Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Daniel Bahr: Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen gescheitert

Der FDP-Landesvorsitzende in NRW, Daniel Bahr, sieht die rot-grüne Minderheitsregierung zunächst in der Pflicht, einen verfassungsgemäßen Haushalt vorzulegen. Für die Zukunft schloss Bahr eine Ampelkoalition nicht aus. Dafür sei die inhaltliche Basis bislang aber nicht gegeben.

Daniel Bahr im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 19.01.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Die politischen Gegner hatten seit Bildung der Minderheitsregierung immer geargwöhnt, SPD und Grüne würden den erstbesten Vorfall zum Anlass nehmen, Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen herbeizuführen, um sich damit eine breitere Mehrheit zu verschaffen. Die Ausgangslage war in der Tat nicht schlecht: Man regierte ohne große Fehler in Düsseldorf vor sich hin. Die Grünen befinden sich bundesweit im Aufwind und nun lieferte das Verfassungsgericht auch noch eine erstklassige Vorlage. Es stoppte per einstweiliger Verfügung den Nachtragshaushalt für 2010. Dennoch sieht es derzeit nicht nach schnellen Neuwahlen aus, weil alle Seiten davor zurückschrecken, auch die FDP offenbar. – Am Telefon ist Daniel Bahr, der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium und neuer FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen. Guten Morgen!

    Daniel Bahr: Guten Morgen, Herr Heckmann!

    Heckmann: Herr Bahr, die FDP spitzt die Lippen, aber sie pfeift nicht.

    Bahr: Überhaupt nicht! Wir haben gar keine Angst vor Neuwahlen. Nur die Neuwahlen lösen ja überhaupt kein Problem, vor dem wir stehen, denn Neuwahlen führen ja nicht dazu, dass wir jetzt schnell einen verfassungskonformen Haushalt bekommen, und dafür ist die rot-grüne Regierung im Amt, dass sie jetzt schnell dieses Problem angeht und löst. Ich habe keine Sorge vor Neuwahlen. Das ist die Frage, ob der Landtag das in Mehrheit beschließen will. Nur die Bürgerinnen und Bürger haben ja erst vor einem dreiviertel Jahr den Landtag gewählt und ich glaube, dass die Bürgerinnen und Bürger zunächst einmal erwarten, dass im Landtag die Arbeit gemacht wird, und wenn das Experiment von Rot-Grün, die Stimmen der Linken mit neuen Schulden einzukaufen, gescheitert ist, dann muss die Regierung nacharbeiten und muss gucken, wie sie mit anderen Mehrheiten vielleicht einen verfassungskonformen Haushalt auf den Weg bringt.

    Heckmann: Das heißt ganz klar, Herr Bahr, sollten SPD und Grüne die Auflösung des Landtages in den nächsten Wochen oder Monaten beantragen, Sie von der FDP stimmen dagegen?

    Bahr: Das steht ja noch gar nicht. Ich habe ja noch gar keinen Antrag gesehen. Frau Löhrmann hat gestern gesagt, dass sie derzeit keine Neuwahlen will, Frau Kraft hat das auch ...

    Heckmann: Sie hat verwiesen auf die Opposition, die keine Neuwahlen möchte!

    Bahr: Nein, nein, das hat Frau Löhrmann nicht. Frau Löhrmann hat gesagt, dass sie derzeit keine Notwendigkeit für Neuwahlen sieht, weil sie erst mal das Urteil abwarten wollen und sich dann an den Haushalt machen wollen. Die haben das Experiment der rot-grünen Minderheitsregierung gewagt, sie haben sich die Stimmen der Linken eingekauft. Zunächst einmal liegt jetzt der Ball im Feld der Regierung, sie muss entscheiden, wie sie damit umgeht, was sie vorlegt. Ich sage noch mal: Ich kann das nie ausschließen, dass es zu Neuwahlen kommt. Nur ich glaube, die Bürgerinnen und Bürger sagen auch, man kann nicht andauernd wählen, wie es einem passt. Jetzt ist zunächst einmal die Regierung gescheitert, ja nicht das Parlament, sondern das Parlament ist gewählt und da können sich ja auch andere Zusammenschlüsse finden, um einen verfassungskonformen Haushalt auf den Weg zu bringen. Aber in erster Linie ist jetzt die Regierung am Zug.

    Heckmann: Zum Beispiel? Welche Konstellation schwebt Ihnen da vor?

    Bahr: Zunächst einmal brauchen wir einen Vorschlag der Regierung für einen verfassungskonformen Haushalt. Ich erwarte, dass Frau Kraft jetzt auch erklärt, dass das Experiment, mit neuen Schulden sich die Zustimmung der Linken zu kaufen, gescheitert ist. Die Verschuldung ist in Nordrhein-Westfalen trotz Wirtschaftsaufschwung, trotz sprudelnder Steuereinnahmen um fast 35 Prozent erhöht worden, und die Alternative sehen wir ja unter Beteiligung der FDP hier in Berlin, wo die Neuverschuldung um fast 40 Prozent gesenkt wurde. Das heißt, es braucht einen Kurswechsel, einen erkennbaren Kurswechsel inhaltlich, und dann würden sicherlich neue Gespräche stattfinden auf der Basis auch mit der FDP.

    Heckmann: Gespräche stattfinden zwischen SPD und FDP zur Bildung möglicherweise einer Ampelkoalition, die bisher ja immer abgelehnt worden ist? Kippt die FDP jetzt um?

