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"Dann können wir jetzt nicht wegrennen"

Krista Sager geht davon aus, dass der künftige Bürgermeister in Hamburg, Christoph Ahlhaus, den Kurs von seinem Vorgänger Ole von Beust fortsetzen werde. Daher gebe es auch keinen Grund, den Koalitionsvertrag zwischen ihrer Partei und der CDU aufzukündigen.

Krista Sager im Gespräch mit Stefan Heinlein | 25.08.2010
    Stefan Heinlein: Schwarz-Grün bekommt in Hamburg die zweite Chance. Nach dem klaren Votum der Grünenbasis gibt es keine Zweifel mehr an der Fortsetzung der Koalition. Christoph Ahlhaus wird neuer Erster Bürgermeister der Hansestadt und damit Nachfolger des zurückgetretenen Ole von Beust. Doch viele haben dabei durchaus Bauchschmerzen. Die bisherige Erfolgsbilanz des ersten schwarz-grünen Experiments auf Landesebene gilt als eher mager. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit der Hamburger Bundestagsabgeordneten der Grünen, Krista Sager. Guten Morgen!

    Krista Sager: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Sager, wenn Kanzlerin Merkel heute aus persönlichen Gründen die Brocken in Berlin hinschmeißt, werden Sie dann morgen Neuwahlen fordern?

    Sager: Das kommt ja ein bisschen auf die Situation an. Also wenn sie sie hinschmeißt, um den Weg frei zu machen für Neuwahlen, würden wir die Chance natürlich sofort ergreifen. Aber ansonsten ist der Wechsel eines Ministerpräsidenten in einem Land ja nicht ein Grund für Neuwahlen an sich. Sonst hätte es ja jetzt in Baden-Württemberg, in Niedersachsen und auch in Hessen Neuwahlen geben müssen, und wir hatten hier in Hamburg auch mit der SPD Situationen, wo ein Bürgermeister den anderen abgelöst hat, ohne dass da vorher Neuwahlen stattfanden. Das waren dann reine Parteientscheidungen, das ist nichts Ungewöhnliches.

    Heinlein: Also lassen sich in der Politik Führungsleute beliebig auswechseln, Kanzler, Ministerpräsidenten, ohne dass sich an den Inhalten irgendetwas ändert?

    Sager: Das ist damit natürlich nicht garantiert, und ich sage Ihnen auch ganz ehrlich, ich kann diejenigen CDU-Wähler verstehen, auch die Wählerinnen natürlich, die sagen, wir wollten eigentlich gar nicht die CDU wählen, sondern wir wollten diesen Bürgermeister wählen. Und wenn der Bürgermeister jetzt weg ist, dass dann die sagen, dann hätte ich mich möglicherweise anders entschieden, das kann ich sehr gut nachvollziehen. Für uns als Koalitionspartner ist aber ja die entscheidende Frage, ob das neue Personal den Kurs, den wir verabredet haben, nämlich dass wir mehr soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen wollen, dass wir in der Verkehrs- und Energiepolitik eine Umkehr wollen Richtung Ökologie, dass wir auch im Wohnungsbau was voranbringen wollen, dass wir bei den Bürgerrechten und in der Justiz hinter Kusch und Schill jetzt endlich auch mal aufräumen müssen, dass wir diesen Kurs überhaupt fortführen, das ist für uns entscheidend. Da hat ja Herr Ahlhaus uns erst mal gesagt, dass er den Kurs von Ole von Beust fortführen will und in einigen Bereichen sogar noch eine Schippe drauflegen will und auch, sage ich mal, das Klima der vertrauensvollen Zusammenarbeit gerne aufrecht erhalten möchte. Das ist für uns jetzt erst mal die Grundlage zu sagen, dann können wir jetzt nicht wegrennen, dann können wir nicht sagen, wir kündigen den Koalitionsvertrag.

    Heinlein: Frau Sager, weite Teile Ihrer Parteibasis – Sie haben das am Wochenende selber miterlebt – sehen das aber offenbar anders. Für sie ist Christoph Ahlhaus ein rechtslastiger, opportunistischer Machtpolitiker. Nehmen Sie denn diese Kritik ernst?

    Sager: Natürlich nehme ich das ernst. Ich will aber auch eines sagen: Wir hatten bei den Grünen eine sehr, sehr lebhafte Debatte und dann hatten wir 80 bis 90 Prozent, die gesagt haben, wir bleiben in der Koalition. Das zu dem Thema, wie sieht es die Parteibasis. Die Parteibasis bei uns – und ich glaube, das gilt auch für viele Wählerinnen und Wähler -, die unterscheiden durchaus zwischen der Frage, kann man jetzt eigentlich aus einer Koalition aussteigen, weil dort Personal ausgewechselt wird, und ihre sozusagen etwas skeptische Betrachtung, was könnte da auf uns zukommen. Das, was dort auf uns zukommen könnte, das werden wir natürlich sehr, sehr aufmerksam verfolgen und da sind wir natürlich auch nicht mit jeder Personalentscheidung, die dort vonseiten der CDU getroffen worden ist, sehr glücklich.

    Heinlein: Frau Sager, Sie meinen wahrscheinlich den Wirtschaftssenator Jan Karan. Er war ja in der Vergangenheit ein eifriger Spender für die Schill-Partei. Kann es sein, dass es heute bei der Senatorenwahl von Ihrer Seite durchaus Überraschungen geben könnte?

