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Dänemark
Wütende Gedichte gegen den Islam

Yahya Hassan, geboren 1995, aufgewachsen in einem Migrantenviertel im dänischen Aarhus. Er ist der Sohn palästinensischer Flüchtlinge. Sein Vater verprügelte ihn oft, er wurde früh kriminell. Und in einer Besserungsanstalt hat er dann begonnen, Gedichte zu schreiben. Wütende, provokative Texte über seine Erfahrungen, seine Kindheit, seine Konflikte. Die sorgten in Dänemark für Aufruhr.

Von Marc-Christoph Wagner | 31.03.2014
    In den gut informierten Kreisen des dänischen Literaturbetriebes hatte man wohl geahnt, dass sich da etwas Außergewöhnliches anbahnen könnte. Bereits im vergangenen Sommer wurde gemunkelt über einen jungen Lyriker palästinensischer Herkunft, der seine Gedichte mit enormer Kraft rezitierte – wütend und im Duktus ein wenig wie ein Muezzin oder Imam.
    Anfang Oktober dann gab Yahya Hassan sein erstes großes Interview – in der Wochenendausgabe der Tageszeitung "Politiken", die in Dänemark in etwa das Pendant zur Süddeutschen ist. Der Text – eine lange Brandrede - rebellierend gegen die eigene Herkunft, gegen das Aufwachsen im Getto, vor allem gegen die eigenen Eltern, die sich – nach der Flucht vor Krieg und Verfolgung – im neuen Heimatland niemals integrierten:
    "Ich bin fucking wütend auf die Generation meiner Eltern, die Ende der 1980er-Jahre nach Dänemark kamen. Diese riesige Gruppe von Flüchtlingen, die eigentlich Eltern hätten sein sollen, haben ihre Kinder total verraten. Sobald sie hier landeten, war es, als ob sie aufhörten, Eltern zu sein. Und so sahen wir unsere Väter passiv verrotten – als Sozialhilfeempfänger im Sofa mit der Fernbedienung in der Hand, begleitet von einer desillusionierten Mutter, die alles hinnahm und niemals protestierte. Wir, die die Schule abbrachen, die kriminell wurden und zu Pennern, sind nicht vom System verraten worden, sondern von unseren Eltern. Wir sind die elternlose Generation."
    Dieses Interview schlug ein wie eine Bombe. Seit Jahren schon stand die Integrations- und Zuwanderungspolitik ganz oben auf der politischen Agenda, nach und nach hatte sich Dänemark aufgrund der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, des Karikaturenstreits sowie einer der restriktivsten Zuwanderungsgesetzgebungen Europas den Ruf eines islamophoben Kleinstaates erworben. Stets aber verliefen die Fronten zwischen "dem og os", zwischen denen und uns – mit anderen Worten: zwischen ethnischen Dänen sowie den Zuwanderern der ersten, zweiten und dritten Generation.
    Und nun dies: Ein junger Palästinenser, der das eigene Milieu schonungslos und überzeichnend beschreibt – und damit all jenen in die Hände spielt, die der Integration von fremden Kulturen im Land schon immer skeptisch gegenüberstanden:
    "Er sagte nicht Habibi / Er sagte Hände oder Füße / Und brach eine Latte aus dem Bettgestell / Nun fehlte ein Streifen von rechts nach links / Die Matratze nach unten gebeult / Das Geschrei der Geschwister aus dem Raum / Nebenan / Übertönte das meine / Die Tür zur Küche, wo die Mutter kochte / Ging zu / Wenn Sie sich einmischte sagte er / Bestimmt der Mann oder die Frau / Als er fertig war, konnte ich fast nicht gehen / oder stehen an der Wand / Die Arme gestreckt und ein Fuß in der Höhe / Gerade so, wie er das wollte / Er rauchte eine Zigarette und sammelte Kräfte / Und bevor mein Bruder drankam / Zog ich mir die Strümpfe aus / Bat ihn sie über seine zu ziehen und zu sagen: Füße."
    Diese Hölle inmitten der eigenen Gesellschaft interessiert die Dänen. Yahya Hassans Abrechnung mit dem eigenen Vater wird als allgemeingültiger Einblick in eine moslemisch geprägte Parallelgesellschaft verstanden. Bis Weihnachten verkaufte sich der Gedichtband 100.000 Mal – und das in einem Land, in dem 3000 verkaufte Romane als Bestseller gelten. Doch Yahya Hassan hat nicht nur Fans. Seine Familie hat den Kontakt zu ihm abgebrochen, auf dem Kopenhagener Hauptbahnhof ist er von einem Islamisten überfallen worden, aufgrund zahlreicher Morddrohungen wird er – wie auch nach wie vor der Karikaturist Kurt Westergaard – vom dänischen Personenschutz bewacht. Schon in seinen Gedichten hatte Hassan eine solche Entwicklung prophezeit:
    "Früher da hab ich geschworen auf Koran / Aber jetzt da schwör ich auf mein Gottlosigkeit / Und jedenfalls stech ich euch nieder / einen nach anderen / Ich bin der wahnsinnige Sohn / Ich hab ausgetauscht Jogginghosen / Mit zivilisierte und stramm genau passende Jeans / Ich bekrieg euch mit Worten / Und ihr werdet antworten mit Feuer."
    Bereuen tue er nichts, sagt Yahya Hassan nun, Monate später. Es gehe ihm nicht darum, den Islam als solchen oder sämtliche Muslime zu kritisieren. Wohl aber Tendenzen, die innerhalb der moslemischen Gemeinschaft sehr verbreitet seien. Aber auch von all jenen, die nun mit seinem Buch in der Hand für Zuwanderungsstopps und gegen Integration von Ausländern wetterten, distanziere er sich nachhaltig:
    "Ich sympathisiere nicht mit der Rechten. Ich verachte die Dänische Volkspartei und ihre rechtspopulistische Politik samt all ihrer Anhänger. Genauso, wie ich auch radikale Islamisten hasse. Für mich gibt es keinen Unterschied zwischen rechten Idioten und radikalen Islamisten. Es sind zwei Spielarten von Extremisten, die die Gesellschaft als Geisel nehmen."
    In der Tat sind es Gedichte von einer außergewöhnlichen Kraft, die Yahya Hassan auf knapp 200 Seiten veröffentlicht hat und die selbst in der deutschen Übersetzung, welch Kunststück, noch beeindruckend sind. Gedichte, die tatsächlich weit mehr beinhalten als die Verarbeitung der eigenen Kindheit. Jørn Mikkelsen, Chefredakteur der Tageszeitung "Jyllands-Posten", die 2005 die Mohammedkarikaturen veröffentlichte und deswegen noch heute einer Festung gleicht, sieht in Yahya Hassan so auch einen jungen muslimischen Émile Zola, der die eigene Herkunft und Kultur mit spitzer Feder anklage:
    "Wir haben eine authentische Stimme vermisst. Eine Stimme aus dem Zuwanderungsmilieu, die die Dinge offen und ehrlich beschreibt, sodass es keine Debatte über die Zuwanderer wird, sondern eine Debatte mit ihnen – es schlussendlich zu einem Dialog kommt."
    Buchinfos:
    Yahya Hassan: "Gedichte. Aus dem Dänischen übersetzt von Annette Hellmut und Michel Schleh", Ullstein Verlag, 176 Seiten, Preis: 16 Euro, ISBN: 978-3-550-08083-8