals mehr einkaufen?

    Nolte: Ich möchte die Sozialhilfe wäre wieder da! Da habe ich das Doppelte einkaufen können was ich heute hole. Deswegen ist auch meine Forderung, die wirkliche Forderung: ich verlange den Warenkorb von früher zu den heutigen Preisen.

    Liminski: Gestatten Sie noch die Frage: Sehen Sie einen Sinn, einen gesellschaftlichen Sinn in Ihrem Hartz-IV-Dasein?

    Nolte: Die Würde lasse ich mir nicht nehmen. Im wirtschaftlichen Sinne sehe ich wenig. Ich habe nur Angst, dass ich überhaupt das Wort Hartz noch in den Mund nehme. Und was man jetzt mit dem Gesetz macht ist ein Verbrechen an den Menschen.

    Liminski: Die Würde der Hartz-IV-Menschen. Das war ein Gespräch mit dem Hartz-IV-Empfänger Dieter Nolte. Besten Dank für das Gespräch, Herr Nolte.

    Nolte: Ich danke auch.