    Sager: Dazu muss man sagen, dass in Hamburg die Senatoren nicht einzeln gewählt werden, sondern die werden vom Bürgermeister ernannt. Er wird gewählt, er ernennt die Senatoren und dann wird über den Senat als Ganzes und nicht über einzelne abgestimmt. Zu Herrn Karan: Das sehen wir aus verschiedenen Gründen durchaus etwas skeptisch. Herr Karan ist hier in Hamburg eine sehr schillernde Persönlichkeit. Auf der einen Seite hat er für Schill gespendet, hat gesagt, das wäre der größte Fehler seines Lebens; er unterstützt aber auch sehr viele soziale Projekte. Ich frage mich bei Herrn Karan aber auch, weiß der überhaupt, auf was er sich einlässt und hat er nicht vielleicht mal ein paar gute Freunde, die ihm auch vielleicht mal klar machen, wo er sich da überhaupt rein begibt. Das ist ein großer Unterschied, ob man gesellschaftlich angesehener Unternehmer ist, der hier auch spendet für soziale Projekte, oder ob man sich tatsächlich ins Feuer der Politik als verantwortlicher Senator begibt, und er ist ja jetzt in den letzten Tagen von den Medien gewissermaßen geröstet worden und hat da aber nur einen leichten Vorgeschmack bekommen.

    Heinlein: Frau Sager, das alles, was Sie sagen, hört sich sehr, sehr nüchtern, sehr, sehr pragmatisch an. Sind die Grünen heutzutage eine Partei wie jede andere? Ist ihnen der Machterhalt wichtiger als alles andere?

    Sager: Erstens ist das hier meine Persönlichkeit. Die wird nicht von allen Grünen so gelebt wie von mir. Aber was das Politische der Frage angeht: Wir haben uns in den letzten Jahren immer weiter auf demokratische Spielregeln eingelassen und die demokratischen Spielregeln sind, dass man für das, was man inhaltlich umsetzen will, demokratische Mehrheiten braucht, und die hat eine Zehn-Prozent-, die hat auch eine 20-Prozent-Partei nicht. Das heißt, wir sind gezwungen zu gucken, gibt es Partner für unsere Politik oder zumindest für eine richtige Richtung in unserem Sinne. Wenn dort unser Lieblingspartner – das sage ich jetzt auch als ehemaliges Mitglied einer rot-grünen Regierung -, wenn dort die SPD dann für die Mehrheiten nicht mehr zur Verfügung steht, weil wir jetzt eine Linkspartei auch in Hamburg im Parlament haben, dann ist das erstmal vernünftig zu fragen, gibt es andere Partner, mit denen wir demokratische Mehrheiten zusammenkriegen, um wenigstens etwas in die richtige Richtung zu bewegen. Das war auch dringend erforderlich, dass sich mal was in die richtige Richtung bewegt, nachdem hier Schill regiert hatte und nachdem die CDU alleine regiert hatte.

    Heinlein: Das was Sie sagen, so wie Sie argumentieren, das hat die FDP schon vor 20, 30 Jahren gesagt. Tut es Ihnen denn weh, dass in vielen Internet-Blogs Ihre Partei jetzt mittlerweile als Birkenstock-FDP bezeichnet wird?

    Sager: Das sind wir ja nicht. Schauen Sie, mit uns wären Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke nicht denkbar. Wir würden niemals Steuergeschenke für Besserverdienende machen auf Pump bei der jetzigen Haushaltslage und wir würden auch keine Gesundheitsreform machen, die die Klassengesellschaft in der Medizin verstärkt. Das sind große inhaltliche Unterschiede und hier in Hamburg sind wir dabei, in der Energiepolitik, in der Gebäudesanierung, in der Stadtentwicklung doch wieder in eine ökologische Richtung zu gehen, und wir werden auch unser Schulsystem trotz des verlorenen Volksentscheids gerechter machen, durchlässiger machen, besser machen, und wir sind in der Justiz ganz klar dabei, hier auch wieder Bürgerrechte vor Schill-Ideologie zu stellen.

    Heinlein: Sie argumentieren, Frau Sager, ja inhaltlich. Lassen sich denn tatsächlich in einer Koalition mit der CDU, mit einem neuen Bürgermeister, der als konservativ gilt, besser grüne Inhalte durchsetzen als in einem möglichen Bündnis mit der SPD nach einer Neuwahl?

    Sager: Schauen Sie, wir können aber nicht jetzt Koalitionen aufkündigen, wenn gerade mal die Umfragen anders sind. Wir haben einen Koalitionsvertrag mit der CDU. Die CDU sagt, sie will den jetzigen Kurs fortsetzen und auch bei einigen Sachen, sozialer Wohnungsbau, noch mal nachlegen. Dann können wir nicht sagen, weil gerade die Umfragen uns nicht passen, kündigen wir jetzt. Ich glaube, dann wären wir für die Zukunft auch für andere Koalitionen, die es möglicherweise mal in Hamburg geben wird, auch verbrannt, weil es dann sehr klar heißt, mit den Grünen kannst du nicht rechnen, wenn da die Umfragen mal nicht stimmen, dann rennen die weg.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Grünen-Bundestagsabgeordnete aus Hamburg, Krista Sager. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören an die Elbe.

    Sager: Ich bedanke mich auch, Herr Heinlein.