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"Damit das Gemetzel in Syrien beendet wird"

Die Tatsache, dass die USA und Russland jetzt in Genf über Syrien und die Chemiewaffen des Landes verhandeln, ist "ein ganz großer Fortschritt", findet Joachim Hörster (CDU), der Vorsitzende der Parlamentariergruppe "Arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens".

Joachim Hörster im Gespräch mit Christoph Heinemann | 13.09.2013
    Christoph Heinemann: Sie reden miteinander, die Außenminister der Vereinigten Staaten und Russlands. Sie verhandeln in Genf über die Chemiewaffen des Assad-Regimes. Kann man überhaupt und wenn ja wie während eines Bürgerkrieges die umfangreichen Vorräte bergen und unschädlich machen? Kann man Baschar al-Assad trauen? Spielt der Mann mit russischer Unterstützung auf Zeit? Und natürlich geht es bei Verhandlungen zwischen Washington und Moskau immer auch um ein Kräftemessen und einen möglichen drohenden Gesichtsverlust. Barack Obama drückt aufs Tempo. Der US-Präsident befürchtet endlose Verhandlungen und er muss seine Rolle als Akteur neu erfinden, nachdem Washington durch den russischen Vorschlag einer Abrüstung der Chemiewaffen überrascht wurde. Angesichts des Misstrauens zwischen beiden Hauptstädten, Moskau und Washington, wählte der russische Präsident Putin einen ungewöhnlichen Schritt, nämlich mit einem Beitrag für die "New York Times". Direkt wendet er sich an die amerikanische Öffentlichkeit: Der Chemiewaffen-Vorschlag sei eine neue Chance, einen Militärschlag zu verhindern. Diplomatisch heißt der Gewinner bislang Wladimir Putin, meinte Sergej Sumlenny, Korrespondent der russischen Zeitung "Expert" heute Früh bei uns im Deutschlandfunk.

    O-Ton Sergej Sumlenny: "Ab heute wäre für Russland ein größerer oder ein kleinerer Gewinn. Wenn Assad gesichert sein wird und wenn Russland der Friedensengel in der Region wird und die US-amerikanische Invasion oder den US-amerikanischen Schlag verhindert, das wäre wunderbar. Wenn Russland doch scheitert, das ganze zu verwirklichen, dann sind die Gewinne schon gut genug und groß genug. Russland hat sich schon als ein Land präsentiert, das die Politik der US-Amerikaner ändern kann. Das ist ein riesiger Gewinn für Putin, ehrlich gesagt."

    Heinemann: Und am Telefon ist Joachim Hörster, Bundestagsabgeordneter der CDU und Vorsitzender der Parlamentariergruppe "Arabischsprachige Staaten des Nahen Ostens". Guten Tag.

    Joachim Hörster: Guten Tag!

    Heinemann: Sie haben Sergej Sumlenny gehört, den Journalisten. Hat Putin zurzeit die Nase vorn?

    Hörster: Also das ist gar nicht die Frage, auf die es ankommt, sondern alle in der Bundesrepublik, die Verantwortung tragen, haben immer dafür plädiert, dass eine friedliche Lösung des Syrien-Konfliktes angestrebt werden soll.

    Heinemann: …, wenn darüber in Genf gesprochen würde. Aber es geht doch auch um ein diplomatisches Kräftemessen zwischen Washington und Moskau. Insofern noch mal die Frage: Hat Putin im Moment die Nase vorn?

