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"Da waren wir nicht schnell genug"

Selbstkritische Töne von der FDP: Deren Generalsekretär Christian Lindner räumt mit Blick auf die lange geforderten Steuersenkungen ein, man habe "zu spät gesehen, dass sich auch die Bedürfnisse und auch die Wünsche der Menschen verändert haben".

Christian Lindner im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 29.06.2010
    Tobias Armbrüster: Wohin steuert die FDP? Oder besser: wohin soll sie steuern? – Darüber hat die Partei zwei Tage lang in Berlin beraten. Gestern Mittag wurden die Ergebnisse dieser Klausur bekannt gegeben. Sie lassen sich ganz kurz so zusammenfassen: Die FDP will nicht länger als reine Steuersenkungspartei wahrgenommen werden, sie will auch wieder in anderen Politikfeldern eine Marke setzen und sie will die Kommunikation mit den Koalitionspartnern verbessern, es soll also weniger Krach geben. – Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Generalsekretär der Liberalen. Schönen guten Morgen, Christian Lindner.

    Christian Lindner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Lindner, rücken die Steuersenkungen, das große Wahlversprechen der FDP, jetzt erst mal in die zweite Reihe?

    Lindner: In der Tat haben wir andere Prioritäten, weil sich auch unser Umfeld verändert hat. Unverändert ist es richtig, dass wir die Mittelschicht entlasten wollen, und das leistet auch seinen Beitrag zu Wachstum und Beschäftigung, aber jetzt steht erst einmal die Stabilität unserer Währung im Zentrum, jetzt müssen erst mal die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden. Da setzen wir unsere Priorität und dann wird es möglicherweise in dieser Legislaturperiode auch noch eine Spardividende geben, also eine Steuerentlastung für die Mittelschicht.

    Armbrüster: War es dann falsch, war es ein Fehler der FDP, monatelang vor allem über Steuersenkungen zu reden?

    Lindner: Es war nicht souverän, wie wir mit diesem Ziel umgegangen sind. Wir haben zu spät gesehen, dass sich auch die Bedürfnisse und auch die Wünsche der Menschen verändert haben, vor dem Hintergrund der Euro-Krise. Wir haben uns sehr gebunden gefühlt an unsere Wahlzusagen; ich finde, das ist in der Demokratie auch ein Wert. Aber es gehört eben auch dazu, wenn sich das Umfeld ändert, dass eine Regierungspartei dann ihre Prioritäten überdenkt. Da waren wir nicht schnell genug, da haben wir nicht sensibel genug auch die Sorgen der Menschen betrachtet und das wirtschaftlich Notwendige gesehen.

    Armbrüster: Wer ist denn verantwortlich für diese Fehler, dafür, dass Sie nicht schnell genug gehandelt haben?

    Lindner: Das ist ein Fehler, der in einer Führung, in einer Partei insgesamt ja passiert. Das ist nicht ein einziger – darauf wollen Sie ja hinaus -, der dann eine solche Maßnahme, ein solches Ziel alleine verteidigt, sondern das waren wir gemeinsam, und ich will unterstreichen: Unverändert ist es ja unser Ziel, das Steuersystem zu vereinfachen. Unverändert glauben wir, wenn man den Menschen mehr von ihrem erwirtschafteten Kapital lässt, dass das auch dann für Wachstum und Beschäftigung insgesamt gut ist. Aber wie gesagt: Aufgrund der Währungskrise, aufgrund der starken Strapazierung der öffentlichen Haushalte müssen wir einen Schritt davor machen: Das ist, die Konsolidierung der Haushalte beschleunigen.

    Armbrüster: Nun hören wir heute Morgen, dass auch die Umsatzsteuerermäßigungen auf den Prüfstand sollen bei der FDP. Gehören dazu auch die Ermäßigungen für Hoteliers, die erst Anfang des Jahres beschlossen wurden?

    Lindner: Wir machen da keine Ausnahmen. Wir wollen das System der Umsatzsteuer insgesamt auf den Prüfstand stellen. Das muss einfacher werden, widerspruchsfrei werden. Das muss von klaren Regeln abgeleitet sein. Hier haben wir Anfang des Jahres im Wachstumsbeschleunigungsgesetz einen Mehrwertsteuersatz vorab gesenkt auf den reduzierten Satz, dafür gibt es auch Gründe, das ist alles ja diskutiert worden. Aber trotzdem hat da unser ordnungspolitischer Kompass nicht richtig funktioniert.

    Man hätte aus meiner Sicht, aus meiner heutigen Sicht diesen einzelnen Umsatzsteuersatz nicht vorab senken sollen, sondern wir hätten da auf die große Reform warten müssen. Das war nicht allein nur der Wunsch der FDP, sondern ganz im Gegenteil hat ja die CSU auch regionalpolitische Interessen aufgrund des Tourismus - alles nachvollziehbare Argumente. Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass hier eine Art Sonderfall, eine Art Sonderregelung geschaffen wird; das müssen wir jetzt dadurch korrigieren, dass der Bundesfinanzminister rasch die ohnehin verabredete Kommission zur Durchsicht der Umsatzsteuersätze einsetzt.

    Armbrüster: Könnten wir dann erleben, Herr Lindner, dass innerhalb einer Legislaturperiode ein Mehrwertsteuersatz erst gesenkt und dann wieder erhöht wird?

