Freitag, 19. April 2024

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Dammbruch in Brasilien
Misereor-Beraterin: "TÜV Süd kannte die Risiken"

Nach dem Dammbruch in Brasilien im Januar mit mindestens 250 Toten hat das katholische Hilfswerk Misereor Anzeige gegen TÜV Süd erstattet. "Aus unserer Sicht ist das kein Unglück", sagte Misereor-Beraterin Susanne Friess im Dlf. Probleme seien bereits ein Jahr zuvor bekannt gewesen.

Susanne Friess im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.10.2019
Die drei Männer in Helmen und orangefarbener Arbeitskleidung ziehen in der braunen Schlammwüste an einem Leichensack.
Rettungskräfte bergen eine Leiche im brasilianischen Brumadinho: Die Dämme eines Rückhaltebeckens der Eisenerzmine Córrego do Feijão brachen am 25.01.2019. ( Rodney Costa / dpa)
Mario Dobovisek: Mindestens 250 Menschen werden in Brasilien getötet, als dort der Damm einer Minengesellschaft bricht bei Brumadinho am 25. Januar. Erst vier Monate vor dem Bruch inspiziert der Prüfkonzern TÜV Süd den Damm, erklärt ihn für sicher, trotz erkannter Gefahren und nicht behobener Mängel. Deshalb steht der TÜV seitdem in der Kritik. In Brasilien selbst läuft die juristische Aufarbeitung bereits. Da konzentriert man sich auf die Tochtergesellschaften des TÜV Süd. Die TÜV Süd Mutter in München hält sich bisher bedeckt, preist aber in der aktuellen Bilanz schon hohe Kosten offenbar für Prozesse und Entschädigungen ein. Jetzt erstatten mehrere Betroffene und Organisationen Anzeige gegen den deutschen TÜV Süd in München und einem seiner Mitarbeiter – unter anderem wegen fahrlässiger Tötung, Bestechung und Verletzung der Aufsichtspflicht.
Am Telefon begrüße ich Susanne Friess vom katholischen Hilfswerk Misereor, eine der anzeigenden Organisationen. Ich grüße Sie, Frau Friess!
"TÜV Süd Mitarbeiter war sehr regelmäßig vor Ort"
Susanne Friess: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
Dobovisek: Warum zeigen Sie einen TÜV Süd Mitarbeiter auch in Deutschland an?
Friess: Weil wir davon ausgehen, dass dieser TÜV Süd Mitarbeiter sehr regelmäßig vor Ort war und genau Bescheid wusste über die Risiken, die von diesem Damm ausgingen. Der Damm hatte ja diesen Sicherheitsfaktor nicht erfüllt, wie Sie das gerade auch in Ihrem Beitrag gesagt haben, und die verschiedenen Mitarbeiter von TÜV Süd in Brasilien haben sich darüber ausgetauscht, wie man das verschleiern könnte, oder wie man trotzdem das Sicherheitszertifikat ausstellen könnte, obwohl dieser Faktor nicht eingehalten wurde, und es wird immer wieder Bezug darauf genommen von den Mitarbeitern, dass man da die Kooperation, den TÜV Süd, auch Deutschland mit einbeziehen müsse in diese Entscheidung, ob das Zertifikat ausgestellt werden kann oder nicht. Man hat den Besuch eines führenden Mitarbeiters von München abgewartet und dann die Entscheidung offenbar getroffen. Zumindest ist das die Situation, die wir aus den Unterlagen entnehmen.
Dobovisek: Können Sie das alles auch beweisen?
Friess: Es gibt diesen abgebildeten Schriftverkehr zwischen den verschiedenen Mitarbeitern. Ja, das deutet doch alles sehr stark in diese Richtung.
Dobovisek: Wie würden Sie diesen Dammbruch beschreiben? Er wird ja vom TÜV und auch von Vale, dem Minenkonzern, als Unglück dargestellt.
Friess: Ja. Aus unserer Sicht ist das kein Unglück. Es ist ja drei Jahre vor dem Dammbruch in Brumadinho schon mal ein Damm gebrochen, nur 120 Kilometer entfernt, in Mariana, und allerspätestens nach diesem Dammbruch hätten alle Alarmzeichen hochgehen müssen, dass diese Art von Dämmen, diese Upstream-Dämme, die in Brasilien noch relativ häufig sind, die aber mit sehr, sehr großen Risiken belastet sind, weil sie gar keine richtige Dammkonstruktion sind, sondern eine Aufschüttung von Material, das unter bestimmten Bedingungen sich verflüssigen kann und den Damm dann zum Brechen bringen kann, dass diese Dämme extrem riskant sind. Der Damm in Brumadinho war so ein Damm und es war – und das zeigt der interne Schriftverkehr – ganz, ganz klar, es war schon über ein Jahr vorher bekannt, dass es diese Probleme gibt. Es wurden verschiedene Maßnahmen eingeleitet, die nicht funktioniert haben, und es hätte sowohl von Vale als auch von TÜV Süd alles getan werden müssen, damit dieser Damm stillgelegt wird.
"Zertifizierungssystem ist höchst fragwürdig"
Dobovisek: Was sollen Ihre Anzeigen in Deutschland bringen?
Friess: Wir wollen zum einen natürlich Gerechtigkeit. Wir haben im Moment ja auch Gäste aus Brasilien da, zwei Betroffene, die Familienangehörige verloren haben und die auch selber Anzeigenstellerinnen sind und die natürlich erwarten, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, sowohl in Brasilien als auch hier in Deutschland.
Dobovisek: Jetzt hat der TÜV Süd in Deutschland schon im Februar gesagt, kurz nach dem Unglück, es sei zweifelhaft, ob das brasilianische System zur Prüfung der Stabilität von Dämmen zuverlässig sei. Man werde in Brasilien daher vorerst keine weiteren Zertifikate ausstellen, bis eine gründliche Prüfung dieses Systems abgeschlossen sei. Es hieß jedenfalls so. Zu Deutsch: Man habe sich an die Vorgaben gehalten. Welche Verantwortung tragen die brasilianischen Behörden?
Friess: Das ganze Zertifizierungssystem ist höchst fragwürdig.
Dobovisek: Aber dafür kann der TÜV dann ja nichts!
Friess: Dafür kann der TÜV erst mal nichts. Wie der TÜV aber vorgegangen ist in dem konkreten Fall, dafür kann der TÜV dann schon etwas. Der TÜV hat ja selber, nachdem der Damm in Brumadinho gebrochen ist, noch mal alle Dämme, die sie geprüft haben, an die 40 Dämme, einer weiteren Überprüfung unterzogen und hat dann an die Behörden und an Vale geschrieben, wir gehen davon aus, dass unsere Berechnungen zu optimistisch waren, und wir können keine Garantie mehr für diese Dämme übernehmen, obwohl wir für alle diese Dämme ein Zertifikat ausgestellt hatten. Das heißt, für diese Art von Verschleierungstaktik und Beschönigungstaktik, dafür kann der TÜV Süd sehr wohl was.
Demonstranten haben Kreuze für die Opfer auf eine Straße in Belo Horizonte gemalt
Auch der Bergbaukonzern Vale müsse Vale müsse für den Dammbruch in Brasilien zur Verantwortung gezogen werden, fordert Susanne Friess von Misereor (imago / Fotoarena)
Dobovisek: Wenn am Ende der TÜV dafür verantwortlich gemacht wird, so wie Sie es jetzt offenbar implizieren, kann sich dann der Bergbaukonzern Vale in Brasilien einen schlanken Fuß machen?
Friess: Das hoffen wir nicht und das beabsichtigen wir natürlich auch nicht, und die Materialien, die uns vorliegen, weisen auch darauf hin, dass natürlich Vale auch sehr, sehr lange vorher schon wusste, dass von diesem Damm Probleme ausgehen, dass Vale auch andere Zertifizierungsunternehmen, die die gewünschten Ergebnisse bei den Prüfungen nicht geliefert haben, dann auch entlassen hat, und somit den Prüfunternehmen diktiert hat, wie die Ergebnisse zu sein haben. Wir gehen davon aus und sehen das so, dass Vale auch eine Verantwortung hat, genauso wie TÜV Süd, und dass beide Unternehmen auch zur Verantwortung gezogen werden müssen.
Dobovisek: Darin steckt ja auch eine generelle Kritik an Prüfkonzernen und dem Prüfwesen weltweit. Was ist falsch daran, dass ein Unternehmen externe Prüfer bezahlt?
Friess: Die direkte Verbindung ist falsch. Das Zertifizierungsunternehmen kommt durch die direkte Beauftragung durch den Bergbaukonzern ja in eine Rolle, wo es seine Neutralität verliert. Es wird ein Geschäftspartner. Das Zertifizierungsunternehmen will sich weitere Aufträge sichern und es verliert damit seine objektive Rolle.
"Kontrolle durch den Staat müsste viel, viel stärker sein"
Dobovisek: Aber im Grunde kennt das jeder Autofahrer auch von der Hauptuntersuchung. Das ist doch das gleiche Prinzip.
Friess: Ja, aber das ist ein ganz, ganz anderer Maßstab, und insofern liegt da ein anderer Fall vor. Die Kontrolle durch den Staat müsste viel, viel stärker sein. Das wird im Moment auch in Brasilien diskutiert, das ganze System zu ändern, dass nämlich die Behörden die Zertifizierungsunternehmen beauftragen und nicht mehr direkt die Bergbaukonzerne den Vertrag ausstellen und die Bezahlung.
Dobovisek: Und was, wenn Behörden selber kontrollieren?
Friess: Dazu gibt es im Moment nach Jahren der Flexibilisierung und Deregulierung in Brasilien überhaupt keine Möglichkeit, weil die Institutionen so kleingeschrumpft wurden, dass sie weder die finanziellen, noch die personellen und oftmals noch nicht mal die technischen Mittel dazu haben, das selber vorzunehmen. Dazu müsste man über Jahre die staatlichen Institutionen überhaupt wieder aufbauen.
Dobovisek: Ist das auch etwas, was sich auf andere Länder übertragen lässt?
Friess: Auf jeden Fall. Ich bin ja seit vielen Jahren zum Thema Bergbau in Lateinamerika unterwegs und diese Politik der Deregulierung und Flexibilisierung der Gesetze, die Übertragung von wichtigen Aufgaben an private Akteure, das nicht Hinschauen der staatlichen Akteure, das nicht vorhanden sein von Knowhow, von finanziellen Mitteln, um eine behördliche Aufsicht leisten zu können, das gilt, glaube ich, flächendeckend für alle Bergbauländer in Lateinamerika, und dass Unternehmen, Bergbaukonzerne sich immer mehr selbst regulieren, ist an der Tagesordnung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.