    "Entscheidend ist, was am Schluss das Ergebnis sein wird"
    Hörster: Nein, das würde ich nicht sagen. Für mich ist entscheidend, dass es überhaupt zu Verhandlungen kommt, dass man miteinander spricht und dass die Konfliktparteien sich etwas näher gekommen sind, will ich mal sagen, was den Austausch von Argumentationen und die Definition von Zielen anbetrifft. Ich glaube, das ist nicht so entscheidend, ob Obama oder Putin in irgendeiner politischen Bewertung die Nase vorne haben, sondern entscheidend ist, was am Schluss das Ergebnis sein wird. Und da ja die Verhandlungen und die Gespräche gar nicht stattgefunden haben, oder extrem festgefahren waren, ist der Umstand, dass jetzt in Genf über die Vernichtung der syrischen Chemiewaffen gesprochen wird, und das mit dem Einvernehmen der syrischen Regierung, ein ganz großer Fortschritt, denn diese Gespräche müssen eine Reihe von weiteren Betrachtungen im Umfeld auslösen.

    Heinemann: Herr Hörster, Sie haben eben im Bericht von Marcus Pindur John McCain, den Senator, gehört. Er spricht von einer "unehrlichen Verhandlungsweise" der Russen, und das zeigt doch, wie blank die Nerven in Washington liegen. Noch mal die Frage: Wie viel oder inwiefern geht es auch um Gesichtsverlust jetzt zwischen den Verhandlungen in Genf?

    Hörster: Also das schlimmste wäre, wenn die Verhandlungen in Genf nur geführt würden, um Gesichtsverluste zu vermeiden, oder Gesichtsverluste beim anderen zu erreichen. Die Verhandlungen in Genf müssen geführt werden, damit das Gemetzel in Syrien beendet wird, und deswegen ist es wichtig, dass jetzt über die Vernichtung und Kontrolle der Chemiewaffen gesprochen wird. Das ist ein schwieriges Unterfangen, solche Chemiewaffen zu vernichten. In der Bundesrepublik waren auch mal welche gelagert und ich erinnere mich noch, wie schwierig es war, sie aus dem Land herauszubringen, ohne die Bevölkerung zu gefährden. Das wird in Syrien unter den Bürgerkriegsverhältnissen noch schwieriger werden und sehr kompliziert sein. Aber weil das so ist, muss dann auch zwischen den Bürgerkriegsparteien verhandelt werden, müssen Gentleman‘s Agreements erreicht werden, damit die Chemiewaffen auch sicher aus Syrien heraustransportiert werden können, um dann in Länder gebracht zu werden, wo man über die technischen Fähigkeiten verfügt, sie zu vernichten.

    Den Druck auf Syrien aufrechterhalten
    Heinemann: Herr Hörster, aus Ihrer Kenntnis des Regimes, kann man der Assad-Regierung trauen?

    Hörster: Für mich war es ziemlich überraschend, dass Kerry seine Erwägung angestellt hat, öffentlich, wir können auf den Militärschlag verzichten, wenn die Chemiewaffen unter Kontrolle kommen - ich sage es mal verkürzt -, und dann wenige Stunden später der russische Außenminister Lawrow und zusammen mit dem syrischen Außenminister al-Muallim erklärt hat, dass sie einer Kontrolle der syrischen Chemiewaffen zustimmen würden. Dass das reiner Zufall gewesen ist, kann ich mir eigentlich gar nicht vorstellen.

    Heinemann: Trotzdem gibt es die Aussage von Detlef Mehlis, dem früheren UNO-Sonderbotschafter und Sonderermittler vor allen Dingen, der gesagt hat, das syrische Regime sei ein Meister im Verzögern und Verschleiern. Also: wie viel sind Zusagen aus Damaskus wert?

    Hörster: Das hängt ja nicht von Damaskus alleine ab. Es hängt davon ab, ob man die Syrer machen lässt, was sie gerne möchten. Deswegen muss ja auch der Druck aufrecht erhalten werden und deswegen ist auch die Position Obamas sehr klug und sehr wohl überlegt, auf der einen Seite den militärischen Druck aufrecht zu erhalten, auf der anderen Seite Verhandlungen zu führen. Wenn man den Syrern den Zeitplan überlässt, dann können wir die Verhandlungen auch gleich einstellen. Deswegen: Druck muss sein und deswegen muss auch auf die syrische Regierung entsprechender Einfluss ausgeübt werden.

    Heinemann: Nun berichtet das "Wall Street Journal", eine Eliteeinheit des syrischen Militärs versuche, mit einem ausgeklügelten System das Chemiewaffen-Arsenal, das syrische, vor den Geheimdiensten zu verbergen. Wie viel Zeit bleibt denn eigentlich für Verhandlungen jetzt noch?

    Hörster: Alleine der Umstand, dass darüber berichtet wird, zeigt ja, dass das Verbergen solcher Transaktionen sehr schwierig sein wird.

    Heinemann: Aber das weiß ja auch das Regime in Damaskus und tut es trotzdem offenbar.

    Ein Militärschlag wäre jetzt nur schwer zu vermitteln
    Hörster: Na ja. Es gibt ja sehr unterschiedliche Meinungen darüber, wer das Giftgas eingesetzt hat, und es gibt ja auch Meldungen darüber, vor allem aus deutschen Quellen, dass dieses Giftgas nicht zentral gesteuert eingesetzt wurde, sondern dass ein paar Feldkommandanten, wie es verniedlichend gesagt wurde, die Nerven verloren haben und auf eigene Faust gehandelt haben. Ob das alles so durchdekliniert ist bis zum letzten Mann in der syrischen Regierung beziehungsweise im syrischen Regierungsapparat, das wage ich zu bezweifeln.

    Heinemann: Halten Sie das für möglich, dass das eine Entscheidung von Feldkommandanten war?

    Hörster: Ich kann die Quellen nicht beurteilen, die das gesagt haben. Da bin ich genauso wie jeder andere auch darauf angewiesen auf das, was ich höre. Aber dass die Feldkommandanten einen erheblichen Einfluss haben, ist nicht zu bestreiten, denn Assad kann ja nur so lange mächtig sein, solange die Leute zu ihm halten, und deswegen muss er was tun beziehungsweise muss er Macht auch teilen, weil es sonst nicht geht.

    Heinemann: Herr Hörster, eine UN-Resolution, in der die Drohung eines Militärschlages festgeschrieben würde, das lehnen die Russen bisher ab. Können die USA auf diese Drohung verzichten?

    Hörster: Zu Beginn der Diskussion ist ja vor allem von Briten und den Franzosen gesagt worden, dass bei einer Verletzung der Anti-chemische-Waffen-Konvention ein Beschluss des Sicherheitsrates gar nicht erforderlich sei, und dem hat sich mehr oder weniger auch die Regierungsadministration von Obama angeschlossen. Da kann man drüber streiten, ob das völkerrechtlich notwendig ist oder nicht. Aber entscheidend ist - und da komme ich auf den Anfang Ihrer Frage zurück: Die Russen sind zunächst überhaupt nicht gefragt worden, ob man einen solchen Militärschlag vorbereiten soll oder nicht. Man hat gesagt, die sind auf der anderen Seite und sie werden jede Resolution des Sicherheitsrates verhindern, also machen wir das ohne Resolution des Sicherheitsrates. Und jetzt sind die Russen aber im Geschäft mit drin, weil mit ihnen darüber verhandelt wird, wie man die Giftgas-Granaten unter Kontrolle bringt und wie man sie vernichten kann. Dadurch hat sich natürlich deren Rolle gegenüber dem bisherigen verstärkt und es ist akzeptiert worden vom Westen, dass die Russen eine Rolle spielen. Das kommt nämlich auch noch bei dieser Geschichte dazu. Und jetzt einen Militärschlag auslösen zu wollen, dürfte auch in der Bevölkerung der westlichen Staaten schwer zu übersetzen sein, wenn nicht handfeste Gründe vorliegen, nicht mehr länger zuzuwarten, ob man zu einem Agreement kommt oder nicht.

    Heinemann: Der CDU-Politiker Joachim Hörster und Nahost-Experte – danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Hörster: Auf Wiederhören!


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