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"Da wird viel Pattex und wenig Bewegung sein"

Die Kuratorin und Kulturpolitikerin Adrienne Goehler erwartet von dem Nachfolger oder der Nachfolgerin von Kulturstaatssekretär Bernd Neumann, die finanziell prekäre Situation der meisten Künstler zur Kenntnis zu nehmen. Auch müssten von dieser Stelle stärker als bisher Debatten angestoßen werden.

Adrienne Göhler im Gespräch mit Änne Seidel | 02.11.2013
    Änne Seidel: Wer in diesem Spätsommer die Internetseiten von kleineren Berliner Spielstätten wie etwa den Sophiensälen oder der Halle Tanzbühne aufrief, der sah erst mal nur schwarz. Diese "Black-Screen"-Aktion war eine Protestaktion der Freien Szene, also der freien Kulturschaffenden, die abseits der großen, öffentlich geförderten Kulturinstitutionen arbeiten. Seit Langem fordert die Freie Szene mehr finanzielle Unterstützung von der Stadt Berlin. Und auch vom ehemaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der kürzlich seinen Rückzug ankündigte, fühlte sie sich vernachlässigt. Noch ist nicht bekannt, wer Neumanns Nachfolger – oder Nachfolgerin – werden wird. Aber wir fragen hier in der Sendung schon einmal nach bei Vertretern der verschiedenen Kulturbereiche, was sie sich so wünschen von dem Neuen oder der Neuen. Adrienne Göhler ist ehemalige Berliner Kultursenatorin und Kuratorin, und ich habe sie zunächst gefragt, was denn ein neuer Kulturstaatsminister ihrer Meinung nach für die Freie Szene tun sollte.

    Adrienne Göhler: Na ja, erst mal zur Kenntnis nehmen, dass sie in aller Regel das Salz in der Suppe sind, dass die Freie Szene, die nicht angestellt ist, die keine Verträge hat, die keine Spielzeiten oder so was kennt, sondern sich jedes Mal von Projekt- zu Projektantrag hangeln muss, die sind eigentlich diejenigen, die ganz besonders natürlich im Falle von Berlin die internationale Attraktivität ausmachen. Das gilt aber auch für Städte wie Köln und München und andere. Das hat der bisherige Kulturstaatsminister überhaupt nicht auf dem Zettel gehabt.
    Er hat außerdem nicht auf dem Zettel gehabt – und das müsste sich dringend ändern in einer Regierung, wobei wir natürlich so von außen draufguckend denken, ach Du liebe Zeit, was halt immer einem einfällt bei einer Großen Koalition: Da wird viel Pattex und wenig Bewegung sein -, was ganz oben auf der Agenda einer Kulturstaatsminister(in) stehen müsste, ist die finanziell prekäre Situation der meisten Künstler(innen). Da geht es jetzt nicht nur um freie oder nicht freie Szene, auch Menschen, die mal einen kleinen Auftritt im Fernsehen oder sonst was haben als Schauspieler(in); die kommen richtig in die Nähe von Verelendung. Das weisen alle Statistiken von der Künstlersozialkasse über bestimmte Träger, die immer mal wieder gucken, wie viel verdienen eigentlich Menschen, und das sind die meisten in den künstlerischen Sparten, die nicht angestellt sind.

    Seidel: Und was könnte denn ein neuer Kulturstaatsminister da konkret tun, um diese finanzielle prekäre Situation zu entschärfen?

    Göhler: Sie erst mal zur Kenntnis nehmen. Man muss erst mal mit seinen Kollegen auch darüber sprechen. Ich habe natürlich eine radikale Antwort, wie Sie sich vielleicht vorstellen können. Ich würde sagen, es muss das bedingungslose Grundeinkommen geben. In einer Zeit, wo wir mit immer weniger Menschen immer mehr Produktivität herstellen können, müssen wir Arbeit anders verteilen und wir müssen Sinn auch in diesem Land noch ein Stück anders verteilen. Diese Stelle ist eine diskursive Stelle. Der muss Debatten anstoßen, diese Stelle muss die Kunst in ihrer laboratorischen Fähigkeit erkennen, fördern und die Veränderungen einfach ganz sensibel seismographisch aufnehmen und nicht einfach sagen, ich bin der schöne Daddy, Sugar-Daddy und ich verteile ein bisschen für Weltkulturerbe, ein bisschen hier, ein bisschen dort, sondern die Kultur und die Kunst als das bewegende Moment in der Gesellschaft begreifen und als solches auch etablieren.

    Seidel: Also jemand, der Debatten anstößt, und da wären wir dann auch schon bei einem anderen Thema, und zwar die großen Bauvorhaben in Berlin, zum Beispiel das Berliner Schloss. Bernd Neumann hat sich da ja in der öffentlichen Diskussion eher etwas zurückgehalten. Erwarten Sie von seinem Nachfolger, dass er sich da in dieser Hinsicht auch deutlicher positioniert?

    Göhler: Na ja, da könnte man jetzt vielleicht sagen, die Messen sind gesungen, und wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Kulturstaatsminister(innen) in der Vergangenheit deutlicher über diesen Irrsinn gesprochen hätten. Die haben sich nur unfassbarerweise völlig von Fragen der Sinnhaftigkeit entfernt und in Koalitionslogiken einbinden lassen. Jetzt ist es ein bisschen spät, aber man muss trotzdem immer wieder die Frage stellen: sind es die großen repräsentativen Bauten, die wir innerhalb der Kunst brauchen, oder sind es nicht eher Laboratorien, die auch vorläufigen Charakter haben könnten, und da sind wir fällig auf diesem Bein. Das ist so verkürzt, dass wir sehr hinken gegenüber dem Repräsentativen in der Kultur.

    Seidel: Ein weiterer Punkt, der ja im Vorfeld der Wahlen von den meisten Parteien in ihren Wahlprogrammen aufgegriffen wurde, ist das Urheberrecht. Was muss da Ihrer Ansicht nach passieren und was kann der Kulturstaatsminister in dieser Hinsicht tun?

    Göhler: Na ja, der müsste eigentlich so einen fortlaufenden Prozess moderieren, denke ich mal, weil dass es reformiert werden muss, das pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern, und es ist einfach eine Frage, geht es jetzt nach den Großkonzernen, also wie die GEMA, oder aber anerkennen wir, dass von diesen alten großen Institutionen eigentlich auch nur die alten und die großen Künstler profitieren, nicht aber das, was sich im Zeitalter der Reproduzierbarkeit einfach an anderen Wegen, auch an anderen Distributionswegen ergeben hat, und das müsste eine kulturstaatsministerielle Person natürlich genau im Auge haben und das auch immer wieder laut und offen thematisieren.

    Seidel: Sagt Adrienne Göhler, ehemalige Berliner Kultursenatorin und Kuratorin. Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.