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"Dann ist man halt raus"

Bereits während der Proteste im letzten Sommer forderten die Studierenden die Abschaffung der Anwesenheitslisten in Seminaren. An der Universität Leipzig soll jetzt Schluss sein damit. Die Prüfungszeit steht kurz bevor und in manchen Seminaren drohte bisher bei zweimaligem Fehlen der Ausschluss von der Prüfung.

Von Amelie Becker | 28.01.2010
    "Bei uns ist das so, dass man einmal im Semester fehlen darf, auch wenn man eigentlich zweimal fehlen dürfte, weil unser Prof hat für sich so entschieden, dass man nur einmal fehlen darf und da werden auch keine Ausnahmen gemacht, also auch wenn man einen Krankenschein hat oder so, dann ist man halt raus",

    sagt Mareike, Journalistikstudentin aus Leipzig. Gemeint ist die Anwesenheitspflicht in Seminaren. Die wird gerade in geisteswissenschaftlichen Fächern von vielen Dozenten in Form von Teilnehmerlisten kontrolliert. Manche Dozenten lassen die Studenten sogar nur bei nachgewiesener Anwesenheit zur Prüfung zu. Ein grundsätzliches Problem, denn diese Praxis zwinge die Studenten zum Seminarbesuch und verhindere somit ein selbstbestimmtes Studium, erklärt Ulrike Nack, Sprecherin des StudentInnenRates der Universität Leipzig.

    "Den Studierenden wird hier einfach die Entscheidung genommen, hier der Dozent ist schlecht, ich geh da einfach nicht mehr hin, verbring die Zeit dann lieber in der Bibliothek und lese. Und dann ist halt immer der implizite Druck dahinter:ja, dann wirst du halt nicht zur Prüfung zugelassen, dann hast du eine Prüfungsvorleistung nicht gemacht. Und damit steht dein ganzes Studium auf dem Spiel. Und, ja, so ist das halt bundesweit auch immer wieder eine Sache die auf Unverständnis stößt."

    Den willkürlichen Umgang mit den Anwesenheitslisten bekam auch eine Bachelorstudentin der Geisteswissenschaften zu spüren, die namentlich nicht genannt werden möchte. Per E-Mail wurde ihr mitgeteilt, sie solle sich wegen zweimaligem Fehlen fristgerecht von der Seminarprüfung abmelden. Gerade der straff organisierte Bachelor bietet jedoch kaum Raum, um Prüfungen zu verschieben oder Seminare einfach zu wiederholen.

    "Und da war ich natürlich schockiert und habe mich natürlich erstmal an meinen Seminarleiter gewandt und der hat das natürlich weitergeleitet zu meinem Professor (...) also es ging dann immer hin und her mit E-Mail -Verkehr. Währenddessen habe ich mich natürlich abgesichert in Studien- und Prüfungsordnungen wo nichts dergleichen drin stand dass ich zweimal Fehlen muss und dann rausfliege."

    Auch das Prüfungsamt konnte ihr nicht weiterhelfen, niemand wusste, wer im Recht war. Erst Gespräche mit dem Fachschafts- und schließlich dem StudentInnenRat brachten ein Ergebnis.

    "Gleich einen Tag später wurde mir dann gesagt, ja und sie haben doch nur einmal gefehlt und bitte entschuldigen sie das Drama und sie können fröhlich weiter studieren."

    Auch andere Studenten kennen diese Situation und sind verunsichert, weil klare, festgeschriebene Regeln im Umgang mit der Anwesenheitspflicht fehlen. Dabei hat sich der sächsische Landtag bereits im Dezember 2009 der Problematik angenommen, erklärt Rüdiger Steinmetz, geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft.

    "Also es ist ein genereller Grundsatz der durch die Wissenschaftsministerin auch noch mal sehr klar gemacht wurde. Sie hat deutlich gemacht, dass diese Teilnehmerlisten keine Rechtsgrundlage haben. Diese Entscheidung bedeutet, dass die Studierenden für ihr eigenes Studium, für ihr eigenes Leben eine größere Verantwortung bekommen."

    Die Fakultät für Philosophie und Sozialwissenschaften der Universität Leipzig hält nun ihre Dozenten und Professoren dazu an, auf Anwesenheitslisten zu verzichten. Rüdiger Steinmetz befürwortet die Abschaffung der Listen, sieht aber auch die Studenten in der Pflicht.

    "Studierende gehen aus meiner Sicht, wenn Sie sich immatrikulieren an der Universität, einen Ausbildungsvertrag ein, ob das überprüft wird, hängt da hinten dran. Ich bin ja auch anwesend. Von beiden Seiten muss dieser Grundsatz berücksichtigt werden."

    Diese Ansicht teilt auch der wissenschaftliche Mitarbeiter Gerhard Piskol. Er sieht in der Teilnehmerliste ein kaum verzichtbares Instrument, um Lehrveranstaltungen zu organisieren und Studenten zur Teilnahme zu motivieren. Trotz der Empfehlung des Fakultätsrates hat er sich für das Weiterführen der Anwesenheitslisten entschieden.

    "Meines Erachtens gehört eine regelmäßige Teilnahme dazu. Also kann die Teilnehmerliste hier eine durchaus ordnende, strukturierende, sinnvolle Funktion haben, dass sollte jeder Lehrende für sich selbst entscheiden in Absprache mit den Seminarteilnehmern, dass für das jeweilige Seminar festlegen oder lassen."

    Manche Dozenten reagieren auf den Eingriff in ihre Lehrmethoden jedoch drastischer, wie Rüdiger Steinmetz anmerkt.

    "Einige Kollegen greifen jetzt zu eigenartigen Mitteln. Sie verlegen Lehrveranstaltungen um halbe Stunden und sie schließen gar die Tür zu, um jene, die nicht pünktlich da sind, dann auszuschließen. Und umgehen sozusagen dann auf diese Art und Weise die Teilnehmerlistenpraxis. Das finde ich in hohem Maße lächerlich und einer Hochschule, einer Universität nicht angemessen. Das ist Kindergartenniveau."

    Solange die Praxis der Anwesenheitspflicht nicht verbindlich geregelt und flächendeckend kommuniziert wird, bleibt die Situation zwischen Dozenten und Studierenden weiterhin angespannt. Und das, obwohl die grundlegende Richtung sowohl aus der Politik, als auch von der Universitätsleitung längst vorgegeben wurde.