    Lindner: Ich hatte Ihnen ja gesagt: Wir wollen das System der Mehrwertsteuer insgesamt durchsehen und da ist kein Bereich ausgenommen. Ich will mal vorab sagen, dass selbstverständlich Grundnahrungsmittel, Grundbedürfnisse schon ausgenommen sind. Das muss nach wie vor ein reduzierter Satz bleiben. Aber darüber hinaus eben gibt es keine Ausnahmen und der Bundesfinanzminister muss dann einen Vorschlag unterbreiten, zusammen mit Experten, wie das System klarer und ordnungspolitisch sauber aufgestellt wird.

    Armbrüster: Ich kann mir vorstellen, dass viele, wenn sie das jetzt hören, von den Fehlern, die Sie da ja auch sehr offen zugeben, sich fragen, ob Guido Westerwelle, Ihr Parteichef, die Funktion Parteivorsitz und Außenminister gemeinsam überhaupt noch ausfüllen kann. Würde man das in der FDP als Schwäche auslegen, wenn der Parteichef irgendwann sagen würde, ich kann nicht mehr alles machen, ich will mich nur noch auf die Außenpolitik konzentrieren?

    Lindner: Das ist eine Spekulation. Wir wollen nicht die Ämtertrennung. Es gab in unserer Klausurtagung keine Stimmen, die das gefordert haben, und auch aus guten Gründen. Wir würden das Gewicht der FDP und das Gewicht von Guido Westerwelle im Kabinett und damit unsere Durchsetzungsfähigkeit schwächen. Beim CSU-Vorsitzenden und der CDU-Vorsitzenden wird eine solche Diskussion nicht geführt; ich halte sie deshalb auch in der Sache bei der FDP nicht für angebracht. Guido Westerwelle hat die FDP über zehn Jahre, ungefähr zehn Jahre zum besten Bundestagswahlergebnis geführt. Danach sind Fehler passiert, das ist auch, wenn man menschliche Maßstäbe anlegt, durchaus normal, dass es auch nach einer Phase Regierungseintritt Fehler gibt, aber wir wollen uns jetzt unter seiner Führung auch wieder in die Offensive rausarbeiten und wollen auch andere Themen neben der Wirtschaftspolitik, der Finanzpolitik eben auch die Bürgerrechte und Bildungspolitik, aufstiegsorientierter Sozialstaat zeigen, und das wird gelingen.

    Armbrüster: Sie haben da eine ganze Latte von Themen angesprochen, in denen Sie sich profilieren wollen. Andere Parteien brauchen für so etwas Jahre oder Jahrzehnte. Wie viel Zeit gibt sich denn die FDP?

    Lindner: Wir haben ja nicht den Bedarf, jetzt völlig neu zu denken. Wir haben zu den Themen, die ich genannt habe, ja überall Konzepte und auch über Jahre gearbeitet, ganze Bundesparteitage beraten über unsere Konzepte. Wir haben auch im Koalitionsvertrag jeweils zu den Themen eine ganze Menge auch an liberalen Punkten untergebracht – nehmen Sie nur das nationale Stipendiensystem im Bereich der Bildungspolitik, oder nehmen Sie im Bereich Sozialstaat unser Konzept, den Zuverdienst bei Hartz IV so zu verändern, dass Menschen schrittweise auch ins Arbeitsleben zurückkehren können. Es gilt aber jetzt, diese Themen und die unterschiedlichen Maßnahmen, die damit verbunden sind, auch aus FDP-Sicht stärker jetzt nach vorne zu stellen und darauf zu drängen, dass sie in der Koalition jetzt auch rasch umgesetzt werden, denn da liegt ein Defizit der Koalition insgesamt, dass wir zu viel uns miteinander beschäftigen und Haare in der Suppe suchen, statt für die Menschen Probleme zu lösen und unsere Konzepte ins Gesetzblatt zu bringen.

    Armbrüster: Herr Lindner, ich muss an diesem Dienstagmorgen noch diese eine Frage stellen. Morgen, am Mittwoch, wählt die Bundesversammlung in Berlin einen neuen Bundespräsidenten. Sind die FDP-Abgeordneten frei in ihrer Wahl?

    Lindner: Alle Wahlmänner sind nur zunächst mal ihrem Gewissen unterworfen, aber natürlich prägen die Parteien auch die Entscheidungen. Wir haben uns in der Bundestagsfraktion und am Wochenende auch dann im Bundesvorstand für Christian Wulff entschieden. Das ist ein guter Kandidat. Er hatte Verantwortung für Millionen Menschen über Jahre, er hat sich direkten Wahlen gestellt und ist mehrfach gewählt worden. Das sind aus meiner Sicht wesentliche Qualifikationen für das Staatsoberhaupt. Er darf ja und muss ja nicht nur Mahner sein aus einer theoretischen Perspektive, sondern es schadet nicht, wenn er Gestaltungserfahrung hatte. Unsere Wahlmänner stehen also. Einzelne wenige – ich gehe von vier aus – haben Sympathien für Herrn Gauck, der ja ohne Zweifel auch ein sehr respektabler Kandidat ist, aber der Kandidat der Koalition und der Kandidat der FDP ist Christian Wulff, und das auch aus Überzeugung.

    Armbrüster: Christian Lindner war das, der Generalsekretär der FDP, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen vielmals für dieses Interview, Herr Lindner.

    Lindner: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster. Tschüss!

    Armbrüster: Tschüss!