Donnerstag, 25. April 2024

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"Da zeigt eben auch die Kanzlerin Nerven"

Angela Merkel hätte bei der Entlassung von Bundesumweltminister Norbert Röttgen geschickter handeln können, findet der Publizist Hugo Müller-Vogg. Denn eines habe Röttgen erreicht: "Er ist in gewisser Weise das Opfer und die Kanzlerin ist die böse, Männer mordende Machtpolitikern".

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Dirk Müller | 18.05.2012
    Dirk Müller: Ein Rauswurf ist selten, sehr selten. Einen Rauswurf hat es bisher noch nicht gegeben, jedenfalls nicht im Kabinett Angela Merkel. Ausgerechnet den Vorzeigekronprinzen hat es nun aber getroffen, Norbert Röttgen, Wahlverlierer von Düsseldorf, Bundesumweltminister und stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU.Erst durfte er Minister bleiben, dann intervenierte Horst Seehofer, dann stritt die Kanzlerin mit ihm, schließlich musste er gehen. Beifall aus Bayern, heftiges Kopfschütteln nun aus Nordrhein-Westfalen von der CDU in Richtung Kanzlerin. Die Ereignisse der vergangenen Tage genau verfolgt hat der Publizist Hugo Müller-Vogg, viele Jahre Herausgeber der "FAZ", guten Morgen!

    Hugo Müller-Vogg: Ja, guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Müller-Vogg, wissen Sie genau, was da jetzt passiert ist?

    Müller-Vogg: Nein, ich weiß es auch nicht genau. Das ist immer das Problem bei Vier-Augen-Gesprächen, dass außer den beiden Beteiligten das eigentlich niemand genau weiß, und die werden es im Nachhinein wahrscheinlich auch noch unterschiedlich interpretieren.

    Müller: Jetzt sagen ja viele, wir haben eben mit unserem Hauptstadtstudiokorrespondenten Stefan Detjen gesprochen, der gesagt hat, also, Norbert Röttgen wäre nicht bereit gewesen zu gehen, freiwillig seinen Rücktritt einzureichen ...

    Müller-Vogg: ... dafür spricht einiges, ja.

    Müller: Aber wenn das jeder Politiker tun würde, dann wäre es ja auch einfach, so ein Problem zu lösen!

    Müller-Vogg: Na ja, gut, also, ich meine, es gibt ja, es hat schon häufiger Situationen gegeben, dass ein Kanzler zu einem Minister sagte oder einer Ministerin, das geht so nicht weiter und das Beste wäre, du trittst zurück. Und dann wird der Rücktritt angenommen und dann wird dem Ausscheidenden gedankt und so wahrt man einigermaßen das Gesicht. Hier war doch offensichtlich der Fall so, dass die Kanzlerin wollte, dass Röttgen zurücktritt und Röttgen aber glaubte, sie werde ihn nicht hinauswerfen. Und als ihm klar wurde, dass sie ihn hinauswirft, war er dann der Meinung, dann solle sie wenigstens noch mit beschädigt werden. Denn eines hat er jetzt erreicht: Er ist in gewisser Weise das Opfer und die Kanzlerin ist die böse, Männer mordende Machtpolitikern, die Physikerin der Macht, gnadenlos, eisenhart und ... Ein Image, das sie ja doch versuchte zu verdrängen. Mir fällt da ein alter Satz von Michael Glos ein, der schon vor zehn Jahren mal sagte: Angela, Angela, wer wird dein nächstes Opfer sein?

    Müller: Die Frage würden Sie uns jetzt nicht beantworten, wenn ich Sie frage, wer wird der Nächste sein?

    Müller-Vogg: Nein, das ... Sie hat es ja jetzt nicht gemacht, um zu zeigen, ich bin die Stärkste, sondern sie hat gemerkt, hier ist ein angeschlagener Umweltminister und die Energiewende ist ja neben der Euro-Krise das Wichtigste, herausragende Projekt, was diese Regierung hat. Und es hat sich schon gezeigt, schon am Freitag vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, als die CDU-Ministerpräsidenten aus den neuen Ländern auch gegen die Kürzung bei der Solarförderung stimmten und sozusagen den Wahlkämpfer Röttgen auch im Regen stehen ließen, dies zeigte zweierlei: Dies zeigte, dass er erstens nicht viele Freunde in der Partei hat, es zeigte aber auch, dass er offenbar versäumt hatte, für sein Konzept zu werben, sondern dass er der Meinung war, wenn ich das intelligent begründe, dann können die anderen gar nicht als mir folgen.