    Bahr: Nein, nein, nein, nein! Wir haben nach der Wahl bei einem sehr, sehr schwierigen Wahlergebnis ja uns bereit erklärt, noch mal darüber zu sprechen, gibt es eine Möglichkeit für eine Ampelkoalition. Damals war die inhaltliche Basis nicht gegeben. Jetzt zeigt sich aber, dass der Kurs einer rot-grünen Minderheitsregierung unter der Duldung der Linken gescheitert ist. Ich hoffe, dass jetzt bei SPD und Grünen sozusagen ein Moment der Einkehr kommt und man erkennt, mit dem Kurs kann man nicht die Zukunft des Landes bestimmen, sondern hier muss eine Kursänderung vorgenommen werden. Wenn das stattfindet, dann sind wir wie immer auf der Basis unseres Programms zu Gesprächen bereit, wie wir die Zukunft des Landes voranbringen können.

    Heckmann: Wie wollen Sie denn Ihren Wählern erklären, dass Sie dann mit zwei Parteien zusammenarbeiten wollen, die verfassungswidrige Haushalte vorlegen?

    Bahr: Das ist ja jetzt durch unser Verhalten – wir haben ja geklagt vorm Verfassungsgericht – verhindert worden. Das heißt, wir haben ja darauf geachtet, dass das Geld der Bürgerinnen und Bürger hier sorgsam ausgegeben wird. Und jetzt erwarten glaube ich auch die Bürgerinnen und Bürger, dass wir uns einbringen, dass ein verfassungskonformer Haushalt auf den Weg gebracht wird. Zunächst sind aber SPD und Grüne am Zug. Ich sehe noch keine Konsequenzen aus dem Urteil. Die spielen jetzt erst mal die Taktik der Verzögerung und des Abwartens, das bringt uns aber inhaltlich nicht voran. Ich erwarte, dass jetzt schnell nachgearbeitet wird und dass die Regierung einen neuen Vorschlag macht, auf dessen Basis kann man ja im Parlament beraten, das ist ja das normale Verfahren, dafür haben wir ja auch ein Parlament gewählt.

    Heckmann: Der wird nicht kommen, dieser neue Vorschlag. Das hat uns Herr Priggen um 7:15 Uhr schon erzählt.

    Bahr: Also Herr Priggen entscheidet das ja nicht, aber dann kann ich nur sagen, dann ist das zum Schaden des Landes. Wir schauen uns das jetzt in Ruhe an. Die Regierung löst ja nicht das Parlament auf, sondern es ist ja anders herum. Das Parlament wählt die Regierung, und wenn das Parlament sich entscheidet, sie aufzulösen, dann macht das das Parlament. Hier wollen wir mal die Verhältnisse gerade rücken. Und jetzt ist ja genügend Zeit noch, gestern ist erst die Ankündigung gekommen, dass wir jetzt noch mal beraten, wie wir mit dieser Situation umgehen. Ich sage nur, so kann es nicht weitergehen, denn es war eine verantwortungslose Verschuldungspolitik, zurecht hat das Verfassungsgericht hier der Regierung die Leviten gelesen.

    Heckmann: Aber ganz ehrlich, Herr Bahr: Sie sind die erste Oppositionspartei, die in einer solchen Situation keine Neuwahlen fordert. Wollen Sie uns wirklich erzählen, dass das nicht an den schlechten Umfragewerten für die FDP liegt und daran, dass die Liberalen möglicherweise aus dem Landtag fliegen könnten?

    Bahr: Davor habe ich gar keine Angst, weil Neuwahlen immer die Karten neu mischen. Erinnern wir uns an 2005, da hat man auch bei der Ausrufung der Neuwahlen von Herrn Schröder gedacht, die CDU kriegt eine absolute Mehrheit, und nachher hat sie ein ganz schwaches Ergebnis bekommen. Jetzt in Hamburg sehen wir, die Grünen haben die Neuwahlen ausgerufen, dachten auch, sie kriegen ein tolles Ergebnis, und jede Woche fallen sie weiter in den Umfragen. Also Neuwahlen mischen immer wieder die Situation, es ist eine ganz andere Veränderung, weil es wäre ja auch ein Signal, dass die rot-grüne Minderheit gescheitert ist mit ihrem Konzept, und das gibt uns natürlich auch eine ganz neue Chance. Aber ich sage noch mal: Wir haben auch eine Verantwortung, das Parlament ist gewählt. Das gab es auch in anderen Situationen, ich denke an 1982 oder andere Jahre, wo sich auch im Parlament dann neue Konstellationen gefunden haben. Darüber muss man zunächst beraten, ob das überhaupt geht, ob es eine Basis gibt. Das erkenne ich im Moment noch nicht, aber das ist zunächst einmal zu klären. Wenn es keine andere regierungsfähige Zusammenarbeit gibt, dann ist natürlich die logische Folge irgendwann Neuwahlen, aber das ist doch noch überhaupt nicht jetzt zu entscheiden.

    Heckmann: Wie lange hält die Minderheitsregierung in Düsseldorf? Ihre Prognose?

    Bahr: Meine Prognose ist, sie hält lange, weil wir ja sehen, dass Rot-Grün sich doch wieder in Abhängigkeit der Linken begibt. Die Linken haben erklärt, sie wollen weiterhin die rot-grüne Minderheit unterstützen, sie tragen da alles mit, das heißt also das Reserverad der Rot-Grünen. Insofern fürchte ich, zum Schaden des Landes geht das erst mal so weiter.

    Heckmann: Der FDP-Chef in Nordrhein-Westfalen, Daniel Bahr, war das hier im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Bahr, ich danke Ihnen für die Zeit.

    Bahr: Vielen Dank, Herr Heckmann.