Dienstag, 16. April 2024

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Dänemark nach den Anschlägen
"Der Ton erinnert zum Teil an die Sarrazin-Debatte"

Wie geht es weiter in Dänemark nach den Anschlägen? Für unsere Expertin Jana Sinram ist noch ungewiss, in welche Richtung das politische Pendel ausschlägt. Klar ist für sie aber: Der Ton in unserem nördlichen Nachbarland bleibt ziemlich rau.

Jana Sinram im Gespräch mit Marco Bertolaso für deutschlandfunk.de | 16.02.2015
    Marco Bertolaso: Der Terror hat nun auch in Dänemark zugeschlagen, also dort, wo der Streit über die Mohammed-Karikaturen 2005 seinen Anfang genommen hatte. Viele Dänen hat das nicht mehr überrascht. Wie ging es Ihnen?
    Jana Sinram: Mich hat es nicht überrascht. Es hat in der Vergangenheit ja schon mehrfach Attentats-Versuche gegeben. Anfang 2010 drang zum Beispiel ein gebürtiger Somalier mit einer Axt ins Haus des Karikaturisten Kurt Westergaard ein. Im gleichen Jahr wurden in Dänemark und Schweden insgesamt vier Männer wegen der Vorbereitung einer Terrorhandlung zu jeweils zwölf Jahren Haft verurteilt. Sogar die Kölner Koffer-Bomber begründeten übrigens 2006 ihren Anschlags-Versuch auf Regionalzüge in Deutschland mit der Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen in deutschen und dänischen Medien. Bisher sind solche Pläne nur glücklicherweise immer rechtzeitig aufgedeckt worden oder gescheitert.
    Bertolaso: Sie haben für den Deutschlandfunk heute die internationale Presseschau geschrieben und dabei auch dänische Zeitungen gelesen. Wie ist denn da die Stimmung?
    Sinram: Allen gemeinsam ist die Bestürzung über die Anschläge. Wo die Meinungen aber auseinandergehen, das ist Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Die linksliberale Zeitung "Politiken" schreibt zum Beispiel in ihrem heutigen Leitartikel, dass es auch in Zukunft unmöglich sein werde, alle radikalisierten Einzelpersonen zu stoppen. Die dänische Gesellschaft dürfe sich durch den Anschlag aber nicht noch weiter auseinanderdividieren lassen. Bei "Jyllands-Posten" sieht das schon anders aus. Die Zeitung spricht in ihrem Kommentar von einer einem "Krieg um Kultur und Werte in Europa", der fast schon ein Religionskrieg sei. Und sie wirft linken Politikern vor, muslimische Einwanderer als Opfer darzustellen, obwohl sich diese Minderheit mehr Rechte nehme als jede andere. Auch die politische Debatte geht schon los. Mitglieder der rechten Dänischen Volkspartei werfen zum Beispiel den Sozialliberalen vor, an dem Anschlag schuld zu sein, weil sie sich für offene Grenzen einsetze.
    Bertolaso: Der erste Anschlag galt einer Diskussionsveranstaltung zum Thema "Kunst, Blasphemie und Meinungsfreiheit", bei der auch der Mohammed-Karikaturist Lars Vilks vertreten war. Wer hat diese Veranstaltung eigentlich organisiert?
    Sinram: Das war das "Lars-Vilks-Komitee". Es wurde vor zwei Jahren von einem Künstler und der Journalistin Helle Merete Brix gegründet, die in Dänemark als vehemente Islamkritikerin bekannt ist. Das Ziel des Komitees ist es nach eigener Aussage, Vilks in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung zu unterstützen und Vorträge mit ihm in Dänemark zu organisieren. Davon hat es schon mehrere gegeben, neben Vilks war zum Beispiel auch der deutsche Publizist Henryk M. Broder zu Gast. Im vergangenen Jahr hat das Lars-Vilks-Komitee auch zum ersten Mal einen Preis für Pressefreiheit vergeben, und zwar an das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo".
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    Jana Sinram hat über die Debatte über die "Mohammed-Karikaturen" geforscht. (campus Verlag)
    Bertolaso: Der mutmaßliche Täter, den die Polizei erschossen hat, ist ein 22-jähriger, der in Dänemark geboren und aufgewachsenen ist. Ist das ein Hinweis auf eine gescheiterte Integrationspolitik in Dänemark?
    Sinram: So pauschal kann man das sicher nicht sagen, erst Recht nicht, solange das Motiv des Attentäters noch nicht ganz sicher fest steht. Tatsache ist aber, dass sich gerade in den Jahren der rechtsliberalen Minderheitsregierung von Anders Fogh Rasmussen viele Einwanderer in Dänemark ausgegrenzt gefühlt haben, und sie dafür durchaus gute Gründe hatten. Die Koalition war damals im Parlament auf die Stimmen der Dänischen Volkspartei angewiesen und hat das Einwanderungsrecht in weniger als zehn Jahren 14 Mal verschärft. Das ist für mich Symbolpolitik. Ich erinnere auch an die Wiedereinführung der Grenzkontrollen im Jahr 2011, mit der die Regierung damals Flüchtlinge und Kriminelle an der Einreise nach Dänemark hindern wollte. Und die Einwanderungsdebatte wurde in Dänemark jahrelang in einem Ton geführt, der mich an die Sarrazin-Debatte hier bei uns erinnert.
    Bertolaso: Was bedeutet all das für den bevorstehenden Wahlkampf?
    Sinram: Lange wurde die Politik in Dänemark bestimmt von den Sozialdemokraten sowie kleineren Linksparteien, von der liberalen Venstre sowie der Konservativen Volkspartei. In den vergangenen Jahren haben aber auch die Rechtspopulisten an Einfluss gewonnen. Die Dänische Volkspartei hat in früheren Parlamentswahlen immer um die zwölf, 13 Prozent bekommen. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr war sie dann mit mehr als 26 Prozent sogar stärkste Kraft. Der Karikaturenstreit hat den Rechtspopulisten damals schon Zulauf beschert. Andererseits waren viele Dänen auch erschrocken über das Bild ihres Landes, das im Zusammenhang mit der restriktiven Einwanderungspolitik und dem Karikaturenstreit entstanden ist. Sie haben sich dann eher den Linken zugewandt. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Anschläge in diesem Jahr auf das Wahlergebnis auswirken werden.

    Jana Sinram ist Nachrichtenredakteurin beim Deutschlandfunk. Sie hat gerade ihre Dissertation vorgelegt mit dem Titel: "Pressefreiheit oder Fremdenfeindlichkeit? Der Streit um die Mohammed-Karikaturen und die dänische Einwanderungspolitik"