    Müller: Also, Sie sagen: Völlig konsequent, wie die Kanzlerin gehandelt hat?

    Müller-Vogg: Nein, völlig konsequent war es nicht, es wäre viel besser gewesen, sie hätte ihm vor dem Wahlsonntag gesagt, wenn das Wahlergebnis schlecht ausfällt, dann wird das Beste sein, du trittst gleich zurück. Dann hätte man das am Montag machen können oder am Sonntagabend und dann wäre er besser da rausgekommen. Aber sie hat ihm ja am Montag noch mal Hoffnung gemacht. Ihre Äußerungen in der Pressekonferenz, wo er nebenan stand, mit der Kontinuität, das war sibyllinisch, aber es wurde von allen Beteiligten, auch von den anwesenden Journalisten und Kollegen einschließlich mir so interpretiert, dass sie an ihm festhält. Erst im Nachhinein merkt man, dass diese Worte so gewählt waren, dass auch ein Rauswurf dadurch noch abgedeckt ist.

    Müller: Also öffentlich nicht gerade politisch korrekt, was die Kanzlerin gemacht hat?

    Müller-Vogg: Nicht sehr geschickt, nein.

    Müller: Zum Schaden der Partei?

    Müller-Vogg: Ja, das schadet der Partei, natürlich schadet das der Partei. Wir müssen ja auch das eine sehen: Das Wahlergebnis NRW ist ja auch insofern eine Katastrophe für die Kanzlerin, weil, Röttgen stand ja eigentlich für diese – in Anführungszeichen – neue, moderne CDU, mit einer anderen Frauenpolitik, mit Abkehr von Atom ... Sozusagen, das konservative Tafelsilber kam in die Schublade und man präsentierte sich als modern, aufgeschlossen, als Großstadtpartei. Mit einem Ergebnis, dass man vor zwei Jahren schon mal zehn Punkte verloren hat und jetzt noch mal acht Punkte abgestürzt ist. Das heißt natürlich, sie merkt auch, dass sie einen Teil der CDU-Wähler nicht mehr erreicht, die bleiben zu Hause. Die wählen nicht unbedingt SPD, sondern bleiben in erster Linie zu Hause. Und das – und das muss der Kanzlerin sehr zu denken geben –, dass eine rot-grüne Mehrheit plötzlich wieder realistisch ist. Es gab ja in der Union in den letzten Monaten die Hoffnung, na ja, da gibt es die Piraten, die ziehen bei den Grünen genügend Stimmen ab, sodass es letzten Endes, wenn es für Schwarz-Gelb nicht mehr reicht, wofür alles spricht, dann doch entweder für Schwarz-Grün reicht oder zumindest für eine Große Koalition unter Führung der CDU. Und das hat sich jetzt geändert, zumal auch die FDP, glaube ich, durchaus bereit wäre, nach einer Bundestagswahl bei der Alternative Opposition oder Mitglied einer Ampel-Koalition, dass die FDP dann springen würde. Und das zeigt, dass die Perspektive für die Union alles andere als rosig sind mit Blick auf 2013, und da zeigt eben auch die Kanzlerin Nerven.

    Müller: Herr Müller-Vogg, wir müssen ein bisschen auf die Zeit achten, maximal eine halbe Minute, ich möchte Sie das trotzdem noch mal fragen: Also, NRW, sagen Sie ganz klar, war viel, viel mehr als nur eine Pro-Kraft-Wahl?

    Müller-Vogg: Ja, das auch ein Urteil über die Politik der Kanzlerin, auch wenn formal Norbert Röttgen zur Wahl stand.

    Müller: Und Norbert Röttgen dann mit der Verbindung auch recht hatte?

    Müller-Vogg: Ja, mit der Verbindung hat er recht, mit der Begründung hat er recht, ja.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Publizist Hugo Müller-Vogg, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Müller-Vogg: Ja